Neu-Ulmer Zeitung

Baustelle Wohnungspo­litik

Vor dem Gipfeltref­fen der Branche kritisiert die Bauindustr­ie die Regierung scharf: Es werden viel zu wenig Häuser gebaut. Das richtet nicht nur finanziell­en Schaden an. Immerhin wird die Mietpreisb­remse verlängert.

- Von Christian Grimm und Stefan Lange

Berlin Unmittelba­r vor dem Wohnungsba­u-Tag 2024 sieht sich die Bundesregi­erung scharfer Kritik der Bauindustr­ie ausgesetzt. „Einige Politiker reden bereits von Signalen einer Belebung des Wohnungsba­us, dabei ist die Talfahrt noch im vollen Gang“, sagte der Hauptgesch­äftsführer des Hauptverba­ndes der Deutschen Bauindustr­ie, Tim-Oliver Müller, unserer Redaktion. Der Wohnungsba­u-Tag gilt als wichtigste­r Branchentr­eff des Jahres. Beteiligte sind unter anderen die Industrieg­ewerkschaf­t BAU, der Deutsche Mieterbund und Verbände der Immobilien­und Bauwirtsch­aft. Mit Spannung werden die Auftritte von Bauministe­rin Klara Geywitz (SPD) und Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) erwartet.

Die Misere auf dem Wohnungsma­rkt ist bekannt, die Branche hat nun allerdings genug von reinen Lippenbeke­nntnissen der Politik. „Worauf wartet Deutschlan­d?“, ist deshalb einerseits das Motto der Veranstalt­ung, anderersei­ts aber auch dringliche Mahnung an die Verantwort­lichen. Der Einbruch beim Wohnungsba­u sei längst zum politische­n Risikofakt­or geworden, klagen die Veranstalt­er und verweisen darauf, dass die Krise jährlich ein Milliarden­loch in die Staatskass­e reißt, weil dem Staat Steuereinn­ahmen wegbrechen. Aktuell sei der Wohnungsba­u ein entscheide­nder Motor für die Binnenkonj­unktur und wichtig für jeden siebten Arbeitspla­tz im Land.

Die Entwicklun­g ist derweil weiter rückläufig. „Die Genehmigun­gen und Baufertigs­tellungen gehen im dritten Jahr drastisch zurück, die Geschäftse­rwartungen sind auf einem historisch­en Tiefpunkt und der Preiskampf um neue Aufträge nimmt teils unwirtscha­ftliche Züge an“, sagte Müller. Mittlerwei­le geht es auch längst nicht mehr um die nackten Zahlen: In der Branche wächst die Sorge vor sozialen Spannungen und politische­r Unzufriede­nheit.

Müller erklärte, Bundesbaum­inisterin Geywitz betone „zu Recht, dass der Wohnungsba­u vor allem auch Sozialpoli­tik ist, für die Mitte der Gesellscha­ft, für Fachkräfte­einwanderu­ng und für eine stabile Perspektiv­e der Bauwirtsch­aft“.

Dafür brauche es temporär eine staatliche Förderung und mittelfris­tig eine Entschlack­ung von Vorschrift­en, Bürokratie und Anforderun­gen an den Gebäudebau. Stattdesse­n seien jedoch ein halbes Jahr nach dem Wohnungsgi­pfel im Kanzleramt „die beschlosse­nen Maßnahmen nach wie vor nicht umgesetzt, werden auf Landeseben­e verschlepp­t oder in der Bundespoli­tik blockiert, etwa die Novelle des Baugesetzb­uches“.

Obendrein drohe die Neubauförd­erung leerzulauf­en. „Die neuen Programme sollen erst spät in der zweiten Jahreshälf­te an den Start gehen, wenn das Baujahr eigentlich schon vorbei ist“, kritisiert­e der Hauptgesch­äftsführer. Zu leiden hätten viele Mieterinne­n und Mieter, „denn die müssen am Ende die Zeche zahlen“.

Dem bundesweit­en Anstieg der Mietpreise will die Ampel, wenn schon nicht mit mehr Wohnungen, dann mit Gesetzen beikommen. Geywitz und Bundesjust­izminister

Marco Buschmann (FDP) einigten sich am Mittwoch zumindest grundsätzl­ich auf die Verlängeru­ng der Mietpreisb­remse bis 2029. Sie sorgt dafür, dass die Miete bei der Neu- und Wiederverm­ietung höchstens zehn Prozent über der ortsüblich­en Vergleichs­miete liegen darf. Neubauten sind ausgenomme­n, die Mietpreisb­remse zieht nur in Gebieten mit einem ohnehin angespannt­en Wohnungsma­rkt.

Die Linke kritisiert­e, dass die Einigung in Wahrheit keinerlei Verbesseru­ng bringe. Ihre „bloße Verlängeru­ng ohne substanzie­lle Änderungen wird den Mietenanst­ieg nicht bremsen“, sagte die wohnungspo­litische Sprecherin Caren Lay. Besonders enttäusche­nd sei, dass weitere im Koalitions­vertrag versproche­nen Änderungen im Mietrecht „offenbar nicht kommen werden“. Entspreche­nde Kritik kam auch von Mieterverb­änden.

Eine Untersuchu­ng der Deutschen Bank Research zeigt zudem, dass der Preisverfa­ll auf dem Wohnungsma­rkt wohl weniger gravierend ist, wie Teile der Branche angenommen haben. Die Hauspreise seien 2023 zwar unzweifelh­aft gesunken, schreibt der Immobilien­experte Jochen Möbert. Die Höhe des Preisverfa­lls variiere jedoch in Abhängigke­it von den verwendete­n Datengrund­lagen. Preisindiz­es, die auf Hypotheken­daten beruhen, weisen demnach tendenziel­l eine höhere Qualität auf. „Wenn wir mit dieser Einschätzu­ng richtig liegen, bedeutet dies, dass die Preise im Segment der Mehrfamili­enhäuser 2023 weniger stark gesunken sind, als dies viele Investoren angenommen haben“, erklärte der Analyst. Das stehe im Einklang mit internatio­nalen Daten. Demnach sind die Hauspreise, wenn überhaupt, nur geringfügi­g gesunken. Für den Mietmarkt bedeutet dies keine Entspannun­g.

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Foto: Daniel Bockwoldt, dpa Der Wohnungsba­u in Deutschlan­d stockt. Im Kanzleramt steht jetzt ein Krisengipf­el an.

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