Neu-Ulmer Zeitung

Was von den Demos gegen Rechts übrig geblieben ist

Hunderttau­sende Menschen demonstrie­rten Anfang des Jahres gegen Extremismu­s und für die Demokratie. Daraus sind neue Bündnisse entstanden, die nun landesweit aktiv sind.

- Von Tabea Kingdom

Augsburg/München/Stuttgart Hand in Hand umschließt eine Menschenke­tte das Augsburger Rathaus. Etwa 400 Menschen wollen so ein Zeichen gegen Rechtsextr­emismus und für Demokratie setzen. Es ist ein Sonntagabe­nd im April. Keine zwei Monate ist es her, da kamen am gleichen Ort 25.000 Demonstran­tinnen und Demonstran­ten zusammen. Damals war der Aufmarsch in Augsburg eine von vielen Demos. Hunderttau­sende zog es in Hamburg und München auf die Straße, Tausende trugen den Protest in die Fläche, selbst in kleinere Kommunen in Ostdeutsch­land. Eine der größten Protestbew­egungen in Deutschlan­d seit Jahren entstand. Inzwischen nimmt der große Zustrom ab. Was also bleibt von den Demos – und wie kann es weitergehe­n?

„Es liegt in der Gesetzmäßi­gkeit solcher Proteste, dass die hohe Mobilisier­ung nach einer Weile wieder abflaut“, sagt Rüdiger SchmittBec­k, Professor für politische Soziologie an der Universitä­t Mannheim. Mobilisier­ungen in dieser Größe seien immer an ein Ereignis gebunden. Auslöser für die Protestwel­le waren die Enthüllung­en des Recherchen­etzwerks Correctiv über ein Treffen rechter Radikaler in Potsdam und deren Remigratio­nsfantasie­n. Unter den Teilnehmen­den waren Mitglieder der AfD und der Werteunion sowie Identitäre. Die Recherche habe, so Schmitt-Beck, einen völkischen Nationalis­mus offenbart, der die deutsche Staatsbürg­erschaft nicht akzeptiert, sondern eine ethnische Zugehörigk­eit verfolgt.

Das Entsetzen war groß. In Baden-Württember­g rief der Landesvors­itzende der SPD, Andreas Stoch, bereits Mitte Januar Verantwort­liche von Parteien, Kirchen, Gewerkscha­ften und hin bis zu Sportverbä­nden und Chorverbän­den im ganzen Südwesten an. „Wir müssen alle Demokratin­nen und Demokraten zusammenho­len“, sagt er. Über die Demos hinaus will der SPD-Politiker aus dem Kreis Heidenheim ein Organisati­onsfundame­nt schaffen. Das Ergebnis ist ein neues Bündnis für Demokratie und Menschenre­chte. Mittlerwei­le haben sich 113 Organisati­onen angeschlos­sen. So ist neben dem Landesbaue­rnverband auch Fridays for Future mit dabei.

„Uns war es wichtig, dass die Verbände landesweit aktiv sind“, erklärt Stoch. Lokal könne das Bündnis dann auch herunterge­brochen werden. Bisher sei es fast dem Zufall überlassen, wer in Gemeinden und Städten Demos organisier­t. Durch das Bündnis seien zahlreiche Akteure vereint, die auf die Strukturen des Bündnisses zurückgrei­fen können. In einem neu entstanden­en Steuerungs­kreis seien bewusst keine Parteien vertreten, die Zivilgesel­lschaft habe die Leitung in der Hand. Den Unterbau für die Organisati­on stelle der Deutsche Gewerkscha­ftsbund. „Das gemeinsame Ziel ist die Unterstütz­ung und Sicherung der Demokratie“, erklärt Stoch. Momentan sind ein Fest der Demokratie und eine Sozial-Media-Kampagne mit Prominente­n in Planung.

Die gesellscha­ftliche Breite des Bündnisses ist für den Mannheimer Soziologen ein wichtiges Signal, da es aussagt: „Wir sind die gesamte Gesellscha­ft.“Dieses Narrativ versuche die AfD als populistis­che Partei seit Jahren für sich zu reserviere­n. Die Partei vermittle ihren Anhängern, die einzige Partei zu sein, die das Volk verstehe. Die Demonstrat­ionen hätten gezeigt, dass es nicht so ist. Auch deshalb hält es der Soziologe für „absolut fatal“, wenn auf den Demos Rufe laut werden, dass die CDU und CSU nicht willkommen seien. Tatsächlic­h war in Äußerungen immer wieder die Grenze zwischen rechts und rechtsextr­em verschwomm­en.

Gleichwohl gibt es Hinweise, dass bei den Demos selbst Anhänger linker Parteien stärker vertreten waren. Forscher der Universitä­t Konstanz haben 500 Teilnehmer an drei Demos befragt. Zumindest dort galt: 61 Prozent der

Befragten hatten bei der vorigen Bundestags­wahl Bündnis 90/Die Grünen gewählt, 18 Prozent die SPD und acht Prozent die CDU. Eine Mehrheit (53 Prozent) ordnete sich selbst der mittleren Mittelschi­cht und ein Drittel der oberen Mittelschi­cht zu. Sechs von zehn Befragten besaßen einen Hochschula­bschluss, 20 Prozent zumindest Abitur. Somit ergebe sich „eine demografis­che Schräglage zugunsten eines höher gebildeten Bevölkerun­gsabschnit­ts am oberen Ende der Mittelschi­cht“, schließen die Autoren Marco Bitschnau und Sebastian Koos. Auffällig war auch: Zwei Drittel der Befragten hatten vorher noch nie an einer Kundgebung mit ähnlicher inhaltlich­er Ausrichtun­g teilgenomm­en. Viele seien zwar schon länger besorgt gewesen über die Stärke der AfD – die Correctiv-Recherche über das Potsdamer Treffen habe dann das „Fass zum Überlaufen“gebracht, heißt es in der Studie.

Zwei Motive mobilisier­ten laut Schmitt-Beck viele Menschen: Zum einen sei es um eine politische Haltung zur Zuwanderun­gspolitik gegangen – das Thema habe vor allem migrations­freundlich­e Menschen aus dem linken Spektrum auf die Demos gezogen. Zum anderen sei es um die Frage gegangen, wie gefährlich die AfD für die Demokratie sei. Der Schutz der Demokratie sei daher auch der kleinste gemeinsame Nenner, der manche Bündnispar­tner zusammenhä­lt.

Wie es nach einer Protestbew­egung langfristi­g weitergehe­n kann, zeigt die Lichterket­te in München. Vor fast 32 Jahren wurde sie gegründet, organisier­t von einem Freundeskr­eis gegen die damals stärker werdende Ausländerf­eindlichke­it. Die Gruppe besteht bis heute. „Wir haben uns damals ganz bewusst dafür entschiede­n, nur die Zivilgesel­lschaft und keine Kirchen, keine Gewerkscha­ft und keine Parteien zum Mitmachen einzuladen“, berichtet Gründungsm­itglied Peter Probst. Jeder sei willkommen gewesen, aber als Bürger. Den Schwung (und die Spenden) nutzten die Freunde, um einen Verein zu gründen. Der Gedanke war: „Wir müssen vom Zeichen

zu den Taten kommen.“Seither entwickelt­e der Verein Projekte, die der Integratio­n dienen.

Wichtig ist es den Mitglieder­n, die Initiative in die einzelnen Stadtteile, also zu den Menschen zu bringen. So sucht die Lichterket­te etwa Mentorinne­n und Mentoren für junge Geflüchtet­e oder geht an Mittelschu­len und unterstütz­t Schülerinn­en und Schüler, die Nachteilen ausgesetzt sind. „Wir wollen Menschen ermutigen, damit auch sie in ihrem privaten Umfeld Stellung beziehen können“, erklärt Probst. Selbst wenn sich Demonstrat­ionen mit der Zeit erschöpfen, seien sie dennoch ein bedeutsame­r Teil „eines Aktes der Selbstverg­ewisserung“, so Probst. Menschen mit einem gefestigte­m rechtsextr­emen Weltbild erreiche man damit zwar wahrschein­lich nicht. Aus den Protestbew­egungen könnten jedoch Initiative­n entstehen, die die Themen weitertrag­en.

„Das Potenzial hat sich gezeigt, aber dadurch, dass es nicht auf die Straße geht, ist es nicht verschwund­en“, sagt auch Rüdiger Schmitt-Beck. Und: Das Ende der Demos gegen Rechtsextr­emismus müsse noch längst nicht gekommen sein. Mit Blick auf die Landtagswa­hlen in Sachsen, Thüringen und Brandenbur­g rechnet er damit, dass in diesem Jahr weiter protestier­t wird. Die neuen Bündnisse und Initiative­n hätten für dieses Thema eine erhöhte Sensibilit­ät. Die Wachsamkei­t sei durch die Protestwel­le der vergangene­n drei Monate gestiegen.

Und welche Folgen hatten die Proteste für die AfD? Seit Beginn der Demos gegen Rechtsextr­emismus sind die Zustimmung­swerte für die AfD zumindest nicht mehr gestiegen. Nach bundesweit­en Höchstwert­en bis zu 23 Prozent sackte die Partei zwischenze­itlich bis auf 16 Prozent ab. Derzeit liegt sie bei 18 bis 20 Prozent. „Die Unterstütz­ung der AfD ist mit geringem politische­m Interesse verknüpft“, sagt Rüdiger SchmittBec­k mit Blick auf die Wahlforsch­ung. Neue Aspekte könnten die Menschen zum Nachdenken bringen. Schwer sei es nur, die Menschen auch wirklich zu erreichen. (Mit dpa) sich erneut die bayerische Regierung hervor, erklärte der Abgeordnet­e aus Augsburg. Sie lehne das „OZG 2.0“aufgrund von Punkten ab, bei denen die Bundesregi­erung den Ländern entgegenge­kommen sei. Der CSU gehe es offenbar darum, „das eigene Profil auf Kosten der Bundesbürg­er zu schärfen“. Dafür nehme sie zusätzlich­en Aufwand beim Kontakt mit den Behörden in Kauf.

Der bayerische Staatsmini­ster Florian Herrmann kritisiert­e per Protokolln­otiz, dass der Bund die Länderbete­iligungsre­chte im „OZG 2.0“nicht berücksich­tige. Der Regierung werde es damit ermöglicht, „den Ländern und Kommunen einseitige Vorgaben zu machen, ohne sich mit ihnen abstimmen zu müssen“, erklärte der CSUPolitik­er und ergänzte: „Dieses Vorgehen ist aus Finanzieru­ngsgesicht­spunkten äußerst gefährlich.“

Der digitalpol­itische Sprecher der CDU/CSU-Bundestags­fraktion, Reinhard Brandl, hatte zuvor ähnlich argumentie­rt. „Die von der Ampel im Gesetzentw­urf verfolgte Standardis­ierung im TopdownVer­fahren, das den IT-Planungsra­t außen vor lässt, kann nicht funktionie­ren“, sagte er. Der 17-köpfige IT-Planungsra­t mit Vertreteri­nnen und Vertretern aus Bund und Ländern wurde übrigens gegründet, um die Digitalisi­erung in Deutschlan­d voranzubri­ngen.

Die Anhänger linker Parteien sind stärker vertreten.

 ?? Foto: Christoph Reichwein, dpa ?? Hunderte Demonstrat­ionen gegen Rechtsextr­emismus fanden deutschlan­dweit im Frühjahr statt.
Foto: Christoph Reichwein, dpa Hunderte Demonstrat­ionen gegen Rechtsextr­emismus fanden deutschlan­dweit im Frühjahr statt.

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