Baby stirbt nach Geburt: Kurz war alles gut
Lia kommt in Neu-Ulm zur Welt, nach ihrem Tod ermitteln Polizei und Staatsanwaltschaft. Wie umgehen mit derartigen Schicksalen? Die Eltern wollen, dass so etwas nie mehr passiert.
Neu-Ulm „Vier Stunden lang dachten wir, es ist alles gut“, sagt Steffen Ilsanker. Am 28. April vergangenen Jahres brachte seine Lebensgefährtin ihr zweites gemeinsames Kind zur Welt. Um 1.23 Uhr wurde Lia in der Donauklinik Neu-Ulm geboren. 52 Zentimeter groß, 3185 Gramm schwer. Alles schien in Ordnung, die Familie war überglücklich. Doch keine 54 Stunden später war das Baby tot. Und die Eltern kämpfen seither um die Aufklärung der Umstände. Sie wollen, dass so etwas nie wieder passiert. Polizei und Staatsanwaltschaft ermittelten und stellten Fehler fest. Zur Anklage aber kommt es nicht.
Die Schwangerschaft sei ohne Zwischenfälle verlaufen, erzählt der 37-Jährige. Weil das Kind im Bauch der Mutter nicht richtig lag, wurde es etwa drei Wochen vor der Geburt von Spezialisten an der Donauklinik gedreht, ohne bekannte Probleme. In einer Nacht zum Freitag war es dann so weit. Der mittlerweile fünfjährige Sohn des Paares sollte eine Schwester bekommen. Es war eine natürliche, spontane Geburt ohne Zwischenfälle, die Mutter war wohlauf. Und alle gingen zunächst davon aus, dass es auch dem Kind gut geht.
Laut einem Gedächtnisprotokoll, das Ilsanker später aufschreibt, wurde er jedoch schon wenige Augenblicke später stutzig.
„Ist das normal, dass meine Tochter so blau ist?“, habe er gefragt. Die Reaktion der Hebamme sei gewesen: Ja, das Baby müsse sich erst an die neue Umgebung gewöhnen. Kurz darauf habe Lia das erste Mal geschrien. Doch irgendwas stimmte nicht. Das Neugeborene wirkte Stunden danach immer noch bläulich. Das belegen Fotos. Bei einer ersten Messung der Sauerstoffsättigung soll das Gerät einen Wert von 35 angezeigt haben. In der Regel aber steigt dieser Wert bereits wenige Minuten nach der Geburt auf über 90 Prozent.
Die Hebamme habe am Gerät gezweifelt. Mehrmals sei gemessen worden, auch mit anderen Geräten, aber der Wert habe sich nicht wesentlich verändert. Gegen 5.30 Uhr wurde der Notarzt der Ulmer Kinderklinik informiert. Der vermutete einen Herzfehler, was sich bewahrheitete. Lia kam an die Kinderklinik am Michelsberg, dann mit dem Rettungswagen nach Stuttgart, wo sie am Olgahospital „erfolgreich“notoperiert wurde. Zu retten war sie aber nicht mehr: Das Mädchen starb am 30. April um 7.19 Uhr. Wenn Ilsanker von den letzten Momenten mit seiner Tochter berichtet, stockt ihm der Atem.
„Ich bin dieser Hebamme oder dem Oberarzt nicht böse“, sagt er. Und dennoch stellte er Strafanzeige gegen beide. Er wirft ihnen vor, nicht rechtzeitig richtig gehandelt zu haben. Wenn früher der Notruf abgesetzt worden wäre, hätte ihre
Tochter womöglich gerettet werden können, glaubt er. Lia sei die Chance genommen worden, zu überleben.
Dass Menschen Fehler machen, ist dem gelernten Versicherungskaufmann bewusst. Ihm missfällt aber vor allem, wie in Neu-Ulm mit dem Schicksal seiner Familie umgegangen worden sei. So seien mehrere Angaben im Mutterpass falsch. Und als Ilsanker deswegen wenige Tage nach dem Tod seiner Tochter das Gespräch mit der Donauklinik suchen wollte, soll ihm gesagt worden sein, dass er ein Eingeständnis, eine Entschuldigung oder gar eine Aufklärung nie bekommen werde. Ilsanker wirft der Klinik vor, die Sache klein halten, womöglich gar „vertuschen“zu wollen. Die Betreuung in Ulm und Stuttgart sei hingegen tadellos gewesen.
Die Kreisspitalstiftung Weißenhorn widerspricht. „Ich darf Ihnen versichern, dass mit allen Beteiligten eine intensive interne Aufarbeitung stattfand. Die Abteilung war und ist kooperativ in der Aufklärung der Sachlage“, so eine Sprecherin. Eine vollumfängliche Kooperation mit den Behörden sei selbstverständlich. Die Sprecherin gibt zu bedenken, dass bisher weder juristisch noch gutachterlich ein Behandlungsfehler nachgewiesen wurde. Es handle sich nach wie vor um ein schwebendes Verfahren. Weder die Hebamme noch der behandelnde Arzt seien vom Dienst freigestellt worden. „Anlass zu Misstrauen oder Konsequenzen gegenüber Mitarbeitenden besteht aus Sicht der Klinikleitung nicht“, heißt es.
Die Ermittlungen wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung sind inzwischen eingestellt, wie ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Memmingen am Donnerstag mitteilt, sowohl gegen den Oberarzt als auch gegen die Hebamme.
Bei ihr stellte ein medizinischer Sachverständiger zwar eine Verletzung der Sorgfaltspflicht fest, sie hätte früher reagieren müssen. Zu einer Anklage kommt es aber nicht. Eine Kausalität zwischen der Sorgfaltspflichtverletzung und dem Todeseintritt sei nicht mit der „erforderlichen Sicherheit nachweisbar“, so die zuständige Staatsanwältin in ihrer Begründung, die unserer Redaktion vorliegt. Es könne wegen der Schwere des Herzfehlers nicht ausgeschlossen werden, dass das Kind bei frühzeitigerer fachgerechter Behandlung ebenfalls verstorben wäre. Auch einen Anfangsverdacht gegen die Frauenärztin, die bei Ultraschalluntersuchungen während der Schwangerschaft den Herzfehler womöglich hätte sehen können, sieht die Behörde als „nicht begründet“ an. Lange hätten sich Ilsanker und seine Freundin dagegen gesträubt, die Presse einzuschalten. Als sie im Sommer ein Charity-Turnier im Namen ihrer Lia im Golfclub Reischenhof in Wain veranstalteten, habe es Anfragen gegeben. Doch das Paar aus Erbach habe abgelehnt. „Zum Schutz, wir wollten das noch nicht.“Inzwischen denkt Ilsanker anders. Seit dem Tod seiner Tochter ist er krankgeschrieben. Seine Frau leide genauso. Erhofft hätten sie sich eine Anklage. Seit der Entlassung aus der Klinik hätten sie keinen Kontakt mehr zur Hebamme oder dem Oberarzt gehabt. Aufklärung habe er nun. Ob er damit zufrieden ist oder ihm das reicht? „Kommt darauf an, wie viel Kraft ich noch aufwenden kann“, sagt er.
Zivilrechtlich will Ilsanker noch klagen, und er rechnet fest mit einem Erfolg. Um Geld gehe es ihm aber nicht, das werde er spenden. Er vermutet strukturelle Probleme innerhalb der Kliniken. Und die Hebamme? Die ist „auch nur ein Mensch“, sagt Ilsanker. Er hätte sich gewünscht, dass sich die Beteiligten „stellen“, und glaubt, dass es auch der Hebamme guttun würde, miteinander darüber zu reden. Hätte je ein Gespräch stattgefunden, wäre es womöglich nie so weit gekommen. Ihre Tür stehe offen, sagt Ilsanker. Mit unserer Redaktion wollte die Hebamme nicht sprechen. In drei Wochen wäre Lias erster Geburtstag gewesen.
Sorgfaltspflicht verletzt: Zu einer Anklage kommt es aber nicht.