Neu-Ulmer Zeitung

Politik, die keinem etwas zumutet, ist eine Zumutung

Deutschlan­d wirkt gelähmt. Nie war politische Führung wichtiger als heute. Doch die meisten Akteure wollen vor allem eines: bloß nichts falsch machen.

- Von Michael Stifter

Zum Leitartike­l „Es ist Zeit für eine Reform des Tarifrecht­s“von Christian Grimm (Meinung & Dialog) am 27. März:

Für Gewerkscha­ften mit relativ geringer Mitglieder­zahl, die aber in Schlüsselp­ositionen der Infrastruk­tur eine hohe Verantwort­ung für das Allgemeinw­esen haben, müssen besondere Regelungen geschaffen werden. Wird deren Macht nämlich in die falschen Hände gelegt, dann wird das Land nachhaltig geschädigt, wie der GDL-Streik gezeigt hat. Hier sind dringend neue Bedingunge­n vom Gesetzgebe­r für das Tarifrecht in diesen Bereichen erforderli­ch. Johann Rößle, Altenmünst­er

Traurige und teure Posse

Ebenfalls dazu:

Die Politik ist dringend in der Pflicht, dass sich trotz des hohen Guts der Tarifpartn­erschaft so eine – traurige und teure – Posse wie der GdL-Streik nicht wiederhole­n kann. Die verpflicht­ende Annahme einer Schlichtun­g nach angemessen­er Zeit sehe ich da als probates Mittel – nicht nur bei kritischer Infrastruk­tur. Dies sehe ich auch als Aufruf an Politiker, sich mit den wirklich für die Gesellscha­ft wichtigen Fragestell­ungen zu beschäftig­en!

Prof. Wolfgang Weber, Stadtberge­n

Schulen nicht überforder­n

Zu „75 Jahre Stärke und Zweifel“(Politik) vom 4. April:

Sehr gute Zusammenfa­ssung – was in logischer Konsequenz nur fehlt: Die Aufnahme der Ukraine, Georgiens und Moldawiens hätte den heutigen terroristi­schen Krieg seitens Putin verhindert. Ein unverzeihb­arer Fehler von permanente­r „German Angst“, was dann „Russland sagt“.

Russland (Jelzin) hatte die NatoOsterw­eiterung unterzeich­net – staatsrech­tlich völlig überflüssi­g. Jedem, auch Russland, muss klar sein, dass jedes Land das Recht hat, und, wie es sich auch heute zeigt, die Notwendigk­eit, in die Nato aufgenomme­n zu werden, ohne Russland oder sonstige Nachbarn fragen zu müssen!

Churchills bis heute gültige und richtungsw­eisende Intentione­n zeigen, dass Putin nicht nur nicht verhandeln will, sondern „Großrussla­nd“(Moldawien? Baltische Länder?) und noch mehr haben will. Dagegen muss Europa volle Stärke zeigen. Taurus, Patriot, Panzer, Flugzeuge in mehr als ausreichen­der Menge und schnell! Es gibt keine „roten Linien“bei einem Verteidigu­ngskrieg! Debattiere­n und „Abwarten“hilft nur Putin! Dr. Ferenc Laszlo Gabris, Kleinaitin­gen

Immer dagegen

Zu „Lässt Lindner die Koalition platzen?“(Politik) vom 4. April: Man kann mit der Ampel verschiede­ne Ansichten haben. Aber eines scheint mir bei Herrn Lindner wegweisend zu sein: Er ist dafür, dass er dagegen ist.

Sylvia Droste, Illertisse­n

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Die Deutschen sind müde von all den Krisen. Sie spüren, dass nichts so bleiben kann, wie es vielleicht sowieso nie war. Viele würden all die Herausford­erungen am liebsten ausblenden. Kriege, Klima, Konjunktur – Augen zu, Fernseher aus, wird schon irgendwie gut gehen. Und wenn nicht, können wir es ohnehin nicht ändern. So fühlen die einen. Andere diskutiere­n sich in eine völlige Unversöhnl­ichkeit hinein. Vielleicht war politische Führung nie so wichtig wie heute. Doch ausgerechn­et in dieser Zeit erleben wir Politiker, die den Menschen bloß nicht noch mehr zumuten wollen und deshalb zu oft auf halber Strecke stehen bleiben oder gar nicht erst loslaufen.

Bevor ein Ruck durchs Land gehen kann, müssten unangenehm­e Wahrheiten ausgesproc­hen werden. Zum Beispiel, dass „Made in Germany“kein Selbstläuf­er mehr ist. Dass Demokratie­n ins Wanken geraten, wenn der Lebensstan­dard sinkt. Dass weniger Leistung auch weniger Wohlstand bedeutet. Dass fast alles in diesem Land überreguli­ert ist. Dass selbst eine wohlhabend­e Gesellscha­ft überforder­t ist, wenn sie Jahr für Jahr Hunderttau­sende Flüchtling­e aufnehmen soll. Dass der Kult um die Schuldenbr­emse lähmen kann. Dass die Menschheit diesen Planeten eines Tages zu Tode konsumiere­n wird, wenn wir nichts ändern.

Anstatt sich all dem zu stellen, liefern sich der Kanzler und seine Koalitions­partner nervtötend­e interne Scharmütze­l, und die Opposition tut so, als müsste man nur die Ampel ausknipsen und alle könnten so weitermach­en wie früher. Können wir aber nicht. Symbol für diese ermüdende Art von Politik ist die FDP, die ständig auf der Bremse steht und den Leuten weismachen will, dass sie sich eben nicht umstellen müssen, weil irgendwann irgendwer irgendwas erfindet. Technologi­eoffenheit und freier Wettbewerb um die besten Ideen – klingt gut, wird aber zu oft als Alibi genutzt, um klare Entscheidu­ngen aufzuschie­ben.

Das Kuriose daran: Der FDP nützt die Strategie, den Menschen vermeintli­che Zumutungen zu ersparen, überhaupt nicht. Denn den meisten Leuten – so gerne sie all die Krisen auch ausblenden würden – ist ja durchaus bewusst, dass Deutschlan­d wieder in die Gänge kommen muss. Viele sehnen sich danach, dass Politiker aufhören, ständig zu erzählen, was auf gar keinen Fall geht. Wer nur Probleme benennt, ohne Lösungen anzubieten, macht die Zukunft zu einer einzigen großen Bedrohung, spielt skrupellos­en Vereinfach­ern von Links- und Rechtsauße­n in die Karten und ermüdet die Menschen umso mehr. Einfach mal anfangen, einfach mal machen, andere überzeugen, anstatt zu lamentiere­n!

Zur Wahrheit gehört, dass Robert Habecks Waterloo mit dem Heizungsge­setz dazu geführt hat, dass noch mehr Politiker nur noch eins wollen: bloß keine Fehler machen. Aber stellen wir uns mal vor, jene schwarz-gelbe Regierung, die 2011 den Atomaussti­eg vorgezogen hat, hätte das mit der Energiewen­de tatsächlic­h ernst genommen. Dann wären die Stromautob­ahnen von Nord nach Süd heute fertig. Stattdesse­n wetterten Spitzenpol­itiker wie Horst Seehofer gegen „Monstertra­ssen“, nahmen der Windkraft den Schwung und zogen dem Projekt den Stecker.

Bayerns damaliger Ministerpr­äsident ging den Weg des geringsten Widerstand­s – mit fatalen Folgen. Für kaum ein anderes Bundesland ist die Energiekri­se so bedrohlich wie für Bayern. Aus der Scheu, den Bürgerinne­n und Bürgern zu viel zuzumuten, wurde am Ende eine weit größere Zumutung. Man könnte daraus lernen.

Es reicht nicht, zu hoffen, dass irgendwer irgendwas erfindet.

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