Hilfe beim Leben mit Depression
Vor gut zehn Jahren wurde in Neu-Ulm die Selbsthilfegruppe Depression gegründet. Jetzt ziehen die Initiatoren eine erste Bilanz.
Pfuhl Joachim Schmidt lebte ein erfolgreiches Leben: Er war Studienleiter der Evangelischen Akademie Tutzing, Direktor der evangelischen Fachschule für Sozialpädagogik, Mitbegründer des MarieLuise-Kaschnitz-Preises. Dann kam eine schwere Depression, die die Aufgabe aller Positionen erzwang. Schmidt und seine Frau Renate zogen in eine Wohnung nach Pfuhl, gründeten Ende 2013 die „Selbsthilfegruppe Depression für Betroffene und Angehörige“. Nach gut zehn Jahren zieht Schmidt ein Fazit.
Eine solche Gruppe für depressive Menschen und deren Angehörige gab es nämlich zuvor in der Region nicht, also blieb dem Ehepaar, das zwei erwachsene Söhne hat, nichts anderes übrig, als selbst eine solche Gruppe zu gründen. „Oft sind es die eigenen Angehörigen, die diese Krankheit nicht verstehen“, sagt Schmidt, und seine Frau ergänzt: „Oder verstehen wollen“, was oft auch mit Selbstschutz zu tun habe. „Manche Ehe hält nicht aus, was Depression bedeutet“, erklärt Renate Schmidt.
Auch Beziehungen nach außen, zu Bekannten und Freunden, können an der Erkrankung kaputtgehen. Er könne sich gut erinnern an Momente, in denen Bekannte auf der Straße bei zufälligen Begegnungen fragen, wie es ihm gehe. „Wollen Sie das wirklich hören?“, konnte Schmidt dann provokativ offen zurückfragen. Denn der erste Schritt, der einen Weg aus der lähmenden und verzweifelten Situation heraus Richtung einer Heilung möglich machen kann, ist der der Akzeptanz: „Ich bin depressiv.“
Ein weiterer großer Schritt war in all den Verlusten die Erkenntnis, „was ich noch habe“, so Joachim Schmidt: Seine Frau hielt zu ihm, saß oft stundenlang stumm neben ihm auf dem Sofa, war einfach da. „Und ich habe eine Rente, die – wenn auch mit Abzügen – zum Leben reicht.“Solange man sich in
Begriffe wie „Burn-out“fliehe, meide man solche Erkenntnisse.
Während Joachim Schmidt damals schnell einen Therapieplatz bekam, gehörte seine Frau Renate zu jener Gruppe, die Schmidt als „vernachlässigte Gruppe“sieht – den Angehörigen, die erkennen, dass durch die Krankheit alles anders geworden ist als früher, die lernen müssen, diese Situation anzunehmen und sich dabei sehr allein fühlen. „Die Gruppe hilft, das Krankheitsbild wahrzunehmen“, erklärt Renate Schmidt. Man begreife, dass andere im Umgang mit dem depressiven Ehepartner, Elternteil oder Kind ganz ähnliche Erfahrungen machen. Depressive seien oft sehr, sehr sensibel, gar übersensibel, schildert Renate Schmidt. Der Betroffene nehme zum Beispiel Worte als Trigger und als gegen sich gerichtet wahr, obwohl sie so nicht gemeint seien.
Corona sei für die meisten Mitglieder der Selbsthilfegruppe eine sehr schwere Zeit gewesen, ist sich das Ehepaar einig. „Der depressive Mensch lebt ja sowieso in sich eingeschlossen. Dann kam mit Corona ein zweiter Einschluss. Es war doppeltes Eingeschlossensein“, resümiert Schmidt. Es habe sich angefühlt „wie in einem Film“. „Ich war abwesend.“Renate Schmidt wirft ein, dass sie beide aber – wann immer möglich – auch das Außen suchten, im Rahmen von Spaziergängen, draußen in einem Café sitzend. Und dass ein Netzwerk von Freunden und Familie in der Depression extrem wichtig sei.
Die Selbsthilfegruppe, die das Ehepaar Schmidt seit zehn Jahren leitet und in der sich Menschen zwischen 20 und 75 Jahren treffen, führt aktuell eine Warteliste. In dringenden Situationen könne man gegebenenfalls jemanden aufnehmen. Die eigene Selbsthilfegruppe für junge Betroffene kann derzeit gar keine weiteren Menschen aufnehmen. Im Notfall, rät Schmidt, sollen sich Betroffene an die Telefonseelsorge oder auch an das Ulmer Selbsthilfebüro KORN wenden, das einen Überblick über alle Selbsthilfegruppen und Ansprechpartner hat.