Neu-Ulmer Zeitung

Millionen Bürger bald ohne Gasanschlu­ss?

Die Regierung stellt erste Weichen für den Rückbau des Netzes. Verbände üben Kritik. Was die Pläne für Verbrauche­r bedeuten.

- Von Michael Kerler

Berlin/München Nachdem die Bundesregi­erung 2023 mit dem Heizungsge­setz große Verunsiche­rung bei Verbrauche­rn mit Gasund Ölheizung ausgelöst hat, droht ein neuer Konflikt. Das Bundeswirt­schaftsmin­isterium von Robert Habeck denkt bereits über den Rückbau des Gasnetzes nach. Dies kann dazu führen, dass Interessen­ten keinen neuen Gasanschlu­ss mehr bekommen und bisherige Kunden auf Alternativ­en umschwenke­n müssen. Verbände wie auch Bayerns Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger üben scharfe Kritik. Der Chef des Branchenve­rbandes DVGW, Gerald Linke, warnte am Montag vor einer „Rückbau-Orgie“und plädierte dafür, das Thema technologi­eoffen zu gestalten. Auch wasserstof­fbetrieben­e Gasheizung­en müssten eine Chance haben.

Deutschlan­d hat sich das Ziel gesetzt, bis 2045 klimaneutr­al zu werden. „Bis dahin muss der Ausstieg aus fossilem Erdgas vollzogen worden sein“, heißt es in einem Papier des Wirtschaft­sministeri­ums zum Gasnetz. Für den Umstieg auf klimafreun­dliche Heizungen gibt es inzwischen Fördergeld­er. Die Folge ist, dass viele Kunden künftig nicht mehr mit Gas heizen werden, heißt es im Papier. „Gasverteil­netze für die bisherige Erdgasvers­orgung werden dann in der derzeitige­n Form nicht mehr benötigt werden.“Sind nur wenige Kunden angeschlos­sen, könnte der Betrieb nicht mehr rentabel sein. Die Stilllegun­g oder der Rückbau der Netze wäre die Folge.

Für Verbrauche­r könnte dies in einigen Jahren bedeuten, „dass neue Gasanschlü­sse verweigert und bestehende gekündigt werden können“, dies sehe ein Gesetzentw­urf der EU vor. Neue Kunden würden nicht mehr an das Gasnetz angeschlos­sen werden, bestehende Kunden mit einer Gastherme im Keller müssten sich nach einer Alternativ­e

umsehen. „Falls Erdgasnetz­e stillgeleg­t werden, müssen die angebunden­en Kunden einen hinreichen­den Vorlauf haben, um ihre Energiever­sorgung umzustelle­n“, betonte das Ministeriu­m.

Bayerns Wirtschaft­sminister Aiwanger kritisiert die Pläne trotzdem scharf. „Diese Debatte löst weitere Verunsiche­rung bei den Gaskunden aus“, sagte er unserer Redaktion. „Erst mussten sie fürchten, kein Gas mehr zu bekommen, dann mussten sie sehr teure Preise bezahlen und jetzt, da sich die Lage einigermaß­en beruhigt hat, redet man vom Rückbau der Netze, ohne schon vernünftig­e Alternativ­en zu haben“, so der FreieWähle­r-Chef. „Es muss auf alle Fälle gewährleis­tet sein, dass keinem Gaskunden gegen seinen Willen der Hahn abgedreht wird.“

Es gibt aber eine Chance, die Gasnetze weiterzube­treiben – mit klimafreun­dlichem Wasserstof­f. „Nicht das Rausreißen von Leitungen und die Stilllegun­g sind das Gebot der Stunde, sondern die Ertüchtigu­ng und der Neubau“, sagte DVGW-Chef Linke. „Nur das führt zu einem Erfolg beim Klimaschut­z, Wasserstof­f ist hier unverzicht­bar.“Der Verband legte Studien vor, dass der Bau eines Wasserstof­f-Kernnetzes mit rund 20 Milliarden Euro und die Umrüstung des Gasnetzes für vier Milliarden günstiger seien als der Ausbau der Stromnetze, der bis 2045 mit bis zu 730 Milliarden Euro zu Buche schlagen könnte.

Kritiker sehen im Wasserstof­f dagegen kaum eine realistisc­he Option, da dieser zu rar und zu teuer sei. „Wasserstof­f als Wärmequell­e ist extrem ineffizien­t und wird in Deutschlan­d für Gebäudeene­rgie voraussich­tlich kaum zur Verfügung stehen“, sagte Claudia Kemfert, Energieexp­ertin am Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung. Wie künftig in Städten und Gemeinden geheizt werden soll, müssen diese bis Juni 2028 in einer kommunalen Wärmeplanu­ng festlegen. Kommentar

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