Ein Kulturort dreht auf
Das Aegis Café will ein Dreh- und Angelpunkt der freien Kulturszene werden und bietet ein riesiges Sommerprogramm mit Konzerten, Lesungen und Mitmachformaten.
Ulm Quietschbunte Pop-Art im Comicstyle – der Stil des New Yorker Künstlers James Rizzi ist unverwechselbar. Die Galerie Meinl– schmidt holte seine Werke nun nach Ulm. Noch bis 13. Mai sind dort neue Werke Rizzis zu sehen.
Woher die neuen Werke kommen, wo Rizzi doch bereits 2011 in seiner Heimatstadt New York gestorben ist? Der Künstler war ein Arbeitstier. Als er starb, war sein Atelier voll von vorproduzierten Werken. Das sei seine Altersvorsorge gewesen, erklärt Kunsthändlerin Susanne Wegner von der Tübinger Firma Art28, die Rizzis Nachlass in engem Austausch mit seinen Angehörigen verwaltet.
Bis heute können so immer wieder neue Werke des Künstlers auf den Kunstmarkt gelangen, allerdings nur solche, die James Rizzi noch zu Lebzeiten mit seinen Grafikern besprochen habe, versichert Wegner, die Rizzis Bilder als Werke voller Leben bezeichnet. Der Einfluss seiner Heimatstadt New York, wo er mit Ausnahme seiner Studienzeit sein ganzes Leben verbrachte, ist in vielen seiner Werke präsent. Das zeigt sich auch beim Rundgang durch die Ulmer Galerie: Man entdeckt die typischen Hochhäuser, den Central Park und immer wieder die typischen New Yorker Taxis.
Dank seiner charakteristischen Scherenschnitt-Technik haben Rizzis Bilder auch eine besondere Tiefe, die sich in Reproduktionen kaum darstellen lässt. Ihre Wirkung entfalten diese Werke erst live. Viele gleichen einer Art Wimmelbild, in dem der Betrachter stets neues entdecken kann.
> Die Galerie Meinlschmidt ist Donnerstag 13 bis 18 Uhr, Freitag 11 bis 18 Uhr und Samstag 11 bis 15 Uhr geöffnet.
Ulm Wie steht es eigentlich um die freie Kulturszene in Ulm? Da ist einiges in Bewegung. Etablierte Akteure treten kürzer, finden sich neu (wie zum Beispiel in der Griesbadgalerie oder der Stiege) oder müssen sich auf Änderungen gefasst machen (Gleis44 etwa). Ein Kulturort im Stadtkern dreht nun richtig auf: das Aegis Café, bis vor Kurzem noch als „Kokoschinski“bekannt.
Betrieben wird es von den Machern der Aegis-Buchhandlungen, Rasmus Schöll und Franziska Pentz. Im ambitionierten Programm für April bis Juli zählt man an die 80 Programmpunkte. Und fragt sich: Wie machen die das? Mit Engagement, sicherlich. Aber auch mit Kooperationen, Freude an Improvisation, und indem der Literatursalon Donau und die Teams zweier Buchhandlungen sowie des Cafés eng zusammenarbeiten. „Das kriegen wir nur zusammen hin“, erklärt Schöll. Für einen Ort wie das Aegis Café sei es „wichtig, sich immer weiter zu entwickeln und eine Vielzahl an unterschiedlichen Angeboten zu haben“. Nicht ohne Stolz fügt er hinzu: Man werde in diesem Jahr 200 Veranstaltungen anbieten – in den Bereichen Literatur, Musik, Begegnung und Theater (2023 waren es knapp 170). Auch für Kinder und Jugendliche ist etliches geboten.
Der Blick auf das dichtgefügte Programm bietet Staunenswertes. Da kommt etwa die gefragte Band „Jin Jim“am 5. Mai in den Garten des Cafés. Die 2013 gegründete New Jazz-Band um den peruanischen Flötisten Daniel ManriqueSmith (mit Bassist Ben Tai Trawinski und Schlagzeuger Nico Stallmann) ist ein Senkrechtstarter. „Normalerweise könnten wir eine solche Band nicht bekommen“, gesteht Schöll; dem stünde schon allein die Gage in vierstelliger Höhe im Weg. Vitamin B ist eines der Rezepte,
durch die das Aegis Café sein üppiges Programm stemmt: Ein „Play Off“, ein offener Platz in der Tourneeplanung, dazu der schöne Garten in der Ulmer Mitte, mehr braucht es mitunter nicht, um die Musiker an die Donau zu bekommen. „Die Künstler fühlen sich hier einfach sehr wohl“, weiß Schöll. „Manche wie etwa Matti Klein, die schon im Café zu Gast waren, sagen sogar: Wir kommen jedes Jahr wieder!“(dieses Jahr am 31. Mai).
Poppiger Klänge gibt es mit den „Funky Pilots Band“(27. Juni) und der US-Formation „The bright Silence“
(28. Juni). Der „Klanggarten“(24. Mai) setzt auf smoothe Disco-Sounds unter freiem Himmel, Mark Klawikowskis „Songlotterie“auf Impro und Komik. Joo Kraus setzt seine erfolgreichen „Music Lessons“fort (4. Juni).
Politisch wird es hingegen beim „Aegis Forum“(9. Mai) mit Raoul Schrott. Diskurs und Nachdenken über Demokratie und gemeinschaftliche Werte stehen im Mittelpunkt. Ein Herzensprojekt von Schöll, der durch die Coronakrise Grundwerte ins Rutschen geraten sieht und findet: „Den antidemokratischen Kräften darf man nicht das Feld überlassen.“Das AegisForum soll sich zu einem Fixtermin entwickeln – immer am 9. Mai, dem Geburtstag von Weiße-RoseIkone Sophie Scholl.
Begegnung ist ein für Schöll und seine Mitstreiter wichtiges Stichwort. Da geht man auch gern neue Wege. Eine „Reading Party“(27. April) nach amerikanischem Vorbild lädt zum gemeinsamen Lesen ein. Begegnen kann man sich auch bei der neuen Erzählkunst-Reihe von Maria Winter, die als ausgebildete Erzählerin mit verschiedenen Gästen „Erzählkunst unterm Baum“präsentiert.
Literatur gibt’s wie gewohnt vom Theater Ulm mit der sehr populären Reihe „Wortreich“(10. bis 13. Juli), den Lesekreisen für Erwachsene und Kinder sowie dem Tucholsky-Abend von Schauspieler Robert Stadlober (6. Juni). „Man weiß nie im Voraus, was Robert genau macht“, sagt Schöll lächelnd, aber die Mischung aus Rezitation und Songvertonung werde gewiss „grandios“.
Gegen den zunehmenden Ballermann-Charakter der Schwörwoche setzt das Aegis-Team auf feines und Schönes: Der Ulmer Klangzauberer „Peter Pan Soundwerkstatt“schwebt am 22. Juli ein, ebenso weitere Stammkünstlerinnen, etwa „I’m not a Blonde“. Das immense Programm, das im Herbst seine Fortsetzung findet – und sich nur im August eine Sommerpause gönnt – hat namhafte Sponsoren und Unterstützer. Ein Blick auf das Programm habe genügt, so Schöll, um potente Zuwender wie die Verlage Hanser und Klett-Cotta zu gewinnen. Mit „etwa einem Achtel“des Gesamtbudgets sei noch die Stadt Ulm dabei.
Schöll blickt zuversichtlich in die Zukunft seines Kulturortes, der längst auch Stammgäste jenseits der Donaustadt angezogen hat. „Die Veranstaltungen tragen sich gut. Viele kommen immer wieder und probieren etwas Neues aus, manche sitzen zum ersten Mal in einer Lesung oder bei einem Jazzkonzert und es gefällt ihnen so gut, dass sie immer wieder kommen.“Die Alterspyramide – gibt es im Aegis Café nicht. Alle Altersklassen sind vertreten. Für die kommenden Jahre wünschen sich Schöll und sein Team, dass das Aegis Café als Fixpunkt für alle Spielarten „kulturellen Genusses“zur Marke wird – und man ein Gegenangebot zu populistischen, verflachten, anspruchsfreien Inhalten bietet. Immer nah dran am Menschen.