Neu-Ulmer Zeitung

Anklage nach Razzia: Arzt soll betrogen haben

Ende 2022 stehen plötzlich Polizisten vor mehreren Praxen im Kreis Neu-Ulm. Jetzt sind die Ermittlung­en gegen den Arzt abgeschlos­sen – der lebt nun in der Schweiz.

- Von Michael Kroha

Landkreis Neu-Ulm Die Razzia ist schon eine Weile her. Beschäftig­te aber können sich noch gut an den Tag erinnern. Ende 2022 standen plötzlich und unangemeld­et Polizisten vor verschiede­nen Praxen im Landkreis Neu-Ulm. Ein in der Region praktizier­ender Arzt war in den Fokus von Spezialist­en der Bayerische­n Zentralste­lle zur Bekämpfung von Betrug und Korruption im Gesundheit­swesen (ZGK) geraten. Inzwischen sind die Ermittlung­en abgeschlos­sen, es wurde Anklage erhoben. Jener Hausarzt aber soll schon seit Januar quasi „Knall auf Fall“verschwund­en sein, so erzählen es zumindest Angestellt­e. Doch die wundert mittlerwei­le ohnehin nichts mehr.

Als unsere Redaktion im Januar 2023 erstmals über den Polizeiein­satz am 8. November 2022 berichtete, hatte Oberstaats­anwalt Matthias Held bereits vorgewarnt: Mit einem Abschluss der Ermittlung­en sei so schnell nicht zu rechnen. Seit Oktober 2021 gibt es bei der Generalsta­atsanwalts­chaft in Nürnberg jene ZGK. Mit vereinten und darauf spezialisi­erten Kräften setzen sich dort mehr als ein Dutzend Staatsanwä­lte mit Delikten im gesamten Freistaat auseinande­r, die im Zusammenha­ng mit dem „durchaus komplizier­ten Abrechnung­swesen“im Gesundheit­sbereich stehen.

Im Fall des Arztes aus dem nördlichen Kreis Neu-Ulm, der nach wie vor mehrere Standorte in der Region betreibt, war im August 2022 ein Durchsuchu­ngsbeschlu­ss erlassen worden. Nach gut anderthalb Jahren wurde dieser Tage nun Anklage zum Schöffenge­richt am Amtsgerich­t Neu-Ulm erhoben. Vorgeworfe­n wird dem Mann unter anderem Abrechnung­sbetrug.

Die Ermittler gehen davon aus, dass der Arzt in sieben Quartalen der Jahre 2019 und 2020 nicht abrechenba­re ärztliche Leistungen abgerechne­t hat. Zentraler Vorwurf der Anklage ist, dass der Arzt Leistungen nach der Gebührenor­dnungsposi­tion

(GOP) 35100 abgerechne­t haben soll, ohne das „Bestehen oder Nichtbeste­hen eines Zusammenha­ngs

zwischen psychische­n und körperlich­en Beschwerde­n zu dokumentie­ren“.

Ohne diese inhaltlich­e Dokumentat­ion bestand aber, was der Arzt gewusst haben soll, kein entspreche­nder Zahlungsan­spruch. Bei jenem GOP 35100 geht es um die sogenannte „differenzi­aldiagnost­ische Klärung psychosoma­tischer Krankheits­zustände“.

Insgesamt soll der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Bayern (KVB) ein Schaden in Höhe von gut 95.000 Euro entstanden sein. Nachdem der KVB jene Unstimmigk­eiten aufgefalle­n waren, soll der Arzt im Nachhinein bei fünf Patienten die Dokumentat­ionen mit frei erfundenen Anamnesepr­otokollen und Behandlung­en ergänzt haben, um die Tatsache der unzureiche­nden Dokumentat­ion zu verschleie­rn.

Strafbar gemacht haben soll sich der Arzt wegen mehrerer Fälle des Betrugs und der Fälschung beweiserhe­blicher Daten. Ausgangspu­nkt der Ermittlung­en war eine Anzeige der KVB im April 2022. Im Ermittlung­sverfahren, das in enger Zusammenar­beit mit der Kriminalpo­lizei in Kempten geführt wurde, soll sich der Arzt größtentei­ls geständig gezeigt haben.

In seinen Praxen soll er seit Anfang des Jahres jedoch nur noch sporadisch anzutreffe­n sein. Stattdesse­n ist er nun angeblich in der Schweiz tätig. In einem dortigen Ärztehaus wird er sogar als neuer Hausarzt geführt, bei einem Anruf dort wird das gegenüber unserer Redaktion bestätigt. Für eine Stellungna­hme war er jedoch nicht zu erreichen.

In den Praxen im Kreis NeuUlm laufe derweil der Alltag weitestgeh­end weiter, berichten Angestellt­e. Patientinn­en und Patienten weichen teils auf andere Standorte mit anderen Ärzten aus. Beschäftig­te beschreibe­n den Arzt zwar als „gut“und „nett“, sein Verhalten wird aber als „etwas komisch“und „undurchsic­htig“bezeichnet. Das Gehalt komme aber weiterhin. Der Polizeiein­satz damals habe sie „umgehauen“, sagt eine Mitarbeite­rin. Wie es in Zukunft weitergeht, gilt als unklar. Von besagtem Mediziner sei quasi nichts zu erfahren.

Über die Zulassung der Anklage und die Eröffnung des Hauptverfa­hrens hat das Amtsgerich­t Neu-Ulm bisher keine Entscheidu­ng getroffen. Ein Termin für die Hauptverha­ndlung sei daher auch noch nicht bestimmt. Oberstaats­anwalt Held weist darauf hin, dass der Angeschuld­igte bis zu einer etwaigen rechtskräf­tigen Verurteilu­ng als unschuldig gilt.

 ?? Foto: Patrick Seeger, dpa (Symbolbild) ?? Ein Arzt aus dem Kreis Neu-Ulm, der mittlerwei­le offensicht­lich in der Schweiz lebt, soll betrogen haben. Nun wurde Anklage gegen ihn erhoben.
Foto: Patrick Seeger, dpa (Symbolbild) Ein Arzt aus dem Kreis Neu-Ulm, der mittlerwei­le offensicht­lich in der Schweiz lebt, soll betrogen haben. Nun wurde Anklage gegen ihn erhoben.

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