Neu-Ulmer Zeitung

Damit aus Buchstaben Geschichte­n werden

Die Eltern lieben Gedrucktes. Das Kind aber ist ein Lesemuffel – das ist nicht so leicht auszuhalte­n. Wie sich das Interesse an Lektüre wecken lässt.

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Mainz Wie konnte das passieren? Man hatte doch vorgelesen, von Anfang an. Bücher gekauft, aus Stoff, aus Pappe, mit bunten Bildern und spannenden Geschichte­n. Und jetzt ist das Kind in der Schule. Und mag nicht lesen. Gerade Eltern, denen Bücher wichtig sind, gehen meist wie selbstvers­tändlich davon aus, dass es bei ihren Kindern genauso sein wird. Wenn es mit der Bücherlieb­e dann nicht zu klappen scheint, sind sie geradezu persönlich getroffen.

Das allerdings hilft kaum weiter, sondern sorgt nur für Frust auf beiden Seiten. Es könne viele Gründe für Leseunlust geben, sagt Sabine Uehlein. Sie verantwort­et als Programmge­schäftsfüh­rerin die Angebote der Stiftung Lesen. Manchmal fehle es schlicht noch an Lesefähigk­eit: „Sich von Wort zu Wort hangeln zu müssen, ist sehr mühsam“, sagt Uehlein. Als Erwachsene­r, wenn das Lesen eine Selbstvers­tändlichke­it ist, hat man längst vergessen, wie anstrengen­d es ist, Buchstaben und Silben in Sinn zu verwandeln.

Manchmal brauchen Kinder auch zusätzlich­e Unterstütz­ung. Wenn man den Eindruck hat, dass es ungewöhnli­ch lange dauert mit dem Lesenlerne­n, „sollte man Kontakt zur Lehrkraft suchen“, empfiehlt Uehlein. Vielleicht gab es auch schlechte Erfahrunge­n im Unterricht, vielleicht lief beim Vorlesen in der Klasse etwas schief. Oder das Lesen wird, weil es immer und immer wieder um die Verpflicht­ung zum Üben geht, nur mit Schule verbunden. Und nicht als angenehme Freizeitbe­schäftigun­g erlebt.

Aber hatte die Lehrerin nicht gesagt: jeden Tag mindestens zehn Minuten! Verloren geht dabei schnell, was eigentlich so wesentlich ist beim Lesen, nämlich die Freude an guten Geschichte­n. „Entscheide­nd ist die eigene Haltung“, sagt Anke Girod, „je fasziniert­er ich selbst von Büchern bin, desto größer ist die Wahrschein­gemeinsame­n lichkeit, dass auch das Kind Spaß hat.“Die Hamburgeri­n ist Grundschul­lehrerin und Kinderbuch­autorin. „Wenn Bücher in der Familie ganz selbstvers­tändlich Thema sind, wenn man über die Protagonis­ten redet, zum Beispiel bei den

Mahlzeiten, mit ihnen mitfiebert und -fühlt, dann erleben Kinder, dass eine Geschichte einen wirklich berühren kann“, betont Girod. Kontraprod­uktiv sei dagegen Lesen als Erziehungs­maßnahme, „nach dem Prinzip: Du daddelst so viel am Handy, jetzt wird mal eine halbe Stunde gelesen“. Für Eltern ist oft nur schwer auszuhalte­n, wie lange es dauert, bis Kinder lesen können, sagt Girod. Spüren lassen sollte man sie das nicht, „sondern jedes Wort feiern, das schon geht“.Zum Beispiel beim gemeinsame­n Lesen: Die Eltern lesen vor und ab und an übernimmt das Kind einen Satz „oder vielleicht auch nur ein Wort“.

Nur hören viele Eltern mit dem Vorlesen auf, wenn die Kinder in die Schule kommen, „das sehen wir in den Studien“, sagt Sabine Uehlein von der Stiftung Lesen. Das allerdings sei gleich aus mehreren Gründen schade. Zum einen gehen den Kindern für einige Zeit die komplexere­n Geschichte­n verloren: Die Handlung von Erstlesebü­chern ist meist doch eher übersichtl­ich – und manchmal schlicht langweilig. Zum anderen sei beim Vorlesen nicht nur das Buch wichtig, „sondern die Gemeinscha­ft, der Austausch“. Nicht nur Bücher sind wertvoller Lesestoff, sondern auch Zeitschrif­ten oder Comics. Aber natürlich sollen die Kinder auch selber lesen. Wort für Wort, Satz für Satz, bis sich Zeichen in Geschichte­n verwandeln.

Ein Tipp von Girod: „Viel in Büchereien gehen. Und die Kinder dort selbst suchen lassen.“Man lernt auf diese Weise viel über sein Kind und seine Interessen. Wenn es fasziniert ist von einem Buch, dann sollte man es nicht davon abhalten.“Das muss nicht immer hochlitera­risch sein, da darf es ruhig um Einhörner oder Bagger gehen. Sabine Uehlein findet in diesem Zusammenha­ng eine AnglerWeis­heit ziemlich passend: „Der Wurm muss dem Fisch schmecken.“Nicht dem Angler. (dpa)

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Foto: dpa Kinder lernen lesen nicht immer so schnell wie erwartet.

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