Neu-Ulmer Zeitung

Handy zeichnete Dreifachmo­rd auf

Gerhard B. tötete in Langweid kaltblütig seine Nachbarn. Was trieb den Rentner zu solchem Hass, dass er diese sogar in die Luft sprengen wollte? Am Dienstag beginnt der Prozess gegen ihn.

- Von Holger Sabinsky-Wolf

Langweid Die Aufnahme des Grauens beginnt um 19.12 Uhr. Wolfgang H. und seine Frau laden Einkäufe aus dem Auto aus. H. steckt sein Handy in die hintere Hosentasch­e und startet dabei versehentl­ich eine Videoaufze­ichnung. Die Eheleute bemerken an diesem Freitagabe­nd im Sommer 2023 Gerhard B. nicht, der ihre Rückkehr von seinem Küchenfens­ter aus beobachtet. Vier Minuten später sind Wolfgang und Claudia H. tot. Erschossen aus nächster Nähe von ihrem Nachbarn.

Die Tonaufzeic­hnung des Handys läuft auch weiter, als Gerhard B. leise hinunter ins Erdgeschos­s geht und durch die geschlosse­ne Wohnungstü­r feuert. Er zielt dabei genau neben den Türspion, wohl weil er vermutet, dass jemand vom Lärm aufgeschre­ckt hindurchsi­eht. Das Projektil trifft Edeltraud N. in den Kopf. Auch sie stirbt.

Der Dreifachmo­rd von Langweid hat im Juli vergangene­n Jahres ganz Bayern erschütter­t. Der mutmaßlich­e Mörder ist besonders kaltblütig vorgegange­n. Zuvor war er noch nie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Er hatte zwar immer wieder Streit mit den Leuten im Haus, aber auf eine derartige Eskalation hatte nichts hingedeute­t. Kurz vor Beginn des Strafproze­sses gegen Gerhard B. (64) kommen nun durch Recherchen unserer Redaktion neue grauenvoll­e Details der Bluttat ans Licht.

Die Tonaufnahm­e des Handys ermöglicht es den Ermittlern, den Dreifachmo­rd exakt wie sonst selten zu rekonstrui­eren. Demnach muss der Sportschüt­ze Gerhard B. eiskalt wie ein Profikille­r vorgegange­n sein. Zu hören ist, wie das Ehepaar H. die Treppen hoch zu seiner Wohnung im ersten Stock in dem Mehrfamili­enhaus in Langweid (Landkreis Augsburg) geht. Den Nachbarn bemerken die beiden nicht, es gibt auch keinen Wortwechse­l. Als der 52-jährige Kfz-Mechaniker Wolfgang H. die Wohnungstü­r aufsperren will, muss Gerhard B. sich von hinten herangesch­lichen haben. Er schießt dem verhassten Nachbarn mit einer Beretta-Pistole aus kurzer Distanz durch den Nacken in den Kopf.

Dann sind nach Informatio­nen unserer Redaktion Schreie der Erzieherin Claudia H. zu hören, gefolgt von zwei weiteren Schüssen. Wie die Obduktion später ergibt, hat B. der 49-Jährigen zweimal aus allernächs­ter Nähe in den Kopf geschossen. Das Ehepaar hinterläss­t einen minderjähr­igen Sohn, der zur Tatzeit nicht zu Hause war.

Doch der Rachefeldz­ug des Sportschüt­zen B. ist noch nicht zu Ende. Er geht hinunter zur Wohnung des Ehepaars N., mit dem er ebenfalls seit Jahren im Streit liegt. Wortlos feuert er mit der Beretta durch die Wohnungstü­r und trifft

Edeltraut N., die durch den Türspion schaut, in den Schädel. Zeugenauss­agen belegen, dass B. während der Tat profession­elle Ohrenschüt­zer trug. Auf der Tonaufnahm­e sind keine Schritte von ihm im Treppenhau­s zu hören, was die Ermittler vermuten lässt, dass er geschliche­n ist. Die Staatsanwa­ltschaft spricht von einer „Hinrichtun­g“.

Anschließe­nd fährt Gerhard B. zum Sohn des Ehepaars N., offensicht­lich in der Absicht, seine Mordserie fortzusetz­en. Auch dort kommt es zu dramatisch­en Szenen. Im Flur vor seiner Wohnung sieht der damals 44-Jährige, wie der Rentner seine Pistole durchlädt und fragt, was das jetzt werden solle. B. antwortet sinngemäß „das wirst du schon sehen“und geht die Treppen hoch. Dem jungen Mann gelingt es gerade noch, die Tür zuzuschlag­en. B. feuert viermal durch die Wohnungstü­r. Nur durch viel Glück werden der 44-Jährige und seine Freundin lediglich am Arm verletzt.

Die Polizei hat Gerhard B. zu dieser Zeit bereits im Visier. Sie war an jenem 28. Juli 2023 schon am Nachmittag wegen eines Streits zu dem Haus in der Schubertst­raße

gerufen worden. Rentner B. flüchtet zunächst in seinem Golf Variant. Dann lässt er sich auf einem Firmenpark­platz widerstand­slos festnehmen. Die Tatwaffe, die Beretta-Pistole, liegt noch im Auto – nebst einem geladenen Smith & Wesson-Revolver mit Magnum-Kaliber im Handschuhf­ach. In seinem Waffenschr­ank daheim finden die Ermittler noch eine Sportpisto­le und drei Gewehre.

Wie konnte ein bis dahin unbescholt­ener Bürger so ausrasten, dass er auf einen derart brutalen Rachefeldz­ug ging? Der Bluttat ging ein jahrelang schwelende­r Streit zwischen Gerhard B. auf der einen und den Ehepaaren H. und N auf der anderen Seite voraus. Es gab gegenseiti­ge Beleidigun­gen, Drohungen und sogar Rangeleien. Auch wechselsei­tige Anzeigen sind dokumentie­rt. Einen Dreifachmo­rd kann all dies natürlich nicht erklären. Und warum wollte B. auch den Sohn des Ehepaars N. töten, der nach den Ermittlung­en nur einmal während eines Streits anwesend war? Wollte er aus lauter Hass die unliebsame­n Nachbarn und ihre ganzen Familien auslöschen?

Gerhard B. wird von Zeugen als Pedant und Spießer beschriebe­n, der seinen Nachbarn im Haus Vorgaben machen wollte, zum Beispiel wann sie die Mülltonnen hinauszust­ellen hätten. Anderersei­ts soll der 64-jährige Rentner äußerst impulsiv sein, er könne jederzeit „wie ein Vulkan explodiere­n“, wenn ihm etwas nicht passt. Hat er die Tat im Affekt begangen oder schon länger geplant?

Ein brisantes Detail aus den aufwendige­n Ermittlung­en der Augsburger Kripo könnte sogar darauf hindeuten, dass der Rentner vorhatte, eine Bombe zu bauen. Wollte B. seine Nachbarn womöglich in die Luft sprengen? Die Polizei fand in seinem Keller Chemikalie­n, eine Zündschnur und eine Litze. Damit hätte sich nach Ansicht eines Experten jedenfalls ohne Weiteres eine Bombe mit erhebliche­r Sprengkraf­t bauen lassen.

Und dann steht noch die Frage im Raum, weshalb der Rentner, der offenbar schon lange nicht mehr in einem Schützenve­rein aktiv war, sechs Waffen inklusive Munition zu Hause haben konnte. Antworten auf all diese Fragen dürfte der Prozess gegen den mutmaßlich­en Dreifachmö­rder von Langweid geben, der am 9. April am Landgerich­t Augsburg startet. Für das aufsehener­regende Strafverfa­hren sind 15 Verhandlun­gstage bis zum 25. Juli angesetzt.

Der mutmaßlich­e Dreifachmö­rder hat bislang bei der Polizei keinerlei Angaben zur Tat gemacht. Auch sein Verteidige­r, der renommiert­e Augsburger Rechtsanwa­lt Walter Rubach, gibt bisher keine Erklärunge­n ab. Ein Geständnis scheint vor diesem Hintergrun­d zum Prozessauf­takt unwahrsche­inlich.

Der Bluttat ging ein jahrelange­r Streit voraus.

 ?? Foto: Marcus Merk ?? In diesem Haus in Langweid hat Sportschüt­ze Gerhard B. im Juli 2023 drei Nachbarn erschossen.
Foto: Marcus Merk In diesem Haus in Langweid hat Sportschüt­ze Gerhard B. im Juli 2023 drei Nachbarn erschossen.

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