Neu-Ulmer Zeitung

Gesichter der Organspend­e

Brigitte Herzog weiß, was es heißt, das eigene und einzige Kind zu verlieren. Marlene war 18, als sie starb, ein Verkehrsun­fall riss sie aus dem Leben. Ihre Mutter hat seitdem eine Mission, die Menschen das Leben rettet.

- Von Daniela Hungbaur

Augsburg Ein siebenjähr­iger Bub erhält eine Niere von Marlene. Ein junger Mann ihre Bauchspeic­heldrüse. Ein weiterer ihre Leber. Eine junge Frau ihr Herz. Vier schwerst kranken Menschen schenkt Marlene damit eine bessere Lebensqual­ität oder rettet sogar ihr Leben.

Sie selbst allerdings verliert ihr Leben. Da ist sie gerade 18 Jahre.

Marlene war ein Sonnensche­in, erzählt ihre Mutter Brigitte Herzog. Ein Mensch, der Räume fluten konnte. Eine gesunde, fröhliche, sozial engagierte junge Frau, die Krankensch­wester werden wollte. Doch dann passiert das Unglück. Es ist ein strahlende­r Sommertag, dieser 6. Juli 2010. Auf einer Straße im Landkreis Regensburg stoßen zwei Wagen frontal ineinander. In einem sitzt Marlene. Sie wird schwer verletzt in die Uniklinik geflogen, an der sie gerade ihre Ausbildung macht. Stundenlan­g kämpfen die Ärzte um ihr Leben. Ihre Mutter ist sich zunächst sicher, dass ein Wunder geschieht. „Ich habe es so sehr gehofft“, sagt sie, „ich habe so sehr dafür gebetet.“Doch das Wunder tritt nicht ein. Bei Marlene wird am 7. Juli 2010 der Hirntod diagnostiz­iert.

„Ich wusste damals nicht, ob ich das überlebe“, erinnert sich Brigitte Herzog. „Das Leid ist so unvorstell­bar groß.“Als die Ärzte ihr und ihrem Mann Albert erklären, sie können für ihre Tochter leider nichts mehr tun, habe Marlene gar nicht ausgesehen, als wäre sie tot. „Marlene sah aus, als würde sie schlafen. Dass dies nur noch der Herzlungen­maschine zu verdanken war, das kann man gar nicht begreifen – und auch nicht akzeptiere­n.“Als wäre diese Situation nicht unerträgli­ch genug, müssen die Eltern nun aber noch eine andere Entscheidu­ng treffen. Sie müssen die Frage beantworte­n, ob die Organe ihrer geliebten Tochter gespendet werden dürfen. Brigitte Herzog kann sich an alles noch gut erinnern. Solche Stunden vergisst man nie. Die 53-Jährige sagt: „So grauenvoll alles war, ich war dankbar, dass ich wusste, dass unsere Marlene Organspend­erin sein wollte.“Monate vorher habe ihre Tochter sie mit dem Thema überrascht. Damals habe sie zu ihr noch gesagt: Also, an was du wieder so alles denkst. Aber Marlene erklärte ihr, wie sehr sie ihren Beruf liebt und dass es für sie nur folgericht­ig sei, ihre Organe zu spenden. Keiner konnte ahnen, wie schnell der Satz Realität werden würde.

Doch wie erträgt man überhaupt so einen Schicksals­schlag als Eltern, als Mutter? „Dass man sein eigenes Kind überlebt, das soll nicht sein“, sagt Brigitte Herzog. Marlene war ihr einziges Kind. Brigitte Herzog war schnell klar, dass sie mit diesem Verlust nicht alleine zurechtkom­mt. Gleichzeit­ig spürte sie tief in sich, dass Marlene nie hätte haben wollen, dass sie sich aufgibt. Daher versuchte sie Schritt für Schritt mit dieser tiefen

Wunde weiterzule­ben. „Ich ging als erstes zu der Selbsthilf­egruppe Verwaiste Eltern. Denn niemand kann meinen Schmerz besser ermessen als eine andere Mutter, die ebenfalls ihr Kind verloren hat.“

Und Brigitte Herzog versuchte ihrem eigenen Schicksal Sinn zu geben. Sie und ihr Mann haben erfahren müssen, wie wichtig es ist, zu wissen, ob jemand nach seinem Tod seine Organe spenden möchte. Die Entscheidu­ng der Angehörige­n ist ausschlagg­ebend. Sie müssen in einer ohnehin emotional hoch belastende­n Situation ihre Einwilligu­ng geben. Wie sehr das Familien aufwühlt, weiß Brigitte Herzog. Daher macht sie sich nicht nur dafür stark, dass Menschen zur

Frage, ob sie ihre Organe spenden möchten, eine Antwort finden und diese in Form eines Ausweises, oder jetzt neu im Online-Register, festlegen. Sie engagiert sich auch im Netzwerk Spenderfam­ilien. Einem Zusammensc­hluss von Angehörige­n und Freunden von Organspend­ern, die nicht nur für die Organspend­e werben, sie wollen auch daran erinnern, dass hinter jeder Spende Menschen stehen, die sterben mussten und Menschen, die diese Spender sehr vermissen. „Wir wollen der Organspend­e ein Gesicht geben und die Geschichte­n dahinter erzählen“, sagt Brigitte Herzog. Denn gerade dadurch würden sich auch mehr für eine Organspend­e entscheide­n.

Wie wichtig eine Zunahme an Organspend­enden ist, zeigen die Zahlen der Deutschen Stiftung Organtrans­plantation (DSO). Demnach stehen bundesweit knapp 8400 Menschen auf den Warteliste­n für eine Transplant­ation. In Bayern hoffen, Stand Ende Dezember, 1191 Menschen auf ein oder mehrere Organe. Am Augsburger Unikliniku­m, wo man sich auf die Transplant­ation von Nieren spezialisi­ert hat, zählt die Warteliste über 200 Patientinn­en und Patienten, sagt Dr. Florian Sommer. Hilft seines Erachtens das neue OnlineRegi­ster, mehr Menschen für eine Organspend­e zu gewinnen? „Ich glaube nicht, dass das neue Online-Register zu einer Zunahme von Organspend­enden führen wird. Doch es ist eine gute Art und Weise, seinen Willen zu dokumentie­ren“, erklärt der Oberarzt und ergänzt: „Zu einem wirklichen Anstieg der Organspend­er würde nur die Widerspruc­hslösung führen.“Mit ihr wäre jeder automatisc­h Organspend­er, es sei denn, er widerspric­ht. Positiv an der Einführung des Registers sei es, dass das Thema Organspend­e medial verstärkt aufgegriff­en wird und somit auch im Alltag zumindest für kurze Zeit wieder präsenter ist. Dass Spenderfam­ilien ihre Geschichte­n erzählen und für die Organspend­e werben, schätzt er sehr: „Uns hier am Unikliniku­m Augsburg ist es wichtig, bei jeder Organspend­e darauf hinzuweise­n, dass dahinter Angehörige stehen, die einen geliebten Menschen verloren haben.“Auch ermutige er seine Patientinn­en und Patienten, über die DSO den Angehörige­n zu schreiben, um sich bei ihnen zu bedanken.

So ein Briefwechs­el ist über die DSO möglich, er wird aber anonymisie­rt. Gerade das Netzwerk Spenderfam­ilien macht sich für eine „Dankeskult­ur“stark. Brigitte Herzog und ihr Mann warten noch heute auf einen Brief oder eine Karte von den vier Transplant­ierten. Sie kennen zwar weder ihre Namen noch ihre Adressen, sie wissen aber über die DSO, dass es ihnen gut gehe, „was uns sehr freut“. Doch keiner habe sich je bei ihnen gemeldet. Dabei würde ihnen allein das Wort „Danke!“viel geben.

> Im April findet der Organspend­elauf statt. Infos: www.organspend­elauf.de

 ?? Foto: Herzog ?? Brigitte Herzogs Tochter Marlene ist bei einem schweren Verkehrsun­fall gestorben. Sie wusste, dass Marlene ihre Organe nach ihrem Tod spenden wollte.
Foto: Herzog Brigitte Herzogs Tochter Marlene ist bei einem schweren Verkehrsun­fall gestorben. Sie wusste, dass Marlene ihre Organe nach ihrem Tod spenden wollte.

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