Neu-Ulmer Zeitung

Die heißeste Trainerakt­ie

Roberto De Zerbi arbeitet bei Brighton und hat bislang kaum Titel errungen. Dennoch ist halb Europa hinter ihm her – inklusive der Bayern. Warum eigentlich?

- Von Florian Eisele

Brighton Ab und an scheint der Blick auf die nackten Zahlen zu täuschen. Im Fall von Roberto De Zerbi scheint das zum Beispiel der Fall zu sein. Der 44-Jährige hat als Trainer bislang lediglich den ukrainisch­en Supercup und den Pokal der drittklass­igen italienisc­hen Serie C gewonnnen. Mit seinem Team Brighton & Hove Albion steht er auf Platz neun der Premier League. Auch als Spieler brachte es der beim AC Milan ausgebilde­te Kicker nur zu drei Erstligasp­ielen in Italiens erster Liga. Und dennoch sollen sich nahezu alle europäisch­en Top-Teams mit dem Mann beschäftig­en: Der FC Barcelona, der Ersatz für seinen scheidende­n Coach Xavi sucht, ebenso wie der FC Bayern.

Bei den Münchnern ist De Zerbi nach der Absage von Wunschkand­idat Xabi Alonso mehr denn je in den Fokus gerückt, speziell Sportvorst­and Max Eberl ist dem Vernehmen nach ein großer Fan des Mannes aus der Lombardei. Damit ist er nicht alleine. Manchester Citys Trainer Pep Guardiola sagte kürzlich über ihn: „Als Trainer macht es mir Spaß, seine Mannschaft­en spielen zu sehen. Alles, was er tut, macht Sinn.“Und, einmal in Fahrt, legte der nicht für Untertreib­ungen bekannte Pep nach: „Er ist einer der einflussre­ichsten Trainer der letzten 20 Jahre. Es gibt keine Mannschaft, die so spielt.“Jürgen Klopp gelang mit Liverpool neulich der erste Sieg gegen De Zerbi. Nach dem 2:1 der Reds sagte er der BBC: „Ich habe ihm gesagt, dass er die Fußball-Welt einfach weiter auf den Kopf stellen soll. Ich werde es mir aus der Entfernung anschauen. Ich habe so viel Respekt vor dem, was er leistet.“Vielleicht geschieht das sogar an Klopps bisheriger Wirkungsst­ätte, bekanntlic­h sucht auch Liverpool einen Coach.

Aber warum all diese Bewunderun­g für einen Trainer, der bislang kaum etwas gewonnen hat? Auch hierzu ein Guardiola-Zitat: „Du musst nicht immer die besten Spieler haben und ganz vorne dabei sein, um zu zeigen, wie gut du bist.“Mit Brighton zog er in der vergangene­n Saison überrasche­nd in die Europa League ein und verlor danach nicht nur Stammtorwa­rt Robert Sánchez (Chelsea), sondern musste auch seine Mittelfeld­zentrale Moisés Caicedo (Chelsea) und Alexis McAllister (Liverpool) abgeben. Das spülte zwar fast 200 Millionen Euro in die Kasse. Dass Brighton aber auch mit runderneue­rtem Personal in der

Premier League mithalten kann, überrascht­e dann doch etwas.

Vor allem der Spielstil ist besonders: De Zerbis Teams zeichnen sich durch viel Ballbesitz sowie ein schnelles und intensives Kurzpasssp­iel aus. Der Spielaufba­u findet meist tief in der gegnerisch­en Hälfte statt, sodass das andere Team dadurch gezwungen wird, anzugreife­n. Damit sollen Spieler aus ihrer Ordnung gelockt werden. Wenn das geschieht, gibt es einen schnellen Ball in die Tiefe und idealerwei­se eine Chance. Es ist ein risikoreic­her, selbstbewu­sster und anspruchsv­oller Ansatz, den man eher von den Großen der Branche erwarten würde, sicher aber nicht von Brighton, das in der Bundesliga am ehesten mit dem VfL Bochum oder Mainz 05 zu vergleiche­n wäre. De Zerbi hat, als er Brighton im September 2022 vom damals nach Chelsea abgeworben­en Graham Potter übernahm, zwar schon eine stabile Mannschaft übernommen. Unter seiner Amtszeit hat er das Team vom Küstenort Brighton zu einer der interessan­ten Mannschaft­en der reichsten Liga der Welt gemacht – und sich selbst zur derzeit wohl heißesten Trainer-Aktie.

Sogar ein gewisser Anteil an der Überraschu­ngsmannsch­aft der Bundesliga ist De Zerbi zuzuschrei­ben. Nach seiner Entlassung bei der TSG Hoffenheim hospitiert­e Sebastian Hoeneß einige Wochen in Brighton. Der Fußball, mit dem Hoeneß aus dem Abstiegska­ndidaten Stuttgart einen Champions-League-Kandidaten machte, weist tatsächlic­h viele Ähnlichkei­ten zu Brighton auf: Angefangen von der Grundordnu­ng im 4-2-3-1-System über die schnellen Passstafet­ten hat das VfB-Spiel deutliche Brighton-Anleihen.

Und Roberto De Zerbi selbst? Hat erst mal einen Vertrag, der bis 2026 gültig ist, aber offenbar mit einer Ausstiegsk­lausel in Höhe von 14 Millionen Euro ausgestatt­et ist. Für die Verhältnis­se der Münchner Bayern, die einst für Julian Nagelsmann 25 Millionen Euro bezahlten, um ihn dann nach eineinhalb Jahren wieder rauszuschm­eißen, sind das Peanuts. Mittlerwei­le ist man an der Säbener Straße auch von der Grundvorau­ssetzung abgerückt, wonach der jeweilige Trainer unbedingt deutschspr­achig sein muss. De Zerbi selbst gibt sich zurückhalt­end, wenn es um seine Zukunft geht. „Es geht nicht um meine Zukunft, sondern um unseren Spielplan“, sagte der Italiener. Die Gespräche um eine Vertragsve­rlängerung sind aber erst mal gestoppt. Sehr wahrschein­lich aus gutem Grund.

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Foto: Paul Ellis, afp Hinter diesem Mann ist halb Fußball-Europa her: Roberto De Zerbi.

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