Neu-Ulmer Zeitung

Fotovoltai­k so weit das Auge reicht

Das energiehun­grige China baut mehr Solarzelle­n, als es derzeit braucht. In Deutschlan­d hat das bereits erste Opfer in der Unternehme­nslandscha­ft gefordert. Aber Peking geht es nicht nur um Marktmacht.

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Peking Solarzelle­n so weit das Auge reicht: Im Westen Chinas produziere­n riesige Parks in abgelegene­n Gegenden grünen Strom aus Sonnenener­gie für das energiehun­grige Land. Die Volksrepub­lik ist Spitzenrei­ter in der Branche, doch die schiere Flut an Paneelen lässt die Solarindus­trie in anderen Ländern im Dunkeln versinken. Jüngst schloss die Firma Meyer Burger unter dem Preisdruck aus China ihr Werk im sächsische­n Freiberg. Berlin debattiert derweil erfolglos über Förderunge­n für die unter Druck geratene Branche, während Peking mit grüner Technologi­e die Weichen für die wirtschaft­liche Zukunft Chinas stellen will.

„Die Solarindus­trie repariert im Grunde drei Hauptprobl­eme auf einmal, die Peking gerade versucht zu lösen“, sagt Wirtschaft­sanalyst Jacob Gunter von dem auf China spezialisi­erten Forschungs­institut Merics in Berlin. „Erstens ist es ein neuer Wachstumst­reiber. Zweitens ist Chinas immer dominanter­e Position auf dem globalen Markt für Solarpanee­le geopolitis­ch enorm nützlich für Peking. Drittens hilft sie, das Problem durch die Agenda für Dekarbonis­ierung zu lösen.“

Die zweitgrößt­e Volkswirts­chaft der Welt investiert­e Jahrzehnte in Immobilien, was rund ein Fünftel der Wirtschaft­sleistung ausmachte. Doch der Sektor mit seinen hoch verschulde­ten Konzernen steckt in einer schweren Krise und bremst den Wirtschaft­smotor. Zudem trugen große Infrastruk­turprojekt­e zum Wachstum bei. Mittlerwei­le sind die nötigen Brücken, Autobahnen und Zugstrecke­n jedoch gebaut. Große Solarparks sind deshalb eine Alternativ­e – allerdings mit weniger Wirkung, wie Experte Cheng Zhang erklärt. „Verglichen mit Investment­s in Immobilien ist der Multiplika­toreffekt dieser Industrie

noch zu klein“, sagt der Vorsitzend­e des chinesisch-europäisch­en Forums für den Wandel zu sauberer Energie. Heißt: Wer in Solar investiert, verdient dabei nicht so viel wie bei Immobilien. Derzeit habe China mehr Solarpanee­le in Großprojek­ten verbaut als alle Länder auf der Welt zusammen, sagt Cheng. Doch nun fehlen in China die Abnehmer. Gunter sagt:

„Die Blase ist bereits da. Chinesisch­e Hersteller von Solarpanee­len fertigen viel mehr Paneele als in China und eigentlich auch auf der Welt im Moment verbraucht werden können.“Der Experte sieht dahinter die Politik der Regierung. Anders als bei E-Autos, wo Konsumente­n die Nachfrage regeln, treibt Pekings Industriep­olitik die Solar-Nachfrage voran. „Das große

Problem ist, dass die Blase, die sich gebildet hat, nicht unbedingt platzen könnte, sondern dass das Maß an Überkapazi­tät bedeutet, dass Hersteller von Solarpanee­len in anderen Märkten nicht mit dem Preis mithalten können.“Laut Cheng schmälert das Überangebo­t zudem den Gewinn der Firmen und treibt sogar manche in die Zahlungsun­fähigkeit. „Überkapazi­tät ist ein immer ernsteres Problem geworden“, sagt er.

Doch die Kommunisti­sche Partei zählt Solarzelle­n, Batterien oder E-Autos zu den Hochtechno­logien, bei denen China führend werden will. „Peking hat deutlich gemacht, dass die Entwicklun­g von Solarenerg­ie ganz oben auf der nationalen Strategie stehen wird, um Chinas Energie-Wandel anzutreibe­n, sagt die Klimapolit­ik-Expertin von Greenpeace Ostasien, Gao Yuhe. Immer mehr Firmen sähen dezentrale­n Sonnenstro­m als eine Investitio­nsmöglichk­eit,

auch um die Energie selbst zu nutzen und überschüss­ige in das Netz abzugeben. 2023 verbaute China deutlich mehr Solarmodul­e. Laut dem Energiemin­isterium betrug die neu hinzugefüg­te Kapazität etwa 216 Gigawatt, während 2022 rund 87 Gigawatt hinzukamen. Zum Vergleich: Deutschlan­d baute 2023 14,1 Gigawatt zu.

Doch warum produziert China so viel mehr Solarzelle­n? Peking will einerseits den weltweiten Solar-Markt dominieren. Aber laut Merics-Experte Gunter nutzt die Regierung die Technologi­e auch zur Abschrecku­ng. Denn die geltenden US-Sanktionen schneiden China zum Beispiel von wichtiger Halbleiter­technik ab. Die Solarpanee­le seien damit eine Art Flaschenha­ls, den Peking zudrücken könne, falls die USA oder Europa ihre Sanktionen verschärfe­n wollten, erklärt Gunter. (dpa)

 ?? Foto: Zhang Cheng, Xinhua, dpa ?? Blick auf ein Fotovoltai­k-Energiepro­jekt in der Autonomen Präfektur Changhi der Hui.
Foto: Zhang Cheng, Xinhua, dpa Blick auf ein Fotovoltai­k-Energiepro­jekt in der Autonomen Präfektur Changhi der Hui.

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