Wie Abtreibungen in anderen Ländern geregelt sind
Frankreich sieht sich an der Spitze des Fortschritts, Amerika an der Spitze des Schutzes des ungeborenen Lebens. Eine Übersicht über schwierige Debatten.
Frankreich ist das einzige Land der Welt, dessen Verfassung das Recht auf einen freiwilligen Schwangerschaftsabbruch ausdrücklich schützt. Als das Parlament Anfang März seine mit überwältigender Mehrheit getroffene Entscheidung bekannt gab, wurde diese als „historisch“eingeordnet. Umfragen zufolge befürworteten mehr als 80 Prozent der Französinnen und Franzosen die Verfassungsänderung. Alle Parteien, selbst die rechtsextreme Partei Rassemblement National, stehen hinter dem Schritt. Dagegen stellt sich die katholische Kirche.
Eigentlich hat die Entscheidung vor allem symbolischen Charakter – sie soll ein Gegengewicht bilden zu den Einschränkungen, die Länder wie die USA in den vergangenen Jahren vorgenommen haben. Frankreich sieht sich selbst an der Spitze derer, die für die Rechte von Frauen kämpfen. In Frankreich sind Abtreibungen bis zur zehnten Schwangerschaftswoche bereits seit 1975 straffrei. Mittlerweile können Schwangere bis zur 14. Woche abtreiben, die Kosten übernimmt die Krankenkasse. Eine vorherige Beratung ist freiwillig. Allerdings ist das Land in der Theorie liberaler als in der Praxis. Auch hier führt nur ein Teil der Gynäkologen überhaupt Abtreibungen durch. Trotzdem ist die Zahl der Abbrüche hoch. Zum Vergleich: In Frankreich wurden im Jahr 2022 rund 230.000 Abtreibungen vorgenommen, in Deutschland waren es im Jahr 2022 rund 104.000 gemeldete Fälle.
Der französische Präsident würde gerne noch einen Schritt weitergehen und die Freiheit, einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen, in die Charta der Grundrechte der EU aufnehmen. „Wir werden erst dann Ruhe finden, wenn dieses Versprechen überall auf der Welt eingelöst wird. Wir werden diesen Kampf auf unserem Kontinent führen, in unserem Europa, wo reaktionäre Kräfte zuerst und immer wieder die Rechte der Frauen angreifen, bevor sie dann die Rechte von Minderheiten, Unterdrückten und alle Freiheiten attackieren“, sagt Macron. Die EU-Grundrechtecharta ist für alle Staaten der Europäischen Union außer Polen verbindlich.
Das osteuropäische Land liefert sich seit Jahren einen echten Kulturkampf um das Thema. 2021 trat nach einem umstrittenen Urteil des Verfassungsgerichts ein verschärftes Abtreibungsrecht in Kraft. Seitdem dürfen Frauen auch dann keinen Schwangerschaftsabbruch mehr vornehmen, wenn ein ungeborenes Kind schwere Fehlbildungen aufweist. Ein Abbruch ist nur dann erlaubt, wenn die Schwangerschaft das Leben oder die Gesundheit der Mutter gefährdet oder Ergebnis von Vergewaltigung oder Inzest ist. Doch aus Angst vor möglichen Strafen sind polnische Ärzte selbst in diesen Fällen häufig zurückhaltend. Die Formulierung des Gesetzes ist ihnen zu vage.
Zurück geht die restriktive Regelung auf die Regierungszeit der PiS-Partei, die eine konservativ-katholische Familienpolitik zu ihrer Leitlinie gemacht hatte. Nur Malta hat noch strengere Abtreibungsgesetze als Polen. Die Insel ist der einzige EU-Mitgliedsstaat, der Abtreibungen ausnahmslos verbietet. Die katholische Kirche hat in Polen insgesamt einen hohen Stellenwert – und großen politischen Einfluss. Allerdings verliert sie ihre dominante Rolle zunehmend, Missbrauchsskandale erschütterten das Vertrauen vieler Menschen.
Der neue Ministerpräsident Donald Tusk möchte das Abtreibungsrecht wieder lockern. Die Mehrheit der Bevölkerung scheint er hinter sich zu haben. In Umfragen geben mehr als 80 Prozent der Menschen an, dass sie eine Liberalisierung wünschen. Einfach wird es für Tusk dennoch nicht. Seine Drei-Parteien-Regierung streitet darüber, wie weit die Lockerung gehen soll. Der Ministerpräsident will Abtreibungen bis zur zwölften Woche ermöglichen. Ein weiterer Gesetzentwurf soll den Zugang zur „Pille danach“erleichtern. Frauen und Mädchen ab einem Alter von 15 Jahren sollen sie demnach künftig ohne Rezept erhalten können.
Das Recht auf Abtreibung war im vergangenen Jahr ein zentrales Thema im polnischen Wahlkampf. Nach dem Tod einer Schwangeren bei einer Krankenhausbehandlung hatte es landesweit Proteste gegeben. Die Frau starb an einer Sepsis, nachdem das Fruchtwasser ausgelaufen war. Frauenrechtlerinnen warfen den Ärzten vor, dass sie sich trotz der Komplikationen nicht für eine Abtreibung entschieden hätten – aus Angst vor juristischen Folgen.
Polen ist nicht nur im Umgang mit Abtreibungen strikt, auch das Thema Verhütung ist streng reguliert. Mädchen brauchen bis zum 18. Lebensjahr die Einwilligung der Eltern, wenn sie hormonelle Verhütungsmittel wie die Pille nehmen möchten. Der Zugang zu Verhütungsmitteln ist insgesamt schwierig.
Das Land hatte lange Jahre eines der strengsten europäischen Abtreibungsrechte. Doch mit dem schwindenden Einfluss der Kirche wuchs auch in der Bevölkerung der Wunsch nach Veränderung. Im Jahr 2018 wurde die gesetzliche Neuregelung mit einer überwältigenden Mehrheit beschlossen – es war nichts anderes als eine Zeitenwende. Bis dahin wurde in einem Verfassungszusatz das Lebensrecht ungeborener Kinder mit dem der Mutter gleichgestellt.
Wer gegen das Abtreibungsverbot verstieß, konnte mit bis zu 14 Jahren Gefängnis bestraft werden. Selbst nach einer Vergewaltigung, Inzest oder bei einem kranken Fötus war in Irland ein Schwangerschaftsabbruch untersagt. Tausende Frauen reisten deshalb jährlich nach Großbritannien und in andere Länder, um Abtreibungen vornehmen zu lassen. Der UN-Menschenrechtsausschuss kritisierte das Abtreibungsverbot 2016 als Verstoß gegen internationale Menschenrechtsvereinbarungen und forderte die Regierung auf, es zu überarbeiten. Heute ist ein Schwangerschaftsabbruch bis zur zwölften Woche erlaubt.
Bewegt hatte damals viele Iren der Tod der Zahnärztin Savita Halappanavar
aus Indien im Jahr 2012. Der 31 Jahre alten Schwangeren war eine Abtreibung in einem irischen Krankenhaus verweigert worden, obwohl ihr Baby nach Komplikationen in der 17. Schwangerschaftswoche keine Überlebenschance hatte. Sie starb wenige Tage, nachdem sie ein totes Kind zur Welt gebracht hatte, an einer Blutvergiftung. Ihr Porträt wurde zum Gesicht der Ja-Kampagne.
Für Irland war der Schritt weg von einem Abtreibungsverbot groß. Insgesamt prägten katholische Moralvorstellungen die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Bis 1997 war die Scheidung von Ehen nicht gestattet. Bis 1980 waren Verhütungsmittel wie die Pille verboten, Kondome gab es bis 1985 nur auf Rezept (und nur an Verheiratete), frei im Handel sind sie erst seit 1992. Inzwischen ist Verhütung für alle Personen bis 26 Jahren sogar kostenlos.
Auch die Vereinigten Staaten machten mit einem als historisch bezeichneten Schritt von sich reden – er ging in eine andere Richtung als in Frankreich und Irland. In den USA kippte das Oberste Gericht vor knapp zwei Jahren das bundesweit geltende Recht auf Abtreibung. Es war ein politisches Erdbeben. Seitdem dürfen die einzelnen Bundesstaaten das Recht auf Abtreibung erheblich einschränken. Ein rechtlicher Flickenteppich ist entstanden – vielerorts sind strenge Beschränkungen in Kraft getreten. In 14 Bundesstaaten sind Schwangerschaftsabbrüche praktisch verboten. In anderen Bundesstaaten, wie zum Beispiel in Ohio, wurde das Recht auf Abtreibung in der Verfassung verankert. Einen anderen Weg geht man tief im Süden: Ab dem 1. Mai sind Abtreibungen in Florida nur noch bis zur sechsten Woche zulässig, also dann, wenn viele Frauen noch gar nicht wissen, dass sie überhaupt schwanger sind.
Paradox: Im Jahr nach der Entscheidung des obersten Gerichts war die Zahl der Abtreibungen landesweit gestiegen. Die Zahl ging besonders in den Bundesstaaten in die Höhe, die an Bundesstaaten mit strengen Verboten grenzen.
Auch Abtreibungspillen haben an Bedeutung gewonnen. Doch inzwischen steht auch der Zugang zu einem weitverbreiteten Medikament auf dem Prüfstand. Abtreibungsgegner wollen empfindliche Zugangsbeschränkungen für die Pille Mifepristone erwirken. Das Medikament wurde im Jahr 2000 in den USA zugelassen und wird von der USArzneimittelbehörde FDA als zuverlässig eingestuft.
Umfragen zeigen, dass lediglich ein Drittel der Amerikaner ein sehr weitreichendes oder komplettes Verbot der Abtreibung unterstützt. US-Präsident Joe Biden konnte zuletzt bei Wählern mit dem Thema der körperlichen Selbstbestimmung von Frauen punkten. Doch die religiöse Rechte und weite Teile der republikanischen Partei versuchen seit Jahrzehnten, das Recht auf Abtreibung zu beschneiden – mit Erfolg. Vor allem den sehr konservativen Evangelikalen wird großer politischer Einfluss zugesprochen. (huf/ dpa)