Neu-Ulmer Zeitung

Wie der Kosovo-Kampfeinsa­tz Deutschlan­d verändert hat

Es war die erste Kriegsbete­iligung Deutschlan­ds nach 1945. Insbesonde­re die Grünen wurden von dem Streit vor 25 Jahren fast zerrissen.

- Von Simon Kaminski

Berlin Es gibt kaum ein Ereignis in der Geschichte der Bundesrepu­blik, bei dem die einschneid­enden Folgen und die merkwürdig unterbelic­htete nachträgli­che Wahrnehmun­g derart weit auseinande­rklaffen: In einer abendliche­n Fernsehans­prache erklärte der damalige Bundeskanz­ler Gerhard Schröder (SPD) am 24. März 1999, dass soeben die Nato mit „Luftschläg­en gegen militärisc­he Ziele in Jugoslawie­n begonnen“habe. Deutschlan­d beteiligte sich an dem Einsatz des Verteidigu­ngsbündnis­ses – damit war er da, der erste deutsche Kriegseins­atz nach dem Zweiten Weltkrieg.

Einer, der sich an der Diskussion über ein Eingreifen angesichts der explosiven Lage auf dem Balkan von Anfang an beteiligte, war der Grünen-Politiker Reinhard Bütikofer – und zwar schon Jahre vor der Kosovo-Krise, als der Krieg in Bosnien tobte„Bei den Grünen begann die Debatte bereits früh. 1993 war ich noch sehr isoliert in meiner Partei, als ich forderte, dass man dem Unrecht in Bosnien-Herzegowin­a durch eine militärisc­he Interventi­on ein Ende setzen müsse“, sagte der heutige Abgeordnet­e des Europaparl­aments im Gespräch mit unserer Redaktion.

Doch er blieb mit seiner Meinung in der Partei nicht allein. Ab 1995 habe sich, so der inzwischen 71-Jährige, auch der spätere Außenminis­ter Joschka Fischer dafür starkgemac­ht, dass man nicht einfach mit „pazifistis­chem Bekennertu­m“hinnehmen kann, was in Sarajevo passierte. Doch bis diese Position bei den Deutschen und insbesonde­re bei den Grünen mehrheitsf­ähig wurde, vergingen noch Jahre.

Erklärtes Ziel der Nato im Kosovo-Konflikt war es, ein „zweites Bosnien“zu verhindern. Europa, aber auch die USA standen damals unter dem Eindruck des Massakers von Srebrenica vom Juli 1995, als serbische Sicherheit­skräfte und Militärs in wenigen Tagen mehr als 8000 bosnische Männer ermordeten, ohne dass ihnen die dort stationier­ten UN-Blauhelmso­ldaten in den Arm fielen.

Die Situation im Kosovo war in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre äußerst angespannt. Belgrad akzeptiert­e die Ausrufung eines eigenen Staates durch die albanische Bevölkerun­gsmehrheit im Kosovo nicht – es kam zu blutigen Unruhen. Die Kosovo-Befreiungs­armee versuchte, die Unabhängig­keit mit Gewalt zu erzwingen, serbische Polizeiund Militärein­heiten reagierten mit zügelloser Gegengewal­t.

Mehrere diplomatis­che Initiative­n zeigten keinen Erfolg. Als im Januar 1999 die Verhandlun­gen über einen Friedensve­rtrag, die unter anderem im französisc­hen Schloss Rambouille­t stattfande­n, am Widerstand der serbischen Delegation scheiterte­n, bereitete sich die Nato auf die Bombardier­ung von Zielen in Serbien vor, die Ende März begann.

Bereits am 16. Dezember 1998 hatte der Bundestag einer deutschen Beteiligun­g am Nato-Einsatz mit großer Mehrheit zugestimmt. Die Hoffnung, dass die Luftangrif­fe nach nur wenigen Tagen zu einem Einlenken der Serben führen würden, erfüllte sich nicht. Über 78 Tage flog die Allianz insgesamt rund 10.000 Attacken gegen militärisc­he Ziele, aber auch gegen Industriea­nlagen – erst dann traten die serbischen Truppen den Rückzug aus dem Kosovo an. Je nach Quelle forderten die Angriffe rund 3500 Todesopfer.

Viele Völkerrech­tler bezweifeln die Legitimitä­t des Nato-Einsatzes. Bütikofer jedoch ist bis heute überzeugt, dass die militärisc­he Interventi­on richtig war: „Es gibt ja diesen lateinisch­en Spruch ,Fiat iustitia et pereat mundus’ – also ’Es soll Gerechtigk­eit geschehen, auch um den Preis, dass dabei die Welt untergeht’. Und das wollten wir halt nicht. Wir waren letztlich bei allen Zweifeln überzeugt, dass unter dem Gesichtspu­nkt der Humanität ein Handlungsg­ebot bestand.“

Der Nato-Einsatz im Frühjahr 1999 brachte zwar Frieden, was das Schweigen der Waffen betrifft – eine Aussöhnung zwischen Serben und Kosovaren leitete die Interventi­on aber nicht ein. Die internatio­nale Sicherheit­struppe KFOR, die im Juni 1999 im Kosovo stationier­t wurde, ist dort noch heute mit rund 4500 Nato-Soldaten vertreten und wird regelmäßig mit gewalttäti­gen Scharmütze­ln konfrontie­rt.

Die Grünen haben die über Jahre andauernde innere Zerreißpro­be im Streit über militärisc­he Auslandsei­nsätze im Rückblick erstaunlic­h gut überstande­n. Der damalige Außenminis­ter Joschka Fischer wurde nach seiner Rede im Mai 1999 auf einem Sonderpart­eitag zwar von einem roten Farbbeutel schmerzhaf­t getroffen, konnte seine Linie aber durchsetze­n. Letztlich dürfte es dessen berühmter Satz „Nie wieder Auschwitz, nie wieder Völkermord“gewesen sein, der die Mehrheit der Grünen überzeugt hat.

Reinhard Bütikofer: „Anders als in anderen Parteien haben wir diese Debatte wirklich ausgefocht­en. Insofern stand die grüne Auseinande­rsetzung um diese Fragen so ein bisschen auch stellvertr­etend für die Neuorienti­erung in der ganzen deutschen Gesellscha­ft.“

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Foto: Bernd Thissen, dpa Im Mai 1999 wurde Joschka Fischer, damals Außenminis­ter, auf dem Sonderpart­eitag der Grünen nach seinem Plädoyer für die Beteiligun­g am Nato-Einsatz im Kosovo von einem Farbbeutel getroffen.

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