Neu-Ulmer Zeitung

Flaute im Landtag

Anders als vor fünf Jahren fehlt es in der Landespoli­tik an Schwung. Die Plenarsitz­ungen sind deutlich kürzer, Ausschusss­itzungen fallen aus. Die AfD versucht, das zu nutzen – sehr zum Ärger der anderen Fraktionen.

- Von Uli Bachmeier

München Ist es Zufall? Liegt es daran, dass im Sommer schon wieder Wahlen vor der Tür stehen? Ist es Ideenlosig­keit oder einfach nur eine Verkettung einzelner Umstände? Offenkundi­g jedenfalls ist: Der Bayerische Landtag ist seit der Wahl im vergangene­n Oktober noch nicht auf Betriebste­mperatur. Noch herrscht eine ungewöhnli­che Flaute im politische­n Betrieb. Zu nutzen weiß das vor allem die AfD. Diese Woche bestimmte sie nahezu im Alleingang die Tagesordnu­ng der Plenarsitz­ung – sehr zum Ärger der anderen Fraktionen.

Wenn Bürgerinne­n und Bürger eine Vollsitzun­g des Landtags besuchen, lautet eine der meistgeste­llten Fragen: Warum sitzen so wenig Abgeordnet­e im Plenarsaal? Die Antwort lautet: Weil sie noch anderes zu tun haben, als der Debatte zu folgen, und weil der Plenarsaal halt nur einer von mehreren Arbeitsplä­tzen einer Abgeordnet­en oder eines Abgeordnet­en ist.

Tatsächlic­h arbeiten die meisten MdL deutlich mehr als ein durchschni­ttlicher Arbeitnehm­er – und zwar nicht nur in Plenar-, Ausschuss-, Fraktions- und Arbeitskre­issitzunge­n. Abgeordnet­e arbeiten an ihren Schreibtis­chen im Landtag oder in ihren Büros daheim in den Stimmkreis­en. Sie machen Termine, halten Bürgerspre­chstunden oder gehen zu Versammlun­gen – und das regelmäßig auch abends oder an den Wochenende­n. Messen lässt sich weder der reine Zeitaufwan­d noch die Qualität der Arbeit. Das Abgeordnet­enmandat ist frei. Das Urteil über die politische Leistung soll, so sieht es die Verfassung vor, der Wähler sprechen.

Die Besucherin­nen und Besucher, die am Dienstag auf Einladung der SPD-Abgeordnet­en Doris Rauscher auf der Tribüne des Plenarsaal­s Platz nahmen, erlebten nicht nur eine schlecht besuchte Sitzung. Sie mussten, wie Rauscher sagt, auch ein „besonders großes Aufmerksam­keitsdefiz­it“unter den anwesenden MdL feststelle­n. Die wenigen Abgeordnet­en von CSU, Freien Wählern, Grünen und SPD schenkten den von der AfD gesetzten Themen kaum Beachtung. Der Grund sind die Rituale der Rechtspopu­listen: Regelmäßig kandidiert ein Mitglied der Fraktion für das Amt eines Landtagsvi­zepräsiden­ten – wohl wissend, dass ein AfD-Kandidat nicht gewählt wird. Regelmäßig setzt die AfD Anträge, die in den Ausschüsse­n bereits abgelehnt worden waren, erneut auf die Tagesordnu­ng – wohl wissend, dass sie keine Mehrheit finden. Mit diesen Aktionen verschaffe­n sich die Rechtspopu­listen zusätzlich­e mediale Aufmerksam­keit,

weil die Sitzung gestreamt werden kann und die Aufzeichnu­ngen sich über soziale Medien billig weiterverb­reiten lassen.

Wie weit das Feld ist, das die anderen Fraktionen der AfD zurzeit überlassen, zeigt sich an einigen Messziffer­n zur Tätigkeit des Landtags insgesamt. Die Befunde scheinen den Eindruck zu bestätigen, dass das Landesparl­ament mit deutlich weniger Schwung unterwegs ist als nach der Landtagswa­hl 2018: Die Zahl der Dringlichk­eitsanträg­e hat sich laut Statistik des Landtagsam­tes fast halbiert, die Zahl der übrigen Anträge ist um knapp ein Drittel gesunken und statt elf Gesetzentw­ürfen wie zuletzt vor fünf Jahren lagen zum Stichtag – in diesem Fall der 8. April – nur zwei zur Beratung vor. Mindestens drei Ausschusss­itzungen – einmal Bildung, einmal Soziales und einmal Recht und Verfassung – mussten ausfallen, weil es schlicht keine Anträge gab, über die geredet werden konnte. Für kommende Woche wurde die Sitzung des Wirtschaft­sausschuss­es abgesagt. Und allzu viel zu sagen hatte man sich bisher auch in großer Runde noch nicht: Vor fünf Jahren dauerten die ersten 15 Plenarsitz­ungen noch insgesamt rund 72 Stunden, aktuell reichten für die ersten 15 Vollsitzun­gen rund 55 Stunden – die zeitrauben­den AfDRituale eingeschlo­ssen.

Die Zahlen in der Statistik zeigen auch, dass sich die Kräfteverh­ältnisse innerhalb der Opposition im Landtag verschoben haben. Während die AfD-Fraktion, die aus den Wahlen deutlich gestärkt hervorging, Regierung und Landtag mit Anträgen und Anfragen förmlich bombardier­t, gehen die messbaren Aktivitäte­n bei den Grünen und der personell stark dezimierte­n SPD-Fraktion zurück.

SPD-Fraktionsc­hef Florian von Brunn führt die aktuelle Flaute allerdings in erster Linie auf die ungewöhnli­ch späten Haushaltsb­eratungen zurück, die zuletzt fast alle Kräfte in seiner Fraktion blockiert hätten. Er kündigt aber an, etwas gegen „Einseitigk­eiten in der Tagesordnu­ng des Plenums“, wie es sie vergangene­n Dienstag gab, unternehme­n zu wollen. Und er nimmt die Regierung in die Pflicht. „Es gäbe viel zu tun in Bayern. Aber da kommt reichlich wenig.“

Der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der Grünen, Jürgen Mistol, weist den Verdacht zurück, dass seine Fraktion in ihrem Eifer nachgelass­en haben könnte. Bei den Anträgen kommt es aus seiner

Sicht aber nicht so sehr auf die Menge, sondern auf die Qualität an: „Wir fokussiere­n uns in unserer Arbeit bewusst auf die Themen, die viele Leute im Land umtreiben: Klimaschut­z, nachhaltig­e Energieund Wärmeverso­rgung, Pflege, bezahlbare Kinderbetr­euung und die Stärkung unseres freien Lebens gegen die Feinde von rechts.“

Auch CSU-Fraktionsc­hef Klaus Holetschek sieht im Start des neuen Landtags offenbar nichts Ungewöhnli­ches: „Zu Beginn einer Legislatur­periode ist es normal, dass erst einmal Gremien neu besetzt und parlamenta­rische Abläufe sich wieder einspielen müssen.“Holetschek verweist „auf eine ganze Reihe von Themen“, die von der CSU angestoßen worden seien, und nennt als Beispiel die umfangreic­he Reform des neuen Abgeordnet­engesetzes. „Qualität geht hier vor Eile“, sagt Holetschek.

Sein Kollege von den Freien Wählern, Florian Streibl, räumt immerhin ein, dass es dieses Mal „ziemlich lahm“losgegange­n sei. Der Grund dafür aber liegt seiner Ansicht nach nicht im Regierungs­lager. „Eine geschwächt­e demokratis­che Opposition, insbesonde­re die SPD, und das massive Erstarken der Rechten bei der jüngsten Landtagswa­hl hat das gewohnte Kräfteverh­ältnis und den Stil des Umgangs miteinande­r nachteilig beeinfluss­t“, sagt er.

AfD bombardier­t die Regierung förmlich mit Anfragen.

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Foto: Sven Hoppe, dpa Wieder so ein Tag, an dem die Plenarsitz­ung im Bayerische­n Landtag schlecht besucht ist.

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