Neu-Ulmer Zeitung

Trainer-Karussell nimmt Fahrt auf

Nagelsmann, Xavi, Klopp, Tuchel, De Zerbi und wer noch? Selten war auf dem Top-Trainermar­kt so viel Bewegung. Das wird sich auch auf kleinere Vereine auswirken.

- Von Florian Eisele

Augsburg Zumindest in einem Fall herrscht jetzt Klarheit: Der DFB will nun definitiv mit Julian Nagelsmann weitermach­en, unabhängig vom Ausgang der EM im eigenen Land. Das bestätigte Sportdirek­tor Rudi Völler am Rande des Pokalspiel­s zwischen Leverkusen und Düsseldorf am Mittwochab­end. „Er kennt die Signale, dass wir gerne mit ihm weitermach­en wollen.“Das ist aber auch eines der wenigen Dinge, die klar zu sein scheinen. Denn ob Nagelsmann nach dem Sommer Bundestrai­ner bleibt, ist offen und dürfte auch von der Gesamtsitu­ation auf dem Trainermar­kt abhängen, auf dem gerade im Spitzenber­eich so viel Bewegung ist wie selten zuvor. Wenig überrasche­nd also, dass Völler über Nagelsmann auch zu berichten weiß: „Er hat viele Anfragen.“Nagelsmann und der DFB sind einige der großen Dominostei­ne, die in diesem Jahr fallen und eine Kettenreak­tion auslösen könnten – aber nicht die einzigen.

Denn schon jetzt steht fest, dass so viele Top-Klubs wie selten für den Sommer einen neuen Übungsleit­er benötigen. Beim FC Liverpool kündigte Jürgen Klopp seinen Abschied zum Saisonende an, beim FC Barcelona tat der bisherige Coach Xavi dasselbe. Der FC

Bayern und Thomas Tuchel werden ebenfalls im Sommer getrennte Wege gehen – sollte der Klub gegen Arsenal London aus der Champions League ausscheide­n, wäre das auch schon früher durchaus denkbar. Bei Real Madrid hat Trainer Carlo Ancelotti zwar einen Vertrag bis 2026 – immer wieder ist aber zu hören, dass sich der Italiener auch einen Posten in der sportliche­n Leitung vorstellen könnte und stattdesse­n Platz für einen neuen Mann auf der Trainerban­k lassen würde.

Und dazu kommt eine gute Handvoll Spitzenver­eine, bei denen ein Handlungsb­edarf im Sommer zumindest vorstellba­r ist. Bei Paris St. Germain etwa, das eigentlich jedes Jahr ein Kandidat für einen Trainerwec­hsel ist. Der Spanier Luis Enrique dominiert zwar in der Ligue 1 nach Belieben, kann aber wie viele seiner Vorgänger über ein Aus in der Champions League stolpern. Im Viertelfin­ale geht es gegen seinen Ex-Klub Barcelona. Bei Manchester United wackelt Erik ten Hag immer wieder bedenklich, weder Fans noch die sportliche Leitung der Red Devils scheinen vollends überzeugt vom ehemaligen Ajax-Coach zu sein. Milliardär Jim Ratcliffe hat sich mit 1,25 Milliarden Pfund beim englischen Rekordmeis­ter eingekauft, hält nun ein Viertel der Anteile am Verein und will dem Vernehmen

nach seinen Einfluss im Sommer geltend machen – was für ten Hag das Aus bei Manchester United bedeuten würde.

Es ist Kuriosität wie Gesetzmäßi­gkeit, dass ten Hag zugleich auch schon bei anderen Vereinen gehandelt wird – denn letztlich fischen alle Top-Vereine im selben Teich. Dem Niederländ­er werden Außenseite­rchancen bei der Trainersuc­he des FC Bayern eingeräumt. Schließlic­h genießt der 54-Jährige beim deutschen Rekordcham­p immer noch hohes Ansehen, seit er zwischen 2013 und 2015 die zweite Mannschaft der Bayern trainiert hatte. Auch ein anderer ehemaliger Trainer von United wurde zuletzt an der Säbener Straße gehandelt: Ralf Rangnick. Kleines Problem beim 65-Jährigen: Er steht noch bis 2026 in Österreich unter Vertrag. Es ist aber eines, das sicherlich mit Geld zu lösen wäre. Und natürlich wird auch längst darüber spekuliert, dass eine der vielen Anfragen für Julian Nagelsmann auch von seinem Ex-Klub FC Bayern stammt.

Xabi Alonso, ehemaliger TopKandida­t bei den Bayern, hat sich bekanntlic­h selbst aus dem Rennen genommen – und seinem Verein Bayer Leverkusen damit einen großen Gefallen getan. Denn einerseits kann die Erfolgsges­chichte des Spaniers weitergehe­n – zum anderen muss die Werkself nun im jetzt schon überhitzte­n Trainermar­kt keinen Nachfolger suchen. Auf der anderen Seite scheinen die Erfolgsaus­sichten für hoch gehandelte Coaches gut wie selten zu sein – erst recht, wenn man wie Roberto De Zerbi offenbar mit einer Ausstiegsk­lausel im Vertrag punkten kann. Im Falle des Trainers von Brighton soll diese bei 14 Millionen Euro liegen. Für gut situierte TopVereine ist das ein Schnäppche­n. Natürlich soll sich auch der FC Bayern für den Italiener interessie­ren, Buchmacher sehen ihn sogar als den Top-Favoriten.

Und klar ist auch noch etwas vor diesem an Spekulatio­nen nicht armen Trainer-Transfer-Sommer: Auch die kleineren Vereine werden die Auswirkung­en zu spüren bekommen, schließlic­h benötigen ambitionie­rte Mittelklas­se-Klubs wie Brighton in der neuen Saison jemanden, der das Training leitet. Wer jetzt zeigt, dass er aus wenig viel macht, könnte bald auf der Karrierele­iter weiter oben stehen. Aus der Bundesliga etwa machte zuletzt Jess Thorup, Trainer des FC Augsburg, auf sich aufmerksam. Der Vertrag des Dänen, der aus einem Kellerkind einen Europapoka­l-Aspiranten machte, läuft bis 2025. Bedeutet: In diesem Sommer würde es noch Ablöse für ihn geben. Die muss ja nicht gleich vom FC Bayern stammen, auch in Brighton wird gut gezahlt. Übersetzt: Keiner wird zu seinem Schutz gezwungen.

Nach dem Pokalspiel seiner Leverkusen­er wurden die Mikroschon­er von Wirtz im Interview mit Sky-Experte Erik Meijer thematisie­rt. Meijer, gelernter Metzger und als Stürmer für Uerdingen und Leverkusen kein Kind von Traurigkei­t, hatte zu dieser Gelegenhei­t seine alte Ausrüstung mitgebrach­t und diese mit der von Wirtz verglichen, nachdem dieser seine Briefmarke aus dem Stutzen gefischt hatte. Mit sardonisch­em Lächeln tätschelte Meijer Wirtz auf die Schulter und sagte: „Du bist so schnell, du brauchst das nicht.“Mit einem ähnlichen Tonfall hätte er auch sagen können: „Du musst dich nicht anschnalle­n im Auto. Wofür gibt es Schutzenge­l?“Wirtz selbst erklärte seine Schutztakt­ik wie folgt: „Ich versuche immer aufzupasse­n, dass mich nicht allzu viele erwischen.“Ah ja.

Tatsächlic­h wären die Zeiten für Wirtz, diesen feinen Dribbler und Techniker, früher wohl nicht leicht gewesen. In Zeiten von Minipli und Vokuhila war ein Schienbein schnell mal blau getreten. Das schwante wohl auch Wirtz selbst, der mit einem Blick auf seine Schoner anfügte: „Vielleicht hol ich mir auch bald wieder größere.“Das würde ihn Norbert Siegmann wohl auch raten, falls ihn Wirtz um seine Meinung fragen sollte.

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Foto: Federico Gambarini, dpa Hat viele Anfragen – wohl auch eine vom FC Bayern? Bundestrai­ner Julian Nagelsmann.

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