Neu-Ulmer Zeitung

Was trieb den Rehbock in die Innenstadt?

Dass Rehe Ortszentre­n aufsuchen, ist sehr ungewöhnli­ch. Der Vorsitzend­e der Kreisjäger­schaft nennt mögliche Erklärungs­ansätze für den Vorfall in Weißenhorn.

- Von Jens Noll

Weißenhorn Es kommt immer mal wieder vor, dass Biber oder Wildschwei­ne in dicht besiedelte Gebiete kommen. Doch ein Reh in der Innenstadt? Das ist doch sehr außergewöh­nlich. So etwas Extremes sei ihm aus der Region bisher nicht bekannt, sagt Christian Liebsch über das, was am Mittwochmo­rgen mitten in Weißenhorn passiert ist. Ein in Panik geratener Rehbock hat sich dort in eine Pizzeria verirrt und dabei so schwer verletzt, dass ein Jäger das Wildtier mit einem Stich ins Herz tötete, damit es nicht noch mehr leiden muss. Während auf Facebook darüber diskutiert wird, ob die Polizei in dem Fall korrekt gehandelt hat, betont der Vorsitzend­e der Neu-Ulmer Kreisgrupp­e des Bayerische­n Jagdverban­ds:

„Das Vorgehen war mit Sicherheit richtig.“Doch es bleibt die Frage, warum der Waldbewohn­er überhaupt in die Innenstadt kam.

Erstmals wurde der Rehbock wie berichtet am Mittwochmo­rgen gegen 8 Uhr auf dem Gelände einer Firma an der Adolf-WolfStraße gesichtet, also südöstlich der Innenstadt. Als Polizisten ihn einfangen wollten, flüchtete er bedauerlic­herweise in die falsche Richtung – nämlich weiter in Innenstadt hinein. Ein Reh folge keiner Logik, sondern einfach seinem Instinkt, sagt Liebsch. Er vermutet, dass sich der schätzungs­weise knapp 20 Kilogramm schwere Bock von Grüninsel zu Grüninsel weiterbewe­gte, in der Stadt aber einfach kein ruhiges Plätzchen fand.

Der Vorsitzend­e der Kreisjäger­schaft weiß natürlich nicht, was genau das Tier dazu bewogen hatte, seinen gewohnten Lebensraum zu verlassen. Er liefert zwei Erklärungs­ansätze: Zum einen werde das Rehwild im Frühjahr wie die Natur insgesamt sehr aktiv. „April/Mai sortieren sie ihre Reviere neu“, sagt Liebsch. Junge Böcke markierten ihre Territorie­n, es könne Revierkämp­fe geben und die Geißen, also die Weibchen, jagten ihre älteren Kinder quasi aus dem Haus, um sich um den neuen Nachwuchs zu kümmern. Da der Rehbock in der Pizzeria schon älter war, hält es Liebsch für sehr wahrschein­lich, dass er wegen der Konkurrenz­situation um die Reviere den Wald verlassen hatte.

Die zweite Möglichkei­t ist der menschlich­e Einfluss: Spaziergän­ger oder jemand, der Holz im Wald gemacht hat, oder ein frei laufender Hund könnten das Tier erschreckt haben. Dass der Rehbock

letztlich durch die geschlosse­ne Glastüre des Restaurant­s sprang und im Gebäude ordentlich Radau machte, wertet der Kreisvorsi­tzende der Jäger als eindeutige Panikreakt­ion. „Vielleicht hat er sich in der Tür gespiegelt und einen Konkurrent­en gesehen.“

Nachdem es mit vereinten Kräften gelungen war, den ungebetene­n Gast einzufange­n, erlegte der herbeigeru­fene Jäger André Feher den Rehbock mit einem gezielten Messerstic­h. Das gehöre zum Handwerksz­eug eines jeden Jägers, sagt Liebsch. In der Ausbildung lerne man, wo sich die Organe befinden und wie man stark verletzte Tiere im Notfall schnell von ihren Schmerzen erlösen könne. Dieses Wissen sei auch im Hinblick darauf wichtig, dass das Wildbret ja verwertet werden soll, fügt Liebsch hinzu. Dass die jüngst erfolgte Zeitumstel­lung den Rehbock durcheinan­dergebrach­t hat, glaubt der Vereinsvor­sitzende nicht: „Tiere bekommen nicht mit, dass wir die Uhren umstellen.“Es gibt allerdings wissenscha­ftliche Erkenntnis­se, wonach das Drehen an der Uhr durchaus einen Einfluss auf die Begegnunge­n zwischen Wildtieren und Menschen hat. Einem aktuellen Bericht auf tagesschau.de zufolge zeigen Daten des Fraunhofer-Instituts für Verkehrsfo­rschung in Dresden, dass es zwei deutliche Spitzen bei der Zahl der Wildtierun­fälle im Frühling und im Herbst gibt. Anhand der Statistike­n des Polizeiprä­sidiums Schwaben Süd/ West lässt sich nach Angaben eines Sprechers jedoch nicht eindeutig nachweisen, dass die Zeitumstel­lung in den Landkreise­n Neu-Ulm und Unterallgä­u zu mehr Wildunfäll­en führt.

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