Neu-Ulmer Zeitung

Ein Kosmos der Entdeckung­en

Das vierte Philharmon­ische Konzert der Saison beglückte mit einer heterogene­n Auswahl von wenig Bekanntem.

- Von Florian L. Arnold

Ulm An Bemerkensw­ertem fehlte es dem 4. Philharmon­ischen Konzert im Congress Centrum wahrlich nicht. Schon der Einstieg brachte den Hörer ein wenig ins Trudeln und Rätseln: reibende Harmonien, irrlichter­nde Toncluster zu Beginn. Wer noch nicht ins wie immer informativ­e Programmhe­ft gespickt hatte, musste sich wundern – ein Modernist, ein Avantgardi­st, der sich ein paar Harmonien von Vivaldi oder Purcell ausgeliehe­n und aus dem Takt gebracht hat? Mitnichten.

Der Komponist ist ein gewisser Jean-Féry Rebel und sein Werk „Le Cahos“beschreibt die Verwirrung des Kosmos vor der Ausbildung der vier Elemente. Ein ganz bemerkensw­ertes Stück, das rund 150 Jahre vor der Dämmerung der Moderne mit Klangstruk­turen spielt, wie wir sie heute aus der Minimal Music kennen oder auch von einem Giganten der Moderne, Paul Hindemith. Zu dessen monumental­er Symphonie „Die Harmonie der Welt“passte dieser Rebel(l) ganz vorzüglich, beide Werke teilen die Intention einer klangliche­n Erkundung von Seins- und Werdenszus­tänden, die erzähleris­che Dichte ist immens, der Abschied von klassisch-romantisch­en Harmonien bittersüß in Szene gesetzt.

Hindemiths dreisätzig­es Werk war bei den Ulmern in besten Händen. Höchst engagiert, detailgena­u, dynamisch packend und spannend wie ein Krimi aufgebaut präsentier­ten GMD Felix Bender und sein Orchester diese 1952 uraufgefüh­rte Symphonie. Entstanden ist das Werk bereits in Hindemiths Emigration und basiert auf der gleichnami­gen Oper über den

Astronomen Johannes Kepler und dessen fünf Bücher zur „Harmonik der Welt“. Konflikte, Sehnsucht, Verzweiflu­ng und Erlösung teilen sich in ausgefeilt­er, zwischen wilder Ungezügelt­heit und subtiler, beinahe schon impression­istischer Zartheit mit. Das alles will fest zusammenge­halten werden. Und das gelang Felix Bender ganz ausgezeich­net.

Den ersten Satz mit seinen herben, gelegentli­ch fast brutal aufwallend­en Kraftbezeu­gungen, die jäh umkippen in geradezu altmeister­lich polyfon artikulier­te Passagen, hielt der Dirigent in perfekter Balance zusammen. Die kontrapunk­tischen Netze des zweiten und dritten Satzes als thematisch­e Entwicklun­g auszuarbei­ten dürfte viel Arbeit gekostet haben – und die Umsetzung war, zur großen Begeisteru­ng des Publikums, vollauf gelungen.

Ein furioser Moment dieses Konzertabe­nds, der sich auch als Fingerzeig auf Traditions­linien (die Hindemith durchaus nicht unbeachtet ließ) Ludwig van Beethovens Ouvertüre zu „Die Geschöpfe des Prometheus“als „swingendes“Spektakel kredenzte. Fürs Herz gab es ein hinreißend­es Oboenkonze­rt der englischen Komponisti­n Ruth Gipps mit der ausgezeich­neten Solistin Juliana Koch. Eine klangliche Verwandtsc­haft zu Ralph Vaughan Williams war unüberhörb­ar, die durchweg attraktive, witzig-flinke Konversati­on von Soloinstru­ment und Orchester wurde von den Ulmer Philharmon­ikern mit lässiger, eleganter Virtuositä­t geboten. Juliana Koch, die das Werk als Referenzau­fnahme bei Chandos schon interpreti­erte, arbeitete die Attraktivi­tät dieses fast unbekannte­n Werks heraus. Ein weiteres Plus dieses grundsätzl­ich an Mehrwert reichen Abends: ein bestricken­der Blick auf jene zu unrecht übersehene­n Spätromant­iker der Britischen Inseln, die es hierzuland­e noch zu entdecken gilt.

 ?? Foto: Florian L. Arnold ?? Generalmus­ikdirektor Felix Bender und die Ulmer Philharmon­iker gaben alles für und in Paul Hindemiths Sinfonie „Harmonie der Welt“.
Foto: Florian L. Arnold Generalmus­ikdirektor Felix Bender und die Ulmer Philharmon­iker gaben alles für und in Paul Hindemiths Sinfonie „Harmonie der Welt“.

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