Anklage nach Razzia: Arzt soll betrogen haben
Ende 2022 stehen plötzlich Polizisten vor mehreren Praxen im Kreis Neu-Ulm. Jetzt sind die Ermittlungen gegen den Arzt abgeschlossen – der lebt nun in der Schweiz.
Landkreis Neu-Ulm Die Razzia ist schon eine Weile her. Beschäftigte aber können sich noch gut an den Tag erinnern. Ende 2022 standen plötzlich und unangemeldet Polizisten vor verschiedenen Praxen im Landkreis Neu-Ulm. Ein in der Region praktizierender Arzt war in den Fokus von Spezialisten der Bayerischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Betrug und Korruption im Gesundheitswesen (ZGK) geraten. Inzwischen sind die Ermittlungen abgeschlossen, es wurde Anklage erhoben. Jener Hausarzt aber soll schon seit Januar quasi „Knall auf Fall“verschwunden sein, so erzählen es zumindest Angestellte. Doch die wundert mittlerweile ohnehin nichts mehr.
Als unsere Redaktion im Januar 2023 erstmals über den Polizeieinsatz am 8. November 2022 berichtete, hatte Oberstaatsanwalt Matthias Held bereits vorgewarnt: Mit einem Abschluss der Ermittlungen sei so schnell nicht zu rechnen. Seit Oktober 2021 gibt es bei der Generalstaatsanwaltschaft in Nürnberg jene ZGK. Mit vereinten und darauf spezialisierten Kräften setzen sich dort mehr als ein Dutzend Staatsanwälte mit Delikten im gesamten Freistaat auseinander, die im Zusammenhang mit dem „durchaus komplizierten Abrechnungswesen“im Gesundheitsbereich stehen.
Im Fall des Arztes aus dem nördlichen Kreis Neu-Ulm, der nach wie vor mehrere Standorte in der Region betreibt, war im August 2022 ein Durchsuchungsbeschluss erlassen worden. Nach gut anderthalb Jahren wurde dieser Tage nun Anklage zum Schöffengericht am Amtsgericht Neu-Ulm erhoben. Vorgeworfen wird dem Mann unter anderem Abrechnungsbetrug.
Die Ermittler gehen davon aus, dass der Arzt in sieben Quartalen der Jahre 2019 und 2020 nicht abrechenbare ärztliche Leistungen abgerechnet hat. Zentraler Vorwurf der Anklage ist, dass der Arzt Leistungen nach der Gebührenordnungsposition
(GOP) 35100 abgerechnet haben soll, ohne das „Bestehen oder Nichtbestehen eines Zusammenhangs
zwischen psychischen und körperlichen Beschwerden zu dokumentieren“.
Ohne diese inhaltliche Dokumentation bestand aber, was der Arzt gewusst haben soll, kein entsprechender Zahlungsanspruch. Bei jenem GOP 35100 geht es um die sogenannte „differenzialdiagnostische Klärung psychosomatischer Krankheitszustände“.
Insgesamt soll der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB) ein Schaden in Höhe von gut 95.000 Euro entstanden sein. Nachdem der KVB jene Unstimmigkeiten aufgefallen waren, soll der Arzt im Nachhinein bei fünf Patienten die Dokumentationen mit frei erfundenen Anamneseprotokollen und Behandlungen ergänzt haben, um die Tatsache der unzureichenden Dokumentation zu verschleiern.
Strafbar gemacht haben soll sich der Arzt wegen mehrerer Fälle des Betrugs und der Fälschung beweiserheblicher Daten. Ausgangspunkt der Ermittlungen war eine Anzeige der KVB im April 2022. Im Ermittlungsverfahren, das in enger Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei in Kempten geführt wurde, soll sich der Arzt größtenteils geständig gezeigt haben.
In seinen Praxen soll er seit Anfang des Jahres jedoch nur noch sporadisch anzutreffen sein. Stattdessen ist er nun angeblich in der Schweiz tätig. In einem dortigen Ärztehaus wird er sogar als neuer Hausarzt geführt, bei einem Anruf dort wird das gegenüber unserer Redaktion bestätigt. Für eine Stellungnahme war er jedoch nicht zu erreichen.
In den Praxen im Kreis NeuUlm laufe derweil der Alltag weitestgehend weiter, berichten Angestellte. Patientinnen und Patienten weichen teils auf andere Standorte mit anderen Ärzten aus. Beschäftigte beschreiben den Arzt zwar als „gut“und „nett“, sein Verhalten wird aber als „etwas komisch“und „undurchsichtig“bezeichnet. Das Gehalt komme aber weiterhin. Der Polizeieinsatz damals habe sie „umgehauen“, sagt eine Mitarbeiterin. Wie es in Zukunft weitergeht, gilt als unklar. Von besagtem Mediziner sei quasi nichts zu erfahren.
Über die Zulassung der Anklage und die Eröffnung des Hauptverfahrens hat das Amtsgericht Neu-Ulm bisher keine Entscheidung getroffen. Ein Termin für die Hauptverhandlung sei daher auch noch nicht bestimmt. Oberstaatsanwalt Held weist darauf hin, dass der Angeschuldigte bis zu einer etwaigen rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig gilt.