Gesichter der Organspende
Brigitte Herzog weiß, was es heißt, das eigene und einzige Kind zu verlieren. Marlene war 18, als sie starb, ein Verkehrsunfall riss sie aus dem Leben. Ihre Mutter hat seitdem eine Mission, die Menschen das Leben rettet.
Augsburg Ein siebenjähriger Bub erhält eine Niere von Marlene. Ein junger Mann ihre Bauchspeicheldrüse. Ein weiterer ihre Leber. Eine junge Frau ihr Herz. Vier schwerst kranken Menschen schenkt Marlene damit eine bessere Lebensqualität oder rettet sogar ihr Leben.
Sie selbst allerdings verliert ihr Leben. Da ist sie gerade 18 Jahre.
Marlene war ein Sonnenschein, erzählt ihre Mutter Brigitte Herzog. Ein Mensch, der Räume fluten konnte. Eine gesunde, fröhliche, sozial engagierte junge Frau, die Krankenschwester werden wollte. Doch dann passiert das Unglück. Es ist ein strahlender Sommertag, dieser 6. Juli 2010. Auf einer Straße im Landkreis Regensburg stoßen zwei Wagen frontal ineinander. In einem sitzt Marlene. Sie wird schwer verletzt in die Uniklinik geflogen, an der sie gerade ihre Ausbildung macht. Stundenlang kämpfen die Ärzte um ihr Leben. Ihre Mutter ist sich zunächst sicher, dass ein Wunder geschieht. „Ich habe es so sehr gehofft“, sagt sie, „ich habe so sehr dafür gebetet.“Doch das Wunder tritt nicht ein. Bei Marlene wird am 7. Juli 2010 der Hirntod diagnostiziert.
„Ich wusste damals nicht, ob ich das überlebe“, erinnert sich Brigitte Herzog. „Das Leid ist so unvorstellbar groß.“Als die Ärzte ihr und ihrem Mann Albert erklären, sie können für ihre Tochter leider nichts mehr tun, habe Marlene gar nicht ausgesehen, als wäre sie tot. „Marlene sah aus, als würde sie schlafen. Dass dies nur noch der Herzlungenmaschine zu verdanken war, das kann man gar nicht begreifen – und auch nicht akzeptieren.“Als wäre diese Situation nicht unerträglich genug, müssen die Eltern nun aber noch eine andere Entscheidung treffen. Sie müssen die Frage beantworten, ob die Organe ihrer geliebten Tochter gespendet werden dürfen. Brigitte Herzog kann sich an alles noch gut erinnern. Solche Stunden vergisst man nie. Die 53-Jährige sagt: „So grauenvoll alles war, ich war dankbar, dass ich wusste, dass unsere Marlene Organspenderin sein wollte.“Monate vorher habe ihre Tochter sie mit dem Thema überrascht. Damals habe sie zu ihr noch gesagt: Also, an was du wieder so alles denkst. Aber Marlene erklärte ihr, wie sehr sie ihren Beruf liebt und dass es für sie nur folgerichtig sei, ihre Organe zu spenden. Keiner konnte ahnen, wie schnell der Satz Realität werden würde.
Doch wie erträgt man überhaupt so einen Schicksalsschlag als Eltern, als Mutter? „Dass man sein eigenes Kind überlebt, das soll nicht sein“, sagt Brigitte Herzog. Marlene war ihr einziges Kind. Brigitte Herzog war schnell klar, dass sie mit diesem Verlust nicht alleine zurechtkommt. Gleichzeitig spürte sie tief in sich, dass Marlene nie hätte haben wollen, dass sie sich aufgibt. Daher versuchte sie Schritt für Schritt mit dieser tiefen
Wunde weiterzuleben. „Ich ging als erstes zu der Selbsthilfegruppe Verwaiste Eltern. Denn niemand kann meinen Schmerz besser ermessen als eine andere Mutter, die ebenfalls ihr Kind verloren hat.“
Und Brigitte Herzog versuchte ihrem eigenen Schicksal Sinn zu geben. Sie und ihr Mann haben erfahren müssen, wie wichtig es ist, zu wissen, ob jemand nach seinem Tod seine Organe spenden möchte. Die Entscheidung der Angehörigen ist ausschlaggebend. Sie müssen in einer ohnehin emotional hoch belastenden Situation ihre Einwilligung geben. Wie sehr das Familien aufwühlt, weiß Brigitte Herzog. Daher macht sie sich nicht nur dafür stark, dass Menschen zur
Frage, ob sie ihre Organe spenden möchten, eine Antwort finden und diese in Form eines Ausweises, oder jetzt neu im Online-Register, festlegen. Sie engagiert sich auch im Netzwerk Spenderfamilien. Einem Zusammenschluss von Angehörigen und Freunden von Organspendern, die nicht nur für die Organspende werben, sie wollen auch daran erinnern, dass hinter jeder Spende Menschen stehen, die sterben mussten und Menschen, die diese Spender sehr vermissen. „Wir wollen der Organspende ein Gesicht geben und die Geschichten dahinter erzählen“, sagt Brigitte Herzog. Denn gerade dadurch würden sich auch mehr für eine Organspende entscheiden.
Wie wichtig eine Zunahme an Organspendenden ist, zeigen die Zahlen der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO). Demnach stehen bundesweit knapp 8400 Menschen auf den Wartelisten für eine Transplantation. In Bayern hoffen, Stand Ende Dezember, 1191 Menschen auf ein oder mehrere Organe. Am Augsburger Uniklinikum, wo man sich auf die Transplantation von Nieren spezialisiert hat, zählt die Warteliste über 200 Patientinnen und Patienten, sagt Dr. Florian Sommer. Hilft seines Erachtens das neue OnlineRegister, mehr Menschen für eine Organspende zu gewinnen? „Ich glaube nicht, dass das neue Online-Register zu einer Zunahme von Organspendenden führen wird. Doch es ist eine gute Art und Weise, seinen Willen zu dokumentieren“, erklärt der Oberarzt und ergänzt: „Zu einem wirklichen Anstieg der Organspender würde nur die Widerspruchslösung führen.“Mit ihr wäre jeder automatisch Organspender, es sei denn, er widerspricht. Positiv an der Einführung des Registers sei es, dass das Thema Organspende medial verstärkt aufgegriffen wird und somit auch im Alltag zumindest für kurze Zeit wieder präsenter ist. Dass Spenderfamilien ihre Geschichten erzählen und für die Organspende werben, schätzt er sehr: „Uns hier am Uniklinikum Augsburg ist es wichtig, bei jeder Organspende darauf hinzuweisen, dass dahinter Angehörige stehen, die einen geliebten Menschen verloren haben.“Auch ermutige er seine Patientinnen und Patienten, über die DSO den Angehörigen zu schreiben, um sich bei ihnen zu bedanken.
So ein Briefwechsel ist über die DSO möglich, er wird aber anonymisiert. Gerade das Netzwerk Spenderfamilien macht sich für eine „Dankeskultur“stark. Brigitte Herzog und ihr Mann warten noch heute auf einen Brief oder eine Karte von den vier Transplantierten. Sie kennen zwar weder ihre Namen noch ihre Adressen, sie wissen aber über die DSO, dass es ihnen gut gehe, „was uns sehr freut“. Doch keiner habe sich je bei ihnen gemeldet. Dabei würde ihnen allein das Wort „Danke!“viel geben.
> Im April findet der Organspendelauf statt. Infos: www.organspendelauf.de