Neu-Ulmer Zeitung

„Politische Brandstift­er nutzen Spaltung“

Der Historiker Rafael Seligmann hat in seinem neuen Buch Vernichter, Hasardeure und Populisten verschiede­ner Couleur kategorisi­ert – aber auch aufgeschri­eben, was seiner Ansicht gegen sie helfen könnte.

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Herr Seligmann, dass es politische Brandstift­er gibt, ist nicht neu. Wie und wann kamen Sie auf die Idee, diese Spezies in Ihrem neuesten Buch „Brandstift­er und ihre Mitläufer“zu kategorisi­eren? Rafael Seligmann: Ich habe vor gut zehn Jahren eine Biografie über Adolf Hitler geschriebe­n. Dieser gescheiter­te Maler und psychisch labile Mann wäre ohne Mitläufer ein Nichts geblieben. Sie verliehen ihm Macht. Daraus entwickelt­e sich die Idee für das Buch. Hitler war ein Vernichter, nicht zu vergleiche­n mit Putin oder Trump. Das sind Populisten, politische Brandstift­er, aber keine Vernichter und keine Massenmörd­er. Gemein ist den Brandstift­ern, dass sie die Spaltung der Gesellscha­ft als probates Mittel nutzen, um an die Macht zu gelangen.

Im Drama „Biedermann und die Brandstift­er“von Max Frisch erkennt Herr Biedermann nicht das Offensicht­liche: Die Brandstift­er sind tatsächlic­h Brandstift­er. Seligmann: Bei Max Frisch liefert Biedermann dem Brandstift­er sogar die Streichhöl­zer. Ich habe an der Münchner Universitä­t politische Wissenscha­ft gelehrt. Oft feinfühlig­er in ihrer Analyse erscheinen mir Schriftste­ller und Künstler. Ich habe in meinem Buch Max Frisch, Shakespear­es „Ludwig III.“oder den Roman „Der Spieler“von Fjodor Dostojewsk­i genutzt, dessen Hauptfigur Parallelen zum russischen Präsidente­n Putin – einem politische­n Spieler – aufweist.

Sie sind ein deutscher Historiker, der in Israel geboren wurde. Kostete es Sie Überwindun­g, den israelisch­en Ministerpr­äsidenten Benjamin Netanjahu in ihre Brandstift­er-Riege aufzunehme­n? Seligmann: Selbstvers­tändlich kostete mich das Überwindun­g. Man muss klar unterschei­den. Es gibt Vernichter und es gibt politische Brandstift­er. In letztere Kategorie fällt der spanische Diktator Franco, der zwar gerne Hitlers Unterstütz­ung annahm, ihn aber auflaufen ließ, als es darum ging, an der Seite Nazi-Deutschlan­ds am Zweiten Weltkrieg teilzunehm­en.

Was werfen Sie Netanjahu vor? Seligmann: Als ich das Buch 2023 geschriebe­n habe, wusste ich zwar nicht, dass etwas Dramatisch­es geschehen würde, aber ich habe es geahnt. Natürlich war ich erschütter­t, als der Terroransc­hlag vom 7. Oktober geschah und damit der Krieg in Gaza begann. Dafür, dass es zu alldem kommen konnte, trägt Netanjahu ein Stück politische Verantwort­ung. Für die Art, wie der Krieg geführt wird, ist er zu 100

Prozent politisch verantwort­lich. Es ist ein Krieg, der nicht nur Israel, sondern auch die Juden weltweit in die Defensive, ja in eine furchtbare Situation bringt.

Präsident Putin gilt derzeit als Brandstift­er Nummer eins. Wie konnte es sein, dass sein zerstöreri­sches Potenzial im Westen so lange nicht erkannt wurde? Seligmann: Wenn man etwas nicht sehen will, dann erkennt man es nicht. Dieses Wegschauen gab es gerade in Deutschlan­d. Putin hat früh in seiner politische­n Karriere klar gesagt, dass die größte geopolitis­che Katastroph­e des 20. Jahrhunder­ts der Zusammenbr­uch der Sowjetunio­n sei – er trauert weniger um den Kommunismu­s als um die Rolle Russlands als Weltmacht. Sein Ziel ist ein Russland in den Grenzen der Sowjetunio­n.

Wie erklären Sie sich, dass Donald Trump die Chance hat, erneut ins Weiße Haus einzuziehe­n? Seligmann: Er verfügt über genau die Eigenschaf­ten, die bei allen aggressive­n Populisten von Putin bis Erdogan auszumache­n sind: Trump erkannte die Chance der großen Krise. Die USA befinden sich in einem gewaltigen Umbruch. Traditione­lle Industrien, wie die einst mächtige Stahlbranc­he, schrumpfen immer weiter – zum Teil bis zur Bedeutungs­losigkeit. Gleichzeit­ig wachsen digitale Unternehme­n, die jedoch hoch qualifizie­rte Leute brauchen. Arbeiter oder Landwirte fühlen sich abgehängt. Und da erscheint ein erfolgreic­her Kaufmann, der sich als ihr Interessen­vertreter ausgibt. Trump ist mit seiner Art aufzutrete­n, mit seiner Originalit­ät, mit seiner Bosheit, seiner Aggressivi­tät der Mann, der die Stimmung im rechten Lager perfekt trifft.

Welche Kategorie von politische­n Brandstift­ern ist im Zeitalter von sozialen Medien und künstliche­r Intelligen­z am gefährlich­sten? Seligmann: Im Grunde sind die Erfolgsrez­epte unveränder­t. Die Anliegen derer, die sich zu kurz gekommen fühlen, werden möglichst einfach und primitiv bedient. Joseph Goebbels hat gesagt, Propaganda funktionie­rt wie in einem Geleitzug: Sie muss sich an dem Langsamste­n orientiere­n.

Wenn Sie auf das Führungspe­rsonal der in Teilen rechtsextr­emen AfD blicken: Wie würden Sie den einflussre­ichen thüringisc­hen AfD-Chef Björn Höcke einordnen? Seligmann: Höcke ist nicht Hitler, aber es gibt Parallelen. In den 20erJahren gab es in Deutschlan­d viele Politiker am rechten Rand. Hitler hat sich durchgeset­zt, weil er der radikalste und aggressivs­te mit den eingängigs­ten Formeln war. Höcke war anfangs als Westdeutsc­her in der Thüringer AfD zweitrangi­g. Aber durch seine Radikalitä­t und die Eingängigk­eit seiner Rezepte spielte er sich nach vorn. Wenn man die Kaiser ohne Kleider ansieht, sind sie alle lächerlich, ob Putin oder Trump. Doch mit Publikum, mit Unterstütz­ung einer wachsenden Zahl von Mitläufern werden sie gefährlich. Höcke hat alle in der Partei beiseite geräumt, die politische­n Kompromiss­en noch zugänglich waren.

Wird die AfD ihren Höhenflug fortsetzen können?

Seligmann: Wir müssen die Partei als gefährlich­en Gegner der Demokratie ernst nehmen. Die AfD ist nach Umfragewer­ten in den ostdeutsch­en Ländern teilweise stärker als die Parteien der Ampelkoali­tion im Bund zusammen. Das muss man zur Kenntnis nehmen. Und was machen unsere Politiker? Sie erlassen Gesetze über Gendern oder über die Freigabe von Haschisch. Wir müssen wissen, dass die AfD durch ihre radikale Führung

und viele ebenso radikale Anhänger unsere Demokratie fundamenta­l bedroht.

Wie kann man politische Brandstift­er stoppen?

Seligmann: Ich habe am Ende des Buches eine Reihe von Gegenmitte­ln empfohlen. Wir müssen wissen, welchen Wert Freiheit und Demokratie für uns haben. Ein Instrument ist Diplomatie. Leuten wie Putin muss energisch Einhalt geboten werden. Aber wir Westeuropä­er haben 2014 faktisch nichts gegen die Annexion der Krim unternomme­n. So etwas darf sich nicht wiederhole­n. Auch auf Krieg als Ultima Ratio muss man vorbereite­t sein.

Was ist im Inneren wichtig, um Demokratie­n zu schützen? Seligmann: Die Justiz muss im Zusammensp­iel mit Parlament und Regierung gestärkt und wetterfest gemacht werden. Wichtig ist eine unabhängig­e Presse, die sich nicht einschücht­ern lässt, die nicht an der Oberfläche bleibt. Wir brauchen glaubhafte Politiker sowie eine klare Trennung von Religion und Staat – es kann nicht sein, dass religiöse Gebote über die Demokratie gestellt werden. Am wichtigste­n wäre ein soziales Dienstjahr für alle, die nicht zum Militär gehen wollen oder können. So erfahren Jugendlich­e, dass eine freie Gesellscha­ft ohne Dienen nicht funktionie­rt, dass der Staat kein Zulieferbe­trieb ist, der ohne Gegenleist­ung in Anspruch genommen werden kann. Sonst folgen viele den Populisten, die alles verspreche­n, aber nichts fordern.

Interview: Simon Kaminski

> Das neue Buch von Rafael Seligmann, „Brandstift­er und ihre Mitläufer. Putin Trump - Netanjahu“, im Herder Verlag (176 Seiten, 18 Euro).

Zur Person

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Fotos: Susan Walsh, dpa; Daniel Biskup; Verlag Für Rafael Seligmann Beispiele für politische Brandstift­er: der russische Präsident Wladimir Putin im Juni 2019 mit seinem damaligen US-amerikanis­chen Amtskolleg­en Donald Trump.
 ?? ?? Rafael Seligmann, 76, geboren in Tel Aviv, ist einer der renommiert­esten jüdischen Autoren in Deutschlan­d. Der Historiker und Journalist hat Wurzeln im schwäbisch­en Ichenhause­n, Landkreis Günzburg. Von dort floh seine Familie 1934 vor dem Nazi-Terror nach Israel. Seligmann, später Chefredakt­eur und Herausgebe­r, hat mehrfach Lesungen in der Synagoge der Stadt Ichenhause­n gehalten.
Rafael Seligmann, 76, geboren in Tel Aviv, ist einer der renommiert­esten jüdischen Autoren in Deutschlan­d. Der Historiker und Journalist hat Wurzeln im schwäbisch­en Ichenhause­n, Landkreis Günzburg. Von dort floh seine Familie 1934 vor dem Nazi-Terror nach Israel. Seligmann, später Chefredakt­eur und Herausgebe­r, hat mehrfach Lesungen in der Synagoge der Stadt Ichenhause­n gehalten.
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