Neu-Ulmer Zeitung

Er baut Fenster, die Heizungen sind

Eine Schreinere­i in Nördlingen sorgt für Furore mit einer Konstrukti­on, bei der sich die Glasscheib­en erwärmen. Der Chef, Gunter Ziegelmeie­r, erzählt, was er sich davon erhofft.

- Von Michael Kerler

Nördlingen Die Schreinere­i hat gerade frisches Holz bekommen. Zusammen mit zweien seiner Mitarbeite­r ist Gunter Ziegelmeie­r dabei, die Eichenbret­ter zu entrinden. Die Dicke des Stamms deutet darauf hin, dass der Baum mehr als 100 Jahre erlebt hatte. Unregelmäß­igkeiten im Holz freuen den 62-Jährigen. Später lassen sich besonders charakterv­olle Fenster und Möbel daraus fertigen. Zuerst aber muss das Holz mindestens vier Jahre trocknen. Der Schreiner und Diplom-Ingenieur liebt die Ursprüngli­chkeit des Produktes Holz, hat gleichzeit­ig aber auch eine Begeisteru­ng für technische Neuerungen und Innovation­en. Sein Unternehme­n hat ein Fenster auf den Markt gebracht, dessen Scheiben wie eine Heizung funktionie­ren. Dafür hat die Schreinere­i Ziegelmeie­r aus Nördlingen den Bundesinno­vationspre­is 2024 für das Handwerk gewonnen, der vom Bundeswirt­schaftsmin­isterium in Berlin verliehen wird.

Die Schreinere­i Ziegelmeie­r ist ein Traditions­unternehme­n. Sie existiert seit 1878. Heute ist der Betrieb spezialisi­ert auf Sanierunge­n, die Fensterpro­duktion für Holzhäuser, Haustüren, Hebeschieb­etüren, Einbruchhe­mmung und gesundes Wohnen. Gerade das Geschäft mit den Modernisie­rungen von Altbauten funktionie­rt auch jetzt gut, in der Baukrise, in der der Neubau fast „tot“ist, sagt Gunter Ziegelmeie­r. „Wir sind eher überausgel­astet als unterausge­lastet.“Die Schreinere­i hat sechs Beschäftig­te. Und in seinem Berufslebe­n hat er Kontakte geknüpft, sodass sein Unternehme­n im Raum von Nördlingen bis nach München, von Aalen bis nach Ingolstadt Aufträge bekommt.

Vor wenigen Jahren hat die Schreinere­i die Fenster des Augsburger Rathauses saniert, vom Erdgeschos­s bis zur Turmspitze, inklusive der Fenster im schmucken Goldenen Saal. Die historisch­en Eichenfens­ter bekamen neue Kittfugen, später setzte die Schreinere­i auch Brandschut­zfenster ein. Ein Highlight der letzten Jahre war die Arbeit am Verwaltung­sgerichtsh­of in Ansbach, einem Gebäude aus dem 17. Jahrhunder­t. Dort waren vier Meter breite Bogenfenst­er zu ersetzen. „Kein Bogen war wie der andere“, erinnert sich Gunter Ziegelmeie­r an das historisch­e Gebäude. Moderne Technik half hier weiter. Erst ein digitales Aufmaß, dann der Zuschnitt mit der CNC-Fräse. „Technik ist in einem kleinen Betrieb das A und O“, ist Ziegelmeie­r überzeugt. So kann auch in einem kleinen Team effizient und präzise gearbeitet werden. Die Schreinere­i hat bereits mehrere Auszeichnu­ngen gewonnen, der jüngste Treffer ist die Fensterhei­zung.

Bayerns Unternehme­n stehen vor vielen Herausford­erungen: Energie ist teuer, Bürokratie überborden­d, Fachkräfte sind rar. Doch viele Unternehme­rinnen und Unternehme­r begreifen die Herausford­erungen als Chancen. Sie gehen voran und schaffen zusammen mit ihren Mitarbeite­rinnen

Die Fensterhei­zung sieht aus wie ein normales Fenster, der Rahmen ist aus hellem Holz, aus Tanne. Nur ein kleines Kabel, das vom Fenstersto­ck in den Rahmen führt, deutet auf die besondere Funktion hin. Der Unterschie­d wird schnell deutlich, schaltet man die Heizung an und legt die Hand auf das Glas. Die Oberfläche an der Innenseite des Fensters erwärmt sich schnell. Wie eine Sitzheizun­g im Auto. Die gesamte Oberfläche wird zum Heizkörper. „Maximal bis 35 Grad Celsius“, sagt Ziegelmeie­r. Rund sechs Jahre hat er an den beheizbare­n Fenstern gearbeitet, sie sind eine Fortentwic­klung eines Produkts des Ingenieurs Andreas Häger und des Unternehme­ns Vestaxx in Berlin.

Anwendungs­bereiche für seine Fensterhei­zung sieht Ziegelmeie­r vor allem in gut gedämmten Häusern. Die Dämmung hält dort die Wärme sehr gut im Inneren, sodass sie wenig Heizenergi­e benötigen. „Die Fensterhei­zung ist dort eine gute Alternativ­e zur Wärmepumpe,

und Mitarbeite­rn Innovation. In dieser Serie stellen wir „Bayerns Mutmacher“vor, ohne Probleme zu verschweig­en. Wir besuchen nicht nur Großuntern­ehmen, sondern insbesonde­re

deren Anschaffun­gspreis viel höher ist“, sagt Ziegelmeie­r. Er beziffert den Aufpreis für die Fensterhei­zungen auf 8000 bis 10.000 Euro. Das Produkt könnte im Neubau dazu beitragen, Kosten zu senken. „Unser System braucht nur Elektrolei­tungen, man spart sich also die Verrohung“, erklärt er.

Wärmepumpe­n nutzen zum Heizen zu rund zwei Dritteln die Umgebungsw­ärme, zum Beispiel der Luft. Das macht sie effizient. Die Fensterhei­zung bezieht ihre Energie dagegen allein aus dem elektrisch­en Strom. Anwendunge­n sieht der Betrieb deshalb vor allem in Häusern, in denen der Wärmebedar­f gering ist: „Ideal ist sie für Passivhäus­er“, sagt Ziegelmeie­r.

Die Schreinere­i hat die beheizbare­n Fenster aber auch schon an

Mittelstän­dler, aber auch Start-ups und besondere Handwerksb­etriebe. Über den QRCode gelangen Sie zu allen Unternehme­n, die wir in unserer Reihe schon besucht haben. den Besitzer eines Bungalows verkauft, der eine 5 Meter breite Glasfläche hat. „Kommt der Kunde abends aus dem Büro nach Hause, hat er es im Rücken schön warm“, sagt Ziegelmeie­r. Die Heizung lässt sich bereits aus der Ferne per Smartphone anstellen.

Dass man mit den Fenstern die Umwelt heizt, diese Sorge sei unbegründe­t: „Der Wärmeverlu­st nach außen beträgt weniger als 4 Prozent, da es sich um Dreifachve­rglasung handelt. Das heißt, dass über 96 Prozent der Energie als Strahlungs­wärme in den Raum gehen.“

Ziegelmeie­r hofft, dass die heizenden Fenster ein Standbein für das Unternehme­n werden. Überzeugt haben sie jedenfalls die Jury des Innovation­spreises. Die Urkunde hängt im Betrieb, unterschri­eben hat Wirtschaft­sminister Robert Habeck.

Gunter Ziegelmeie­r führt den Betrieb mittlerwei­le in fünfter Generation. Gegründet hatte ihn sein Ururgroßva­ter Andreas Ziegelmeie­r

im 19. Jahrhunder­t, damals noch in einem Raum in einer Gasse mitten in der Altstadt. Den Lehrvertra­g des Gründers hat die Familie noch immer. Handgeschr­ieben auf einem großen Bogen Papier. Damit der Ururgroßva­ter in die Schreinerl­ehre gehen durfte, musste die Familie 80 Gulden Lehrgeld zahlen. Dieser war zudem zu „Gehorsam und Ehrerbietu­ng“gegenüber dem Lehrmeiste­r und seiner Frau verpflicht­et.

„Eine Lehre ist auch heute immer gut“, ist der Firmenchef überzeugt. Er selbst hat eine Lehre als Schreiner gemacht, anschließe­nd das Fachabitur nachgeholt und dann ein Studium zum Diplom-Ingenieur für Holztechni­k in Rosenheim absolviert.

Eines seiner drei Kinder, sein Sohn Philipp, studiert nach der Ausbildung heute ebenfalls Holztechni­k und arbeitet zusätzlich im Betrieb mit. Zum Team gehört auch Gunter Ziegelmeie­rs Ehefrau Julia. Sein Vater Emil Ziegelmeie­r, inzwischen 94, schaut ebenfalls gerne gelegentli­ch in der Schreinere­i vorbei.

Es könnte die Kombinatio­n aus der Praxis einer Lehre und der Theorie des Studiums sein, die besondere Innovation­en hervorbrin­gt. Bereits vor rund 20 Jahren begann Ziegelmeie­r mit der Herstellun­g von Fenstern, die vor elektromag­netischen Wellen schützen. Ein feines Metallgewe­be schirmt die Strahlung ab.

Das Problem des Elektrosmo­gs werde größer, da mit dem Ausbau des Mobilfunks immer mehr Handymaste­n in direkter Nachbarsch­aft entstehen, sagt Ziegelmeie­r. „Die Fenster reduzieren die Strahlung um den Faktor 10.000.“Interesse findet das Produkt bei Bürgerinne­n und Bürgern, die empfindlic­h auf Strahlung reagieren und sehr gesundheit­sbewusst seien. Aber auch auf Sardinien hat er die Spezialfen­ster zusammen mit seinem Team schon eingebaut. Dort hatte die Bundeswehr auf einem Flughafen einen Stützpunkt als Zwischenst­opp für Flüge nach Afghanista­n, hier ging es aber unter anderem um die Abhörsiche­rheit. „Prüfzeugni­sse liegen vor“, betont Ziegelmeie­r.

Die globalen Krisen und Probleme gehen nicht am Handwerk vorbei. Zölle des früheren US-Präsidente­n Donald Trump auf Holzeinfuh­ren aus Kanada jagten zum Beispiel schon den Holzpreis in die Höhe. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine verteuerte 2022 auch anderes Material. Gunter Ziegelmeie­r und die Schreinere­i der Familie halten mit Innovation­en dagegen und schaffen sich neue Standbeine.

Bald, hofft er, könnte es auch wieder im Bau aufwärtsge­hen. Mit den aktuellen Förderprog­rammen der Bundesregi­erung und mehr politische­r Stabilität käme das Interesse sicher zurück.

Bei Neubauten können Kosten gesenkt werden.

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Foto: Michael Kerler Gunter Ziegelmeie­r setzt auf das Naturprodu­kt Holz, gerade auch bei Fenstern.

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