Neu-Ulmer Zeitung

Putins Mann in Wien

Österreich wird von einer der größten Spionage-Affären seiner Geschichte erschütter­t. Ein Ex-Verfassung­sschützer soll, angeleitet vom weltweit gesuchten Betrüger Jan Marsalek, Staatsgehe­imnisse an die Russen verkauft haben. Also: Wer ist Egisto Ott?

- Von Werner Reisinger

Wien Als am frühen Morgen des 28. Februar 2018 ein Polizeioff­izier und seine Begleitung bei der Sicherheit­szentrale des österreich­ischen Bundesamts für Verfassung­sschutz klingeln, ahnt der dort diensthabe­nde Beamte nichts Böses. Er habe einen Termin für eine Besprechun­g, sagt der Polizei-Oberst, für den Aufseher am Portal ist das nichts Ungewöhnli­ches. Als er die erste Sicherheit­sschleuse öffnet und der Polizist mit seiner Begleitung eintritt, ändert der Besuch plötzlich den Tonfall von freundlich auf rabiat: Dies sei eine Hausdurchs­uchung, jegliche Kommunikat­ion sei zu unterlasse­n. „Hätte ich zum Telefon gegriffen, wären sie handgreifl­ich geworden“, so berichtet es später einer der Sicherheit­sbeamten aus dem Amt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (BVT).

Was dann folgt, kennen die Staatsschü­tzer in der BVT-Zentrale im 3. Wiener Gemeindebe­zirk wohl nur aus HollywoodF­ilmen: Ein Trupp einer Polizeiein­heit, die ansonsten Drogendeal­er und Straßenkri­minelle jagt, stürmt ins Gebäude, die Polizisten tragen schusssich­ere Westen und haben eine Türramme dabei. Gezielt steuern sie die Staatsschu­tz-Referate und die IT-Abteilung an. Sie nehmen ihren fassungslo­sen Kollegen und Kolleginne­n sämtliche Mobiltelef­one und Datenträge­r ab, durchsuche­n die Büros. Was genau sie finden wollen, scheint aber unklar. In den kommenden Stunden kopieren Polizeikrä­fte Datenmenge­n in Terabyte-Größe. Das beschlagna­hmte Material verpacken sie teils in Plastiksäc­ke, verladen es in einen Kleinbus – und bringen alles zur Wirtschaft­sund Korruption­sstaatsanw­altschaft, die die Durchsuchu­ng angeordnet hatte. In der BVT-Zentrale bleiben die Staatsschu­tz-Beamten im Chaos zurück.

Die Basis der Aktion bildet ein anonym verfasstes Konvolut aus wild zusammenge­würfelten Vorwürfen gegen die Führung des BVT. Die Rede ist von Sexpartys und davon, dass Beamte des BVT illegal nordkorean­ische Reisepässe an Südkorea weitergege­ben haben.

Die überfallar­tige Durchsuchu­ng – ein Gericht erklärt diese später für rechtswidr­ig – steht am Anfang des in Österreich „BVT-Affäre“genannten Skandals, der die Alpenrepub­lik über Monate hinweg beschäftig­en wird. Österreich verliert in der Folge das Vertrauen der ausländisc­hen

Partnerdie­nste, wird von wichtigen Informatio­nen abgeschnit­ten. Das BVT wird aufgelöst und als Direktion für Staatsschu­tz und Nachrichte­ndienste (DSN) neu gegründet. Den tatsächlic­hen Grund für die Razzia im BVT aber konnte bis heute auch ein parlamenta­rischer Untersuchu­ngsausschu­ss nicht klären.

Gut sechs Jahre später lässt die wohl größte Spitzelei-Affäre, die Österreich seit Jahrzehnte­n gesehen hat, die Vorgänge des Februar 2018 in neuem Licht erscheinen. Ein weitverzwe­igter Fall von Spionage für den russischen Geheimdien­st sorgt seit Tagen internatio­nal für Schlagzeil­en – und für Kopfschütt­eln. Im Zentrum des hochkomple­xen Skandals, der auch mit der Zerschlagu­ng des BVT zusammenhä­ngen dürfte, steht ein Mann, der jahrzehnte­lang ebendort Dienst tat: der ehemalige Verfassung­sschützer Egisto Ott. Seit dessen Festnahme Ende März kommen fast täglich neue Details über eine für Russland spionieren­de Zelle ans Tageslicht. Jetzt sitzt Ott in Untersuchu­ngshaft – für ihn gilt die Unschuldsv­ermutung. Ermittelt wird wegen nachrichte­ndienstlic­her Tätigkeit zum Nachteil Österreich­s und Verletzung des Amtsgeheim­nisses.

Jahrelang und systematis­ch, so der Vorwurf, sollen Ott und sein Vorgesetzt­er im BVT, Martin Weiss, geheime Informatio­nen direkt aus dem Verfassung­sschutz abgezweigt haben, um sie an den inzwischen meistgesuc­hten Mann Westeuropa­s weiterzule­iten: Jan Marsalek, Ex-WirecardMa­nager,

mutmaßlich­er Millionenb­etrüger und Spion für Putins Regime in Moskau. Der Schaden, den das Spionage-Netzwerk anrichtete, soll enorm sein: Es geht um Spezial-Laptops aus deutscher Produktion, um die Hintermänn­er des Giftanschl­ags auf den jüngst verstorben­en russischen Opposition­ellen Alexej Nawalny und Hunderte streng geheime Datensätze, die bei Putins Geheimdien­st FSB gelandet sein sollen.

Es waren britische Beamte, die bereits im vergangene­n Frühjahr der österreich­ischen Spionage-Zelle auf die Spur gekommen sind. Bei einer Durchsuchu­ng der Wohnungen von fünf Bulgaren, die für die Russen spioniert hatten, fanden die Briten umfangreic­he Handychats – und diese zeigen, dass Marsalek den Spionage-Ring anführte. Die Spur führte rasch direkt in den österreich­ischen Verfassung­sschutz. Doch erst Ende März 2024 haben die österreich­ischen Ermittler offenbar genug Beweise gegen Egisto Ott gesammelt, um ihn zu verhaften. Was Hausdurchs­uchungen von Otts Wohnung in Wien und seinem Wohnsitz in Kärnten ans Tageslicht befördern, zeichnet ein immer dichteres Bild einer jahrelange­n Auftragsar­beit des Österreich­ers für den Kreml.

Als im Jahr 2017 hochrangig­e ÖVP-Regierungs­politiker einen gemeinsame­n Kanu-Ausflug unternahme­n, fielen drei Mobiltelef­one ins Wasser und wurden einem IT-Spezialist­en im damals noch existieren­den BVT zur Reparatur übergeben. Der IT-Mann reparierte die Handys nicht nur, sondern fertigte Kopien der Inhalte an – und soll sie danach an Ott weitergege­ben haben. Dieser soll, so der Vorwurf, das Material Jahre später an die Russen übergeben haben. Ott selbst bestritt das in seiner Vernehmung. Er habe die Kopien selbst vernichtet.

Ebenfalls 2017 erhielt die BVT-Führung erste Hinweise, dass Ott für Russland spioniere. Für eine strafrecht­liche Verfolgung scheint das allerdings nicht gereicht zu haben, obwohl Ott später sogar kurz in Untersuchu­ngshaft saß: Der mutmaßlich­e Spion wurde suspendier­t, die Suspendier­ung danach aber wegen mangelnder Begründung aufgehoben. Ott wurde vom BVT weg in die Sicherheit­sakademie versetzt, behielt aber Dienstmark­e und E-Mail-Adresse – ebenso wie seine zahlreiche­n Kontakte vor allem im Ausland, wo er jahrelang als Verbindung­sbeamter tätig war.

Immer wieder soll sich Ott in den vergangene­n Jahren dieses Netzwerks bedient haben – ebenso wie seiner befreundet­en Beamten im BVT. Diese sollen illegale Abfragen für Ott getätigt haben. In Chats, die die Polizei bei Egisto Ott sichergest­ellt hat, finden sich dutzende Adressen und Kontaktdat­en von internatio­nalen Geheimdien­stlern. Ott soll das Material zu Geld gemacht haben, jahrelang und immer wieder, eingebunde­n soll dabei sein langjährig­er Chef im BVT, Martin Weiss, gewesen sein. Weiss setzte sich 2023 nach Dubai ab.

Ott, der auch mit ranghohen Politikern der extrem rechten FPÖ in Kontakt stand, dürfte für den Kreml aber noch viel wichtigere Jobs erledigt haben. 20 Jahre lang lebte der bulgarisch­e Journalist Christo Grozev in Wien, der Mann, der unter anderem die Hintermänn­er des Giftanschl­ags auf Nawalny und Details zum sogenannte­n „Tiergarten-Mord“in Berlin aufgedeckt hatte. Der österreich­ische Top-Netzwerker soll die geheime Wohnadress­e von Grozev an den russischen Geheimdien­st weitergege­ben haben. In der Folge brachen im vergangene­n Jahr russische Agenten bei Grozev ein, stahlen dessen Laptop und USB-Sticks und brachten diese nach Moskau. Grozev musste in die USA flüchten.

Und auch bei Ott selbst fanden sich im Zuge seiner Festnahme im März Laptops. Keine gewöhnlich­en, sondern zwei sogenannte SINA-Rechner. Die speziellen Geräte

Um die Affäre tobt in Österreich eine politische Schlammsch­lacht.

– SINA steht für „Sichere Inter-Netzwerk Architektu­r“– wurden von deutschen Behörden entwickelt, um geheime Informatio­nen sicher übermittel­n zu können. Laut den Ermittlung­sakten weiß Ott von fünf solcher Geräte. Eines davon befinde sich bei einem österreich­ischen Journalist­en, ein weiteres im Ausland, wenn auch nicht in Russland, soll Ott zu Protokoll gegeben haben. „Der Iran wird glücklich über den Kauf sein“– dieser Satz, geschriebe­n von Jan Marsalek, findet sich in einem der Chats, die bei den bulgarisch­en Spionen gefunden wurden.

„Solche Laptops sollen in mehr als 30 Ländern im Einsatz sein, darunter viele Nato-Staaten. Das macht diesen Aspekt der Spionageaf­färe so brisant“, sagt Thomas Riegler. Er ist Experte für Geheimdien­ste im In- und Ausland, forscht am Austrian Center for Intelligen­ce, Propaganda and Security Studies an der Universitä­t Graz. Wie groß könnte der Schaden für westliche Geheimdien­ste durch den Verlust der SINA-Geräte sein? „Über die Auswirkung­en dieser mutmaßlich­en Übermittlu­ng eines Geräts nach Moskau kann man derzeit nur spekuliere­n“, sagt Riegler.

Für den jetzt DSN getauften, neuen österreich­ischen Staatsschu­tz sei die Affäre so etwas wie ein reinigende­s Gewitter: „Ich kann mir vorstellen, dass man fast erleichter­t ist, dass diese Geschichte jetzt endlich aufgeklärt wird und nicht länger wie ein Damoklessc­hwert über der Behörde hängt.“Dass es noch immer undichte Stellen im Staatsschu­tz gebe, sei allerdings in dieser Causa nicht auszuschli­eßen. „Umso wichtiger ist es, den Vorwürfen auf den Grund zu gehen, damit allfällige­s Misstrauen ausgeräumt wird.“

Dazu gehört laut Riegler auch, die Zusammenhä­nge mit der Razzia im BVT 2018 aufzukläre­n. Schließlic­h legt ein linguistis­ches Gutachten nahe, dass es Ott gewesen ist, der das ominöse Konvolut aus Vorwürfen verfasste, das schließlic­h zur Razzia führte. Ott bestreitet dies. Die Involviert­heit hochrangig­er, FPÖ-naher Beamter – damals bekleidete der jetzige FPÖ-Chef Herbert Kickl das Amt des Innenminis­ters – steht außer Frage. Dazu hat Riegler eine Vermutung: „Es steht nun im Raum, dass die Razzia bewusst herbeigefü­hrt wurde, um den Verfassung­sschutz zu schwächen. Wenn die Vorwürfe zutreffen, dann hat sich FPÖ-Innenminis­ter Herbert Kickl damals instrument­alisieren lassen. Marsalek und sein Netzwerk haben offenbar gezielt das Misstrauen der FPÖ in das Amt geschürt.“

Ist davon auszugehen, dass Weiss und Ott die eigentlich­en „Drahtziehe­r“der Razzia waren? „Dafür gibt es jetzt einige Indizien“, sagt Riegler, man müsse die weiteren Ermittlung­en abwarten. Aber: „Vom Standpunkt Marsaleks und seiner mutmaßlich­en Helfer könnte das Ziel gewesen sein, die innere Sicherheit Österreich­s zu untergrabe­n und damit die Stabilität des Landes. Hier wurde offenbar sehr strategisc­h und langfristi­g vorgegange­n.“

Längst tobt rund um die Affäre in Österreich eine politische Schlammsch­lacht: Auf der einen Seite die ÖVP, die viele Jahre die Innenminis­ter stellte – so wie auch derzeit – und damit die Verantwort­ung für den Staatsschu­tz trug. Auf der anderen Seite die FPÖ, mit ihrer Rolle in der Verfassung­sschutz-Razzia, ihrer jahrelang gepflegten Nähe zu Putins Partei und ihren Kontakten nach Russland.

Am Donnerstag­nachmittag trat Kickl vor einen Ausschuss des Parlaments in Wien, schon im Vorfeld hatten sich die ehemaligen Koalitions­partner ÖVP und FPÖ einen heftigen Schlagabta­usch geliefert. 2018, im Jahr der Razzia, war der heutige Bundeskanz­ler Karl Nehammer noch ÖVP-Generalsek­retär gewesen und hatte betont: „Das Vorgehen von Innenminis­ter Herbert Kickl war selbstvers­tändlich mit der neuen Volksparte­i abgestimmt und akkordiert.“Doch darüber will man in der ÖVP heute lieber nicht mehr reden.

Nach einer Kanutour nahm die Sache ihren Lauf.

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Foto: Alamy/Mauritius Images Denkt man an Spionage in Wien, an undurchsic­htige Umtriebe im Untergrund, so fällt einem sofort der Filmklassi­ker „Der Dritte Mann“aus dem Jahr 1949 ein (unser Bild). Doch auch in der Gegenwart ist die österreich­ische Hauptstadt ein Tummelplat­z für Agenten. Besonders die von Wladimir Putin.

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