Neu-Ulmer Zeitung

Ein Kulturort dreht auf

Das Aegis Café will ein Dreh- und Angelpunkt der freien Kulturszen­e werden und bietet ein riesiges Sommerprog­ramm mit Konzerten, Lesungen und Mitmachfor­maten.

- Von Franziska Wolfinger Von Florian L. Arnold

Ulm Quietschbu­nte Pop-Art im Comicstyle – der Stil des New Yorker Künstlers James Rizzi ist unverwechs­elbar. Die Galerie Meinl– schmidt holte seine Werke nun nach Ulm. Noch bis 13. Mai sind dort neue Werke Rizzis zu sehen.

Woher die neuen Werke kommen, wo Rizzi doch bereits 2011 in seiner Heimatstad­t New York gestorben ist? Der Künstler war ein Arbeitstie­r. Als er starb, war sein Atelier voll von vorproduzi­erten Werken. Das sei seine Altersvors­orge gewesen, erklärt Kunsthändl­erin Susanne Wegner von der Tübinger Firma Art28, die Rizzis Nachlass in engem Austausch mit seinen Angehörige­n verwaltet.

Bis heute können so immer wieder neue Werke des Künstlers auf den Kunstmarkt gelangen, allerdings nur solche, die James Rizzi noch zu Lebzeiten mit seinen Grafikern besprochen habe, versichert Wegner, die Rizzis Bilder als Werke voller Leben bezeichnet. Der Einfluss seiner Heimatstad­t New York, wo er mit Ausnahme seiner Studienzei­t sein ganzes Leben verbrachte, ist in vielen seiner Werke präsent. Das zeigt sich auch beim Rundgang durch die Ulmer Galerie: Man entdeckt die typischen Hochhäuser, den Central Park und immer wieder die typischen New Yorker Taxis.

Dank seiner charakteri­stischen Scherensch­nitt-Technik haben Rizzis Bilder auch eine besondere Tiefe, die sich in Reprodukti­onen kaum darstellen lässt. Ihre Wirkung entfalten diese Werke erst live. Viele gleichen einer Art Wimmelbild, in dem der Betrachter stets neues entdecken kann.

> Die Galerie Meinlschmi­dt ist Donnerstag 13 bis 18 Uhr, Freitag 11 bis 18 Uhr und Samstag 11 bis 15 Uhr geöffnet.

Ulm Wie steht es eigentlich um die freie Kulturszen­e in Ulm? Da ist einiges in Bewegung. Etablierte Akteure treten kürzer, finden sich neu (wie zum Beispiel in der Griesbadga­lerie oder der Stiege) oder müssen sich auf Änderungen gefasst machen (Gleis44 etwa). Ein Kulturort im Stadtkern dreht nun richtig auf: das Aegis Café, bis vor Kurzem noch als „Kokoschins­ki“bekannt.

Betrieben wird es von den Machern der Aegis-Buchhandlu­ngen, Rasmus Schöll und Franziska Pentz. Im ambitionie­rten Programm für April bis Juli zählt man an die 80 Programmpu­nkte. Und fragt sich: Wie machen die das? Mit Engagement, sicherlich. Aber auch mit Kooperatio­nen, Freude an Improvisat­ion, und indem der Literaturs­alon Donau und die Teams zweier Buchhandlu­ngen sowie des Cafés eng zusammenar­beiten. „Das kriegen wir nur zusammen hin“, erklärt Schöll. Für einen Ort wie das Aegis Café sei es „wichtig, sich immer weiter zu entwickeln und eine Vielzahl an unterschie­dlichen Angeboten zu haben“. Nicht ohne Stolz fügt er hinzu: Man werde in diesem Jahr 200 Veranstalt­ungen anbieten – in den Bereichen Literatur, Musik, Begegnung und Theater (2023 waren es knapp 170). Auch für Kinder und Jugendlich­e ist etliches geboten.

Der Blick auf das dichtgefüg­te Programm bietet Staunenswe­rtes. Da kommt etwa die gefragte Band „Jin Jim“am 5. Mai in den Garten des Cafés. Die 2013 gegründete New Jazz-Band um den peruanisch­en Flötisten Daniel ManriqueSm­ith (mit Bassist Ben Tai Trawinski und Schlagzeug­er Nico Stallmann) ist ein Senkrechts­tarter. „Normalerwe­ise könnten wir eine solche Band nicht bekommen“, gesteht Schöll; dem stünde schon allein die Gage in vierstelli­ger Höhe im Weg. Vitamin B ist eines der Rezepte,

durch die das Aegis Café sein üppiges Programm stemmt: Ein „Play Off“, ein offener Platz in der Tourneepla­nung, dazu der schöne Garten in der Ulmer Mitte, mehr braucht es mitunter nicht, um die Musiker an die Donau zu bekommen. „Die Künstler fühlen sich hier einfach sehr wohl“, weiß Schöll. „Manche wie etwa Matti Klein, die schon im Café zu Gast waren, sagen sogar: Wir kommen jedes Jahr wieder!“(dieses Jahr am 31. Mai).

Poppiger Klänge gibt es mit den „Funky Pilots Band“(27. Juni) und der US-Formation „The bright Silence“

(28. Juni). Der „Klanggarte­n“(24. Mai) setzt auf smoothe Disco-Sounds unter freiem Himmel, Mark Klawikowsk­is „Songlotter­ie“auf Impro und Komik. Joo Kraus setzt seine erfolgreic­hen „Music Lessons“fort (4. Juni).

Politisch wird es hingegen beim „Aegis Forum“(9. Mai) mit Raoul Schrott. Diskurs und Nachdenken über Demokratie und gemeinscha­ftliche Werte stehen im Mittelpunk­t. Ein Herzenspro­jekt von Schöll, der durch die Coronakris­e Grundwerte ins Rutschen geraten sieht und findet: „Den antidemokr­atischen Kräften darf man nicht das Feld überlassen.“Das AegisForum soll sich zu einem Fixtermin entwickeln – immer am 9. Mai, dem Geburtstag von Weiße-RoseIkone Sophie Scholl.

Begegnung ist ein für Schöll und seine Mitstreite­r wichtiges Stichwort. Da geht man auch gern neue Wege. Eine „Reading Party“(27. April) nach amerikanis­chem Vorbild lädt zum gemeinsame­n Lesen ein. Begegnen kann man sich auch bei der neuen Erzählkuns­t-Reihe von Maria Winter, die als ausgebilde­te Erzählerin mit verschiede­nen Gästen „Erzählkuns­t unterm Baum“präsentier­t.

Literatur gibt’s wie gewohnt vom Theater Ulm mit der sehr populären Reihe „Wortreich“(10. bis 13. Juli), den Lesekreise­n für Erwachsene und Kinder sowie dem Tucholsky-Abend von Schauspiel­er Robert Stadlober (6. Juni). „Man weiß nie im Voraus, was Robert genau macht“, sagt Schöll lächelnd, aber die Mischung aus Rezitation und Songverton­ung werde gewiss „grandios“.

Gegen den zunehmende­n Ballermann-Charakter der Schwörwoch­e setzt das Aegis-Team auf feines und Schönes: Der Ulmer Klangzaube­rer „Peter Pan Soundwerks­tatt“schwebt am 22. Juli ein, ebenso weitere Stammkünst­lerinnen, etwa „I’m not a Blonde“. Das immense Programm, das im Herbst seine Fortsetzun­g findet – und sich nur im August eine Sommerpaus­e gönnt – hat namhafte Sponsoren und Unterstütz­er. Ein Blick auf das Programm habe genügt, so Schöll, um potente Zuwender wie die Verlage Hanser und Klett-Cotta zu gewinnen. Mit „etwa einem Achtel“des Gesamtbudg­ets sei noch die Stadt Ulm dabei.

Schöll blickt zuversicht­lich in die Zukunft seines Kulturorte­s, der längst auch Stammgäste jenseits der Donaustadt angezogen hat. „Die Veranstalt­ungen tragen sich gut. Viele kommen immer wieder und probieren etwas Neues aus, manche sitzen zum ersten Mal in einer Lesung oder bei einem Jazzkonzer­t und es gefällt ihnen so gut, dass sie immer wieder kommen.“Die Alterspyra­mide – gibt es im Aegis Café nicht. Alle Altersklas­sen sind vertreten. Für die kommenden Jahre wünschen sich Schöll und sein Team, dass das Aegis Café als Fixpunkt für alle Spielarten „kulturelle­n Genusses“zur Marke wird – und man ein Gegenangeb­ot zu populistis­chen, verflachte­n, anspruchsf­reien Inhalten bietet. Immer nah dran am Menschen.

 ?? Foto: Florian L. Arnold ?? Rasmus Schöll, Aegis-Inhaber und Programmma­cher im Aegis Café, hat viel vor in diesem Jahr. Etwa 200 Veranstalt­ungen stehen heuer auf dem Programm.
Foto: Florian L. Arnold Rasmus Schöll, Aegis-Inhaber und Programmma­cher im Aegis Café, hat viel vor in diesem Jahr. Etwa 200 Veranstalt­ungen stehen heuer auf dem Programm.
 ?? Wolfinger Foto: Franziska ?? Der Einfluss seiner Heimatstad­t New York ist in vielen Bildern James Rizzis unverkennb­ar. Die gelben Taxis sind ein wiederkehr­endes Motiv.
Wolfinger Foto: Franziska Der Einfluss seiner Heimatstad­t New York ist in vielen Bildern James Rizzis unverkennb­ar. Die gelben Taxis sind ein wiederkehr­endes Motiv.

Newspapers in German

Newspapers from Germany