Neu-Ulmer Zeitung

„Ehrenamt macht glücklich“

Viele Menschen wollen sich engagieren, aber immer weniger übernehmen tatsächlic­h Verantwort­ung. Dabei wäre das gar nicht so schwer, meint die Leiterin der Freiwillig­enagentur des Landkreise­s. Sie gibt Hilfestell­ung.

- Von Ronald Hinzpeter

Neu-Ulm Ist das Vereinsleb­en in Gefahr? Immer weniger Menschen wollen Verantwort­ung übernehmen, zu den Versammlun­gen kommen immer weniger Mitglieder, Organisati­onen überaltern oder müssen sich auflösen. „Dabei ist das Vereinswes­en volkswirts­chaftlich unbezahlba­r und unverzicht­bar“, sagt Ulrike Spieß. Sie ist Diplompäda­gogin und Leiterin der Freiwillig­enagentur „Hand in Hand“des Landkreise­s Neu-Ulm. Die war früher beim Landratsam­t angedockt, doch seit zwei Jahren wird sie im offizielle­n Auftrag der Kreisverwa­ltung von den Maltesern betrieben.

Sie kümmert sich um das Engagement von Freiwillig­en im ländlichen Raum, denn die Stadt NeuUlm betreibt eine eigene Ehrenamtsb­örse. Trotz aller akuten Probleme findet es Ulrike Spieß verblüffen­d, „wie gut das im ländlichen Raum noch funktionie­rt. Was da bei Veranstalt­ungen gewuppt wird, finde ich toll.“Dennoch benötigen viele Organisati­onen Unterstütz­ung, vor allem bei der Suche nach Leuten, die tatsächlic­h Verantwort­ung übernehmen wollen. Davor scheuen viele zurück.

Das lässt sich sogar in Zahlen ausdrücken, die dem sogenannte­n Freiwillig­ensurvey entstammen. Das ist eine repräsenta­tive Befragung, deren Daten alle fünf Jahre erhoben werden. Die letzten Ergebnisse stammen von 2019, die für dieses Jahr stehen noch nicht zur Verfügung. Demnach engagieren sich knapp 40 Prozent der Deutschen in einem Ehrenamt. Vor 20 Jahren lag dieser Wert nur bei 30 Prozent und blieb rund ein Jahrzehnt in etwa gleich. Seit 2014 hat er einen Sprung in Richtung 40-Prozent-Marke gemacht. Doch während sich eine wachsende Zahl von Menschen engagiert, wollen aber immer weniger Verantwort­ung übernehmen. 1999 hatten 36,8 Prozent der freiwillig Engagierte­n eine Leitungs- oder Vorstandsf­unktion inne, 2019 sind es nur noch 26,3 Prozent.

Nach Erfahrung von Ulrike Spieß hängt das mit tradierten

Vorurteile­n über das Vereinswes­en zusammen, das lange geprägt war von Vorsitzend­en, die lange an der Spitze standen, sich um alles gekümmert und viel Zeit auf ihr Ehrenamt verwendet haben. Das wirke auf viele heute abschrecke­nd. Dazu gehöre auch das Märchen, dass man als Verantwort­licher stets mit einem Bein im Gefängnis stehe. Spieß beteuert: „Das stimmt so nicht, da muss man schon groß fahrlässig handeln und das tun die wenigsten.“

Ihre Aufgabe sieht sie unter anderem darin, den Leute zu vermitteln, dass es gar nicht so schlimm sei, einen Vorstandsp­osten anzunehmen. „Man kann die Aufgaben sehr gut auf mehrere Schultern verteilen. Man hat nicht immer viel zu tun.“Vieles lasse sich mit einer Modernisie­rung der Satzung regeln, die Spielräume seien da groß. Sie will deshalb den Engagierte­n die Angst nehmen, sich an die Spitze einer Organisati­on zu stellen.

Aber auch an der breiten Masse fehlt es zuweilen. Während Sportverei­ne, Feuerwehre­n und Tier- sowie Naturschut­zorganisat­ionen eher wenige Probleme haben, Mitglieder zu gewinnen, sieht es etwa bei Chören oder in der Heimatpfle­ge deutlich schlechter aus. Die Coronazeit hat offenbar deutliche Spuren hinterlass­en. Nach den Erfahrunge­n der Freiwillig­enagentur hat das Engagement der Mitglieder deutlich nachgelass­en, auch bei den Hauptversa­mmlungen sei der Zuspruch deutlich geringer geworden.

Um nicht nur den Vereinen, sondern allen, die sich für ein freiwillig­es Engagement interessie­ren, Hilfestell­ungen zu geben, bietet die Freiwillig­enagentur unter anderem Schulungen, Workshops und Treffen an und verfügt über eine üppig mit Infos bestückte Homepage. Auf der findet sich auch eine Art Vermittlun­gsbörse für alle, die sich einsetzen wollen und dafür noch die geeignete Organisati­on suchen, und auch für solche, die nach Freiwillig­en suchen. Aktuell sucht etwa die Kripo Mimen für eine Großübung.

Da viele Engagierte gegenüber einem kleinen Dankeschön nicht abgeneigt sind, gibt es mittlerwei­le die Ehrenamtsc­ard, die von der Freiwillig­enagentur ausgegeben wird. Sie stellt eine Art Bonuskarte für Engagierte dar. Mit ihr bekommt man in ausgewählt­en Geschäften Rabatt oder kann damit kostenlos mit der Weißen Flotte über bayerische Seen schippern. Nach den Worten von Ulrike Spieß gibt es im Landkreis Neu-Ulm 32 sogenannte Akzeptanzs­tellen, wo die Karte einen echten Trumpf darstellt. Im gesamten Freistaat seien es rund 4000. Über Nachfrage kann sich Ulrike Spieß nicht beklagen. Fast 2000 gültige Kärtchen sind bei der Agentur registrier­t. Manche davon haben eine goldene Farbe: Wer sich 25 Jahre lang engagiert hat, bekommt sie mit lebenslang­er Gültigkeit.

Auch wenn die Zeiten für manche Organisati­on schwierige­r geworden sind, ist Ulrike Spieß um das Vereinsleb­en im Landkreis Neu-Ulm nicht bang. Wer ein Ehrenamt übernehme, der finde auch Freunde, das helfe gegen Einsamkeit, und: „Ehrenamt macht glücklich.“

 ?? Foto: Wolfgang Widemann ?? Wer einem Verein vorsteht, genießt gelegentli­ch Privilegie­n, hat aber auch viel Arbeit. Viele Menschen scheuen sich mittlerwei­le, Verantwort­ung zu übernehmen. Die Freiwillig­enagentur des Landkreise­s will das ändern.
Foto: Wolfgang Widemann Wer einem Verein vorsteht, genießt gelegentli­ch Privilegie­n, hat aber auch viel Arbeit. Viele Menschen scheuen sich mittlerwei­le, Verantwort­ung zu übernehmen. Die Freiwillig­enagentur des Landkreise­s will das ändern.

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