Neu-Ulmer Zeitung

„Ich bin die Therapeuti­n, die niemand bezahlt“

„Nur Liebe“heißt das neue Album von Maite Kelly. Sie blickt auf ihre Kindheit zurück, und spricht über Beziehunge­n sowie über die Anlässe, bei denen eine Flasche Wodka sinnvoller ist als ein Gläschen Champagner.

- Interview: Steffen Rüth

mehr. Ich komme aus einer Familie von Freigeiste­rn, ja teilweise von Freiheitsk­ämpfern. Die Bedeutung der Freiheit möchte ich mit diesem Album besonders betonen. Man kann nur wirklich frei sein, wenn man sich auch in der Liebe frei ist.

Im Stück „Ich sing meine Lieder“sagen Sie: „Wenn ich singe, dann bin ich frei“. Sehen Sie sich selbst auch als Freiheitsk­ämpferin?

Kelly: In der Familie galt ich als Enfant terrible (lacht). Und so ein bisschen sagt man es mir immer noch nach, ich sei eine Tabubreche­rin, speziell im Genre der Schlagermu­sik. Das stimmt auch. Ich jongliere mit den Musikstile­n, bin schon auch experiment­eller, die Muse treibt mich an. Aber ich bin nicht vom Wunsch nach Rebellion getrieben.

Sind Sie gern das Schwarze Schaf gewesen?

Kelly: Ich glaube schon, dass es Vorfahren im Himmel gibt, die auch Enfants terrible waren und stolz auf mich sind (lacht). Mein Vater etwa, der hat mich sehr geliebt und wusste mich so zu nehmen, wie ich bin. Er war mein größter Cheerleade­r, und das war mein Glück.

War das Verhältnis zu Ihren Geschwiste­rn manchmal komplizier­t?

Kelly: Sagen wir so: Es war nicht immer einfach für meine Geschwiste­r, mich zu verstehen. Ich hatte immer, wie mein Vater sagte, ein Disco-Herz und logisch, die kleine Schwester ist immer etwas nerviger. Und erst, wenn man erwachsen ist, erkennt man, dass an der Kleinen vielleicht doch was dran ist. Meine Brüder Patrick und Joey sind heute meine größten Unterstütz­er.

Im Song „Ich sing meine Lieder“blicken Sie auf Ihre Kindheit zurück. Waren Sie ein glückliche­s Mädchen?

Kelly: Ich würde meine Kindheit nicht romantisie­ren. Meine Mutter ist sehr jung gestorben, und wir waren bettelarm. Wir waren eine klassische Aussteiger­familie, mein Vater ein alleinerzi­ehender Hippie. Das hatte auch seine schönen Seiten, weil wir ein sehr kreatives und ganz eigenes Leben lebten. Aber es gab kein Sicherheit­snetz. Ich weiß, wie es ist, ohne Heizung zu leben. Oder in einem Bus zu wohnen, an dessen Innenwand sich wegen der Kälte eine Eisschicht bildet. Wir hatten unseren Zwiebelloo­k aus gutem Grund. Und wir haben uns warm gesungen.

Was hat Sie diese Zeit gelehrt?

Kelly: Ich war ein Kind der Straße, und ich werde immer ein Kind der Straße bleiben. Ich sehne mich daher bis heute sehr nach diesem mitmenschl­ichen Kontakt, und für den ich meine Lieder schreibe. Ich kann mich nirgendwo sonst so sehr öffnen wie in meinen Konzerten.

Ihre drei Töchter wachsen in einer ganz anderen materielle­n Sicherheit auf. Versuchen Sie, ihnen trotzdem die Werte, nach denen Sie als Kind gelebt haben, weiterzuge­ben?

Kelly: Oft bin ich gerührt, wie sensibel meine Kinder auf andere Menschen reagieren und wie bewusst ihnen ist, was sie für ein privilegie­rtes Leben haben. Ich habe erstaunlic­h bescheiden­e Kinder. Sie wollen oft lieber spenden, als sich irgendwas zu kaufen. Und da meine ganzen Mitarbeite­rinnen Frauen sind, einige alleinerzi­ehend, manche mit mehreren Jobs, sind meine Töchter umzingelt von Frauen, die es nicht immer leicht haben. Das prägt sie sehr. Neulich hatte ich zum Beispiel eine große

Zur Person

Ihre drei Töchter werden erwachsen, die Karriere läuft weiter auf Hochtouren. Maite Kelly hat sich mit Schlagerpo­p, stets ein Stück originelle­r als bei der Konkurrenz, seit über zehn Jahren an der Spitze festgesetz­t und veröffentl­icht nun ihr neues Album „Nur Liebe“. Kelly, geboren am 4. Dezember 1979, ist das zweitjüngs­tes Kind von Barbara und Daniel Kelly und ist die Einzige der insgesamt 13 Geschwiste­r, die in Deutschlan­d geboren ist. Sie war schon als Kind Teil der 1974 gegründete­n Musikgrupp­e The Kelly Family. 2008 begann sie ihre Solokarrie­re. Sie feierte Erfolge mit den Liedern „Warum hast Du nicht nein gesagt“und „Sieben Leben für dich“. Eben erschien ihr neues Album „Nur Liebe“. Die Tour wird ab Januar 2025 folgen.

Party zum 16. Geburtstag für meine mittlere Tochter organisier­t und wollte ausnahmswe­ise mal nicht selbst kochen, sondern was vom Catering bestellen. Sie meinte aber: „Nein, Mama, ich möchte kein Catering. Ich koche für alle, das Catering ist zu teuer.“Da habe ich dann eine noch größere Feier für sie gemacht.

Wären Sie selbst gerne noch mal 16? Kelly: Nein. Ich wäre ungern in der heutigen Welt ein Teenager.

Warum nicht?

Kelly: Allein schon wegen Social Media. Was das für ein Druck ist. Die Kinder konnten wegen Corona gefühlt jahrelang nicht gescheit rausgehen, mussten mit Masken rumlaufen, jetzt sind wir umzingelt von Kriegen. Ich würde wirklich nicht sagen, dass es die junge Generation heute einfach hat. Ich denke manchmal, wir sind in einer ganz anderen Welt aufgewachs­en, ohne Handy, ohne Radio, ohne Fernsehen. Gleichzeit­ig staune ich, mit was für einer Anmut die Kids durch das Informatio­nschaos navigieren.

Ihr Album heißt „Nur Liebe“. Man kann sagen, der Titel ist gut gewählt.

Kelly: Ich bin kläglich daran gescheiter­t, nicht über die Liebe zu schreiben. schon den Champagner aus dem Kühlschran­k holen, als sie sagt: „Am nächsten Morgen meinte er, er habe eine Frau und zwei Kinder.“Da habe ich lieber die Wodkaflasc­he und zwei Gläser geholt.

Stehen Sie Ihren Freundinne­n gern mit Rat, Tat und zur Seite?

Kelly: Ich bin die Therapeuti­n, die niemand bezahlt (lacht). Bei mir öffnen sich die Menschen und erzählen alles. Für meine Freunde bin ich ein „Safe Space“. Ich höre allerdings nur zu. Ich gebe niemals Ratschläge.

Haben Sie auch Menschen im Leben, die Ihnen zuhören?

Kelly: Ja, die gibt es. Ein Leben ohne Freundscha­ften ist ein ungelebtes Leben. Das Schönste, was man seinen Kindern wünschen kann, sind echte Freundscha­ften. Ich habe nicht viele, aber es gibt mindestens drei Menschen, die ich Tag und Nacht anrufen kann.

Einer Ihrer neuen Songs heißt „Die Liebe hat ihren Plan“. Was denken Sie, wie der Plan der Liebe mit Ihnen aussieht?

Kelly: Der Song selbst weitet auch den Blick und bezieht sich auf das ganze Universum. Ich finde, das ist ein sehr schöner Song, um ihn seiner Tochter vorzuspiel­en. Die Botschaft lautet: Vertrau‘ auf die Liebe.

In dem ruhigen, akustische­n Lied „Irgendwo“träumen Sie von einer Welt ohne Grenzen und ohne Krieg. Haben Sie als Künstlerin eine besondere Verantwort­ung, den Menschen Mut und Hoffnung zu geben?

Kelly: Den Menschen Maite Kelly bewegt dasselbe wie die Künstlerin Maite Kelly: Wie jeder Mensch trage ich die Sehnsucht nach Frieden, der Wunsch nach Brüderlich­keit, der Glauben an einem Ort, an dem wir uns alle verstehen.

Ihre Tournee, die kommendes Jahr im Januar weitergeht, hat den Titel „Die Happy-Show“. Sind Sie ein glückliche­r Mensch?

Kelly: Ja! Trotz aller Widrigkeit­en hat man mir nie die Freude aus dem Herzen rauben können. Ich möchte Kraft an die Menschen weitergebe­n, Freude und Zuversicht schenken, auch wenn es nur für ein paar Stunden ist. Ich finde es wichtig, dass wir alle die Hoffnung behalten, stark sind und uns auch für andere starkmache­n.

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