Schlussakkord eines verdienten Filmemachers
„Ein Glücksfall“, Woody Allens erster Film in französischer Sprache, kommt wie eine Romanze auf den Champs-Élysées dahergeschlendert, entwickelt sich aber zum Krimi.
Was so manche Regisseure in einem Anfall von künstlerischer Selbstüberschätzung von sich behaupten, trifft auf Woody Allen zu: Filmemachen war und ist für ihn ein Lebenselixier. Seit seinem Kinodebüt „What’s Up, Tiger Lily“(1966) hat Allen fast jedes Jahr einen neuen Film auf die Leinwand gebracht. Beim letztjährigen Festival in Venedig stellte der 88-Jährige mit „Ein Glücksfall“seinen 50. Film vor – und deutete an, dass dies wohl auch sein letzter sein könnte.
Es ist kein Geheimnis, dass in Allens später Schaffensperiode bei gleichbleibender Quantität deutliche Qualitätseinbußen zu verzeichnen waren. Dieser kommerzielle und kreative Einschnitt ist eng mit Allens Privatleben verbunden. Vor dem Hintergrund von „MeToo“bekamen die Missbrauchsvorwürfe seiner Adoptivtochter Dylan, die Allen stets bestritten hat, erneute Aufmerksamkeit und führten dazu, dass die Amazon Studios ihren Vertrag mit Allen 2018 aufkündigten. Auch die Hollywood-Prominenz, die sich in früheren Allen-Filmen die Klinke in die Hand gab, ging auf Distanz. Aus der Not versucht der Regisseur nun mit seinem neuen Film „Ein Glücksfall“eine Tugend zu machen, indem er die komplette Produktion nach Paris verlegte und zum ersten Mal in französischer Sprache mit einem rein französischen Ensemble arbeitete.
Auf den ersten Blick kommt „Ein Glücksfall“wie eine typische romantische Komödie auf den Champs-Élysées dahergeschlendert. Ebenda trifft die Angestellte eines Auktionshauses Fanny (Lou de Laâge) drehbuchzufällig auf den jungen Schriftsteller Alain (Niels Schneider), mit dem sie seinerzeit auf ein französisches Gymnasium in New York gegangen ist. Alain hat sich für ein halbes Jahr in Paris eingemietet, um sein neues Buch zu schreiben, und gesteht Fanny sogleich, dass er in der Schule heimlich, aber unsterblich in sie verliebt war. Fanny fühlt sich geschmeichelt, macht aber gleichzeitig deutlich, dass sie eine verheiratete Frau ist. Ihr Gatte, der ebenso schwerreiche wie zwielichtige Geschäftsmann Jean (Melvil
• „Back to Black“Im Sommer 2011 schockt der frühe Tod von Amy Winehouse die Musikwelt. Die britische Musikerin stirbt mit nur 27 Jahren – so wie Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison und Kurt Cobain. Im Biopic „Back to Black“erzählt die Regisseurin Sam Taylor-Johnson („Fifty Shades Of Grey“) vor allem vom frühen Ruhm der Ausnahmekünstlerin und der turbulenten Beziehung zu ihrem Partner Blake. Winehouses
Poupaud), behandelt seine junge, schöne Frau wie eine Prinzessin und schenkt ihr abends noch eben einen Diamantring, damit sie auf der Party alle neidvollen Blicke auf sich zieht.
Kämpfe mit Drogen, Alkohol und Paparazzi werden vor allem durch die noch ziemlich unbekannte Hauptdarstellerin Marisa Abela getragen, die alle Songs im Film selbst singt.
• „La Chimera“In diesem Film ist der aufsteigende Schauspiel-Star Josh O’Connor in einer besonderen Rolle zu sehen. Serien-Fans kennen den 33-jährigen Briten aus der Royals-Serie „The Crown“. Im Film „La
Aber das Leben als eheliche Trophäe in der mondänen Pariser Oberschicht ödet Fanny zunehmend an. Als dann Alain treu, brav und sichtbar verliebt jede Mittagspause vor dem Auktionshaus
Chimera“von Alice Rohrwacher spielt er nun einen jungen Mann, der eine Gruppe von Grabräubern anführt. Doch eigentlich sucht er nicht nach Grabschätzen, sondern nach einer Frau, die er verloren hat. Das Geschehen ist im ländlichen Italien der 1980er-Jahre verortet. Traum und Realität verschwimmen im Laufe des Films, der insgesamt mehr Wert auf die Atmosphäre als auf den Plot legt. (dpa) steht, gewinnt dieses amouröse Alternativangebot zunehmend an Attraktivität. Als besitzergreifender Ehemann und versierter Jäger wittert Jean schon bald den Betrug und wenig später lassen zwei Auftragsmörder Alains Leichnam aus dem Flugzeug in den Atlantik plumpsen.
Ob ein solches Verbrechen aufgedeckt wird oder ungesühnt bleibt, kann man in einem WoodyAllen-Film nie vorhersehen. Schließlich kam der smarte Protagonist in „Match Point“(2005) mit dem Mord an der schwangeren Geliebten ungeschoren davon. Aber die zynische Schärfe und moralische Abgründigkeit, die diesen Film auszeichnete, sucht man in „Ein Glücksfall“vergebens. Mit erlesener
Dialoge lassen Allens Wortwitz vermissen.
Oberflächlichkeit gleitet Allen durch eine Liebesgeschichte, die auf durchaus vorhersehbare Weise in einen Krimiplot mündet. Die Dialoge wirken gut geölt, aber wenig pointiert und lassen Allens blitzenden Wortwitz vermissen. Gerade in den Szenen, die in der Pariser Hautevolee angesiedelt sind, spürt man deutlich, dass Allen in dieser Welt nicht zu Hause ist und sich auf müde Reichenklischees verlassen muss.
Mit Ausnahme von Melvil Poupauds Figur des eifersüchtigen Ehemanns, der aufrichtige Liebe und mörderische Lösungsstrategien miteinander verbindet, entwickeln die Charaktere weder Strahlkraft noch Tiefe. Die semiphilosophischen Einschübe über die Macht des Zufalls, die hier am Ende für Gerechtigkeit sorgt, bleiben als launische Fußnoten ohne emotionalen Bezug zur Handlung. „Ein Glücksfall“ist nicht mehr (aber auch nicht weniger) als der routinierte Schlussakkord im Werk eines verdienten Filmemachers, der sich und seinem Publikum im hohen Alter nichts mehr beweisen muss.