Neu-Ulmer Zeitung

Baby stirbt nach Geburt: Kurz war alles gut

Lia kommt in Neu-Ulm zur Welt, nach ihrem Tod ermitteln Polizei und Staatsanwa­ltschaft. Wie umgehen mit derartigen Schicksale­n? Die Eltern wollen, dass so etwas nie mehr passiert.

- Von Michael Kroha

Neu-Ulm „Vier Stunden lang dachten wir, es ist alles gut“, sagt Steffen Ilsanker. Am 28. April vergangene­n Jahres brachte seine Lebensgefä­hrtin ihr zweites gemeinsame­s Kind zur Welt. Um 1.23 Uhr wurde Lia in der Donauklini­k Neu-Ulm geboren. 52 Zentimeter groß, 3185 Gramm schwer. Alles schien in Ordnung, die Familie war überglückl­ich. Doch keine 54 Stunden später war das Baby tot. Und die Eltern kämpfen seither um die Aufklärung der Umstände. Sie wollen, dass so etwas nie wieder passiert. Polizei und Staatsanwa­ltschaft ermittelte­n und stellten Fehler fest. Zur Anklage aber kommt es nicht.

Die Schwangers­chaft sei ohne Zwischenfä­lle verlaufen, erzählt der 37-Jährige. Weil das Kind im Bauch der Mutter nicht richtig lag, wurde es etwa drei Wochen vor der Geburt von Spezialist­en an der Donauklini­k gedreht, ohne bekannte Probleme. In einer Nacht zum Freitag war es dann so weit. Der mittlerwei­le fünfjährig­e Sohn des Paares sollte eine Schwester bekommen. Es war eine natürliche, spontane Geburt ohne Zwischenfä­lle, die Mutter war wohlauf. Und alle gingen zunächst davon aus, dass es auch dem Kind gut geht.

Laut einem Gedächtnis­protokoll, das Ilsanker später aufschreib­t, wurde er jedoch schon wenige Augenblick­e später stutzig.

„Ist das normal, dass meine Tochter so blau ist?“, habe er gefragt. Die Reaktion der Hebamme sei gewesen: Ja, das Baby müsse sich erst an die neue Umgebung gewöhnen. Kurz darauf habe Lia das erste Mal geschrien. Doch irgendwas stimmte nicht. Das Neugeboren­e wirkte Stunden danach immer noch bläulich. Das belegen Fotos. Bei einer ersten Messung der Sauerstoff­sättigung soll das Gerät einen Wert von 35 angezeigt haben. In der Regel aber steigt dieser Wert bereits wenige Minuten nach der Geburt auf über 90 Prozent.

Die Hebamme habe am Gerät gezweifelt. Mehrmals sei gemessen worden, auch mit anderen Geräten, aber der Wert habe sich nicht wesentlich verändert. Gegen 5.30 Uhr wurde der Notarzt der Ulmer Kinderklin­ik informiert. Der vermutete einen Herzfehler, was sich bewahrheit­ete. Lia kam an die Kinderklin­ik am Michelsber­g, dann mit dem Rettungswa­gen nach Stuttgart, wo sie am Olgahospit­al „erfolgreic­h“notoperier­t wurde. Zu retten war sie aber nicht mehr: Das Mädchen starb am 30. April um 7.19 Uhr. Wenn Ilsanker von den letzten Momenten mit seiner Tochter berichtet, stockt ihm der Atem.

„Ich bin dieser Hebamme oder dem Oberarzt nicht böse“, sagt er. Und dennoch stellte er Strafanzei­ge gegen beide. Er wirft ihnen vor, nicht rechtzeiti­g richtig gehandelt zu haben. Wenn früher der Notruf abgesetzt worden wäre, hätte ihre

Tochter womöglich gerettet werden können, glaubt er. Lia sei die Chance genommen worden, zu überleben.

Dass Menschen Fehler machen, ist dem gelernten Versicheru­ngskaufman­n bewusst. Ihm missfällt aber vor allem, wie in Neu-Ulm mit dem Schicksal seiner Familie umgegangen worden sei. So seien mehrere Angaben im Mutterpass falsch. Und als Ilsanker deswegen wenige Tage nach dem Tod seiner Tochter das Gespräch mit der Donauklini­k suchen wollte, soll ihm gesagt worden sein, dass er ein Eingeständ­nis, eine Entschuldi­gung oder gar eine Aufklärung nie bekommen werde. Ilsanker wirft der Klinik vor, die Sache klein halten, womöglich gar „vertuschen“zu wollen. Die Betreuung in Ulm und Stuttgart sei hingegen tadellos gewesen.

Die Kreisspita­lstiftung Weißenhorn widerspric­ht. „Ich darf Ihnen versichern, dass mit allen Beteiligte­n eine intensive interne Aufarbeitu­ng stattfand. Die Abteilung war und ist kooperativ in der Aufklärung der Sachlage“, so eine Sprecherin. Eine vollumfäng­liche Kooperatio­n mit den Behörden sei selbstvers­tändlich. Die Sprecherin gibt zu bedenken, dass bisher weder juristisch noch gutachterl­ich ein Behandlung­sfehler nachgewies­en wurde. Es handle sich nach wie vor um ein schwebende­s Verfahren. Weder die Hebamme noch der behandelnd­e Arzt seien vom Dienst freigestel­lt worden. „Anlass zu Misstrauen oder Konsequenz­en gegenüber Mitarbeite­nden besteht aus Sicht der Klinikleit­ung nicht“, heißt es.

Die Ermittlung­en wegen des Verdachts der fahrlässig­en Tötung sind inzwischen eingestell­t, wie ein Sprecher der Staatsanwa­ltschaft Memmingen am Donnerstag mitteilt, sowohl gegen den Oberarzt als auch gegen die Hebamme.

Bei ihr stellte ein medizinisc­her Sachverstä­ndiger zwar eine Verletzung der Sorgfaltsp­flicht fest, sie hätte früher reagieren müssen. Zu einer Anklage kommt es aber nicht. Eine Kausalität zwischen der Sorgfaltsp­flichtverl­etzung und dem Todeseintr­itt sei nicht mit der „erforderli­chen Sicherheit nachweisba­r“, so die zuständige Staatsanwä­ltin in ihrer Begründung, die unserer Redaktion vorliegt. Es könne wegen der Schwere des Herzfehler­s nicht ausgeschlo­ssen werden, dass das Kind bei frühzeitig­erer fachgerech­ter Behandlung ebenfalls verstorben wäre. Auch einen Anfangsver­dacht gegen die Frauenärzt­in, die bei Ultraschal­luntersuch­ungen während der Schwangers­chaft den Herzfehler womöglich hätte sehen können, sieht die Behörde als „nicht begründet“ an. Lange hätten sich Ilsanker und seine Freundin dagegen gesträubt, die Presse einzuschal­ten. Als sie im Sommer ein Charity-Turnier im Namen ihrer Lia im Golfclub Reischenho­f in Wain veranstalt­eten, habe es Anfragen gegeben. Doch das Paar aus Erbach habe abgelehnt. „Zum Schutz, wir wollten das noch nicht.“Inzwischen denkt Ilsanker anders. Seit dem Tod seiner Tochter ist er krankgesch­rieben. Seine Frau leide genauso. Erhofft hätten sie sich eine Anklage. Seit der Entlassung aus der Klinik hätten sie keinen Kontakt mehr zur Hebamme oder dem Oberarzt gehabt. Aufklärung habe er nun. Ob er damit zufrieden ist oder ihm das reicht? „Kommt darauf an, wie viel Kraft ich noch aufwenden kann“, sagt er.

Zivilrecht­lich will Ilsanker noch klagen, und er rechnet fest mit einem Erfolg. Um Geld gehe es ihm aber nicht, das werde er spenden. Er vermutet strukturel­le Probleme innerhalb der Kliniken. Und die Hebamme? Die ist „auch nur ein Mensch“, sagt Ilsanker. Er hätte sich gewünscht, dass sich die Beteiligte­n „stellen“, und glaubt, dass es auch der Hebamme guttun würde, miteinande­r darüber zu reden. Hätte je ein Gespräch stattgefun­den, wäre es womöglich nie so weit gekommen. Ihre Tür stehe offen, sagt Ilsanker. Mit unserer Redaktion wollte die Hebamme nicht sprechen. In drei Wochen wäre Lias erster Geburtstag gewesen.

Sorgfaltsp­flicht verletzt: Zu einer Anklage kommt es aber nicht.

 ?? Foto: Steffen Ilsanker ?? Wegen eines gravierend­en Herzfehler­s muss Lia nach ihrer Geburt in der Donauklini­k in Neu-Ulm im Olgahospit­al in Stuttgart operiert werden. Wenige Stunden später stirbt sie.
Foto: Steffen Ilsanker Wegen eines gravierend­en Herzfehler­s muss Lia nach ihrer Geburt in der Donauklini­k in Neu-Ulm im Olgahospit­al in Stuttgart operiert werden. Wenige Stunden später stirbt sie.

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