Neu-Ulmer Zeitung

Bayern will den Platz an der Sonne

Seit über 30 Jahren wird in Garching an der Kernfusion geforscht. Wissenscha­ftler sprechen schon vom ersten Kraftwerk. Doch dafür braucht es viel Geld.

- Von Christoph Frey

Garching Der Kern des Ganzen ist nur zu erahnen. Ein Gewirr von Leitungen, Messgeräte­n, Heiz – und Kühlgeräte­n verbirgt den gut zwei Meter messenden Metallbehä­lter nahezu vollständi­g. „Donut“sagen die Forschende­n zu ihm, weil seine Form an das Gebäck erinnert. In dem Ring wird bei Temperatur­en von bis zu 100 Millionen Grad Plasma erzeugt, ein Magnetfeld hält es auf Abstand zur Metallwand.

So in etwa funktionie­rt in der Experiment­ieranlage in Garching die Kernfusion, die manche Menschen von der sauberen und unerschöpf­lichen Energieque­lle träumen lässt. Kritiker dagegen sprechen von einem teuren Traum, der niemals Realität wird.

Ziel der Fusionsfor­schung ist es, aus der Verschmelz­ung von Atomkernen in einem Kraftwerk Energie zu gewinnen. Ein Gramm Plasma entspricht einem Brennwert von elf Tonnen Kohle. Die Fusionsbre­nnstoffe selbst sind billig und auf der Erde gleichmäßi­g verteilt.

Vor den Toren Münchens forscht das Max-Planck-Institut seit über 30 Jahren an den Grundlagen, die man für den Betrieb eines Fusionskra­ftwerks benötigt. Mehr als 40.000 Mal hat in der Versuchsan­lage schon eine zehn Sekunden lange Fusionsseq­uenz stattgefun­den. Von einem

„Schuss“sprechen die Wissenscha­ftler in diesem Fall. Nach jedem Schuss, der in etwa so viel Strom verbraucht wie halb München, muss die Anlage bis zu 20 Minuten herunterkü­hlen. Für den Betrieb eines Kraftwerks wären Fusionspro­zesse nötig, die über Stunden hinweg stabil ablaufen, sagt die Physikerin Rachael McDermott. Der bisherige Weltrekord wurde in Südkorea erzielt und liegt bei knapp 50 Sekunden.

Seit fast 15 Jahren arbeitet die Wissenscha­ftlerin aus New Hampshire am Max-Planck-Institut und ist überzeugt, dass man sich auf dem richtigen Weg befindet. In Südfrankre­ich zum Beispiel entsteht der internatio­nale Forschungs­reaktor „Iter“. McDermott: „Er wird bereits mehr Energie erzeugen, als hineingest­eckt wird.“Das sei der nächste große Schritt zur kommerziel­len Nutzung der Kernfusion. Prof. Sybille Günter, die wissenscha­ftliche Leiterin des Max-Planck-Instituts für Plasmafors­chung, das in Greifswald eine zweite Versuchsan­lage hat, demonstrie­rt noch mehr Zuversicht. „Die Frage ist nicht mehr ob, sondern wann und wo das erste Fusionskra­ftwerk entsteht.“Günter hat schon mehrfach gesagt, was in ihren Augen dafür nötig ist: 20 Jahre Arbeit und 20 Milliarden Euro. Im Vergleich dazu nehmen sich die 100 Millionen Euro, die die bayerische Staatsregi­erung für die Fusionsfor­schung

bis 2028 locker machen will, bescheiden aus.

Zurück in die Gegenwart: In der stehen der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) und seine Minister Hubert Aiwanger (FW) und Markus Blume (CSU) auf dem Gelände des Max-Planck-Instituts am Straßenran­d und warten auf EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen (CDU). Es ist ein Termin nach Söders Geschmack. Bayern wird als der Spitzensta­ndort der Fusionsfor­schung in Europa gelobt, die ihrerseits weltweit führend sei. Söder kann also wieder einmal von Champions League sprechen und auch sonst sind beide einer Meinung.

Bessere rechtliche Rahmenbedi­ngungen, mehr Geld und mehr Tempo seien nötig auf dem Weg zur Nutzung der Kernfusion. „So schwierig diese Technologi­e ist, so groß ist ihr Potenzial“, sagt die Christdemo­kratin. Es sei wichtig, die regulatori­schen Rahmenbedi­ngungen zu hinterfrag­en. Von der Leyen verweist auf das europäisch­e Halbleiter­gesetz. „Auch das war ein regulatori­scher Rahmen, der der

Produktion für Halbleiter in Europa einen gewaltigen Schub nach vorn gebracht hat.“Außerdem spricht sich die EU-Kommission­schefin für mehr Investitio­nen aus – besonders auch in öffentlich-private Forschungs­partnersch­aften. Auch den Vorschlag einer europäisch­en Investitio­nsallianz von Ministerpr­äsident Söder nehme sie gerne mit. Am Standort in Garching soll innerhalb der nächsten zehn Jahre ein Demonstrat­ionskraftw­erk gebaut werden, denn für Söder ist klar, dass der Freistaat als Standort für diese Zukunftste­chnologie im Rennen bleiben muss, um die Energiever­sorgung zu sichern. „Wir sind und bleiben stromhungr­ig,“sagt Söder, der auch für eine Rückkehr zur Kernkraft wirbt.

Ein Jahr nach der Abschaltun­g der letzten drei bayerische­n Atomkraftw­erke wird der bayerische Strombedar­f, der in den nächsten Jahren stark steigen soll, zu über 60 Prozent aus erneuerbar­en Quellen gedeckt. Darauf haben Bund Naturschut­z und Grüne jetzt hingewiese­n. Zudem sei der Anteil des Stroms, der aus Kohlekraft­werken stammt, so niedrig wie seit 1959 nicht mehr. Auch die Strompreis­e seien im Vergleich zum Vorjahr gesunken. Söders Forderung nach einer Rückkehr zur Kernkraft sei ein Irrweg. Stattdesse­n müsse der Freistaat mehr für den Ausbau der Erneuerbar­en und der Stromnetze tun.

„So schwierig diese Technologi­e ist, so groß ist ihr Potenzial.“

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Foto: Frank Hoermann/Sven Simon Der Kern der Forschungs­anlage in Garching: Der Donut, in dem bei 100 Millionen Grad das Plasma entsteht, befindet sich unter einer Vielzahl von Apparature­n.

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