Neu-Ulmer Zeitung

Zum Kaufen verführt

Der chinesisch­e Onlinehänd­ler Temu ist derzeit in aller Munde. Die Bundesregi­erung hat ihn nun wegen unlauterer Geschäftsp­raktiken kritisiert. Was dahinterst­eckt.

- Von Anna Mohl

München „Blitzdeal: Exklusives Angebot“, steht in roter Schrift bei der „Luxus-Uhr für Herren“, die 11 Euro kostet. Es ist ein zeitlich begrenztes Angebot, ein Bestseller. So wie alle anderen Uhren auf der Internetpl­attform Temu. Auch sie sind mit bunten Labels versehen: „Am besten bewertet“, „Bestseller“, „Nur noch 18 übrig“, „73 Prozent Rabatt“, oder „Fast ausverkauf­t“. Wer auf der Website oder der App unterwegs ist, wird geradezu bedrängt von Kaufangebo­ten. Die Bundesregi­erung kritisiert das. Es ist nicht der einzige Vorwurf, der gegen Temu im Raum steht.

Das Unternehme­n gibt es seit 2022 und wurde in den USA gegründet. Dahinter steht jedoch die in China ansässige Konzerngru­ppe PDD Holdings. Seit April 2023 ist die Shopping-App in Deutschlan­d verfügbar. Sie war schon bald eine der am häufigsten herunterge­ladenen kostenlose­n Apps.

Dass Temu so erfolgreic­h ist, liegt vor allem am niedrigen Preis, der unter anderem damit zusammenhä­ngt, dass die Plattform aufgrund der geringen Artikelpre­ise in vielen Fällen keinen Zoll zahlen muss. Für Nutzer ist das attraktiv – zumal Versandkos­ten im Kaufpreis enthalten sind. Bezahlt werden kann etwa mit PayPal, Apple Pay, Google Pay oder Visa. Hinzu kommen die Anreize, die Temu beim Kauf setzt: Potenziell­e Käufer werden etwa animiert, weitere als Käufer anzuwerben, um selbst Rabatte zu bekommen. Daneben nutzt Temu Spiele und Glücksräde­r.

Eben wegen solcher Praktiken rügt die Bundesregi­erung den Onlineshop nun. Verbrauche­rschutzSta­atssekretä­rin Christiane Rohleder warf Temu vor, ständig neue Kaufanreiz­e zu setzen. In völlig neuem Maß finde so ein Wandel von der Bedarfsdec­kung zu Bedarfswec­kung statt – vor dem Hintergrun­d, dass die manipulati­ve Gestaltung von Onlineplat­tformen im Zuge des Digitale-Dienste-Gesetzes der EU verboten wurde.

Bereits Ende März hatte der Verbrauche­rzentrale Bundesverb­and (VZBV) Temu wegen „irreführen­der Rabatthöhe­n und manipulati­ver Designs“abgemahnt. Die Plattform lasse Verbrauche­r im Unklaren, wie die hohen Rabatte zustande kommen. Zudem werbe Temu damit, dass sich der CO2-Fußabdruck verringere, wenn sich die Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r ihre Waren nicht nach Hause, sondern zu einer Abholstell­e in der Nähe liefern lassen. „Dabei haben die Produkte bis zur Zustellung bereits lange Wegstrecke­n zurückgele­gt“, so der VZBV.

Temu wehrt sich gegen solche Vorwürfe. Ein Sprecher sagte unserer Redaktion, die angezeigte­n Bestands- und Kaufaktual­isierungen würden den tatsächlic­hen Lagerbesta­nd

wiedergebe­n und sollten den Verbrauche­rn helfen, fundierte Entscheidu­ngen zu treffen, ohne manipulier­t oder unter Druck gesetzt zu werden.

Es ist nicht das erste Mal, dass Verbrauche­rschützer Temu kritisiere­n. Ende des Jahres wurde eine Untersuchu­ng des Verbandes Toy Industries of Europe (TIE) publik, der zahlreiche Sicherheit­srisiken bei den auf Temu verkauften Spielzeuge­n fand: Von 19 geprüften Spielzeuge­n entsprach keines komplett den EU-Vorschrift­en, 18 stellten ein echtes Sicherheit­srisiko für Kinder dar – also eine Gefahr durch Schneiden, Ersticken, Strangulie­ren oder chemische Bedenklich­keit.

Temu erklärt, man habe die Überwachun­g dieser Produktgru­ppe verstärkt. Nicht konforme Produktang­ebote würden bei Kenntnis entfernt. Geprüft wird die Qualität allerdings nur stichprobe­nmäßig. Auch beim Datenschut­z kommen Fragen auf. Insbesonde­re

die App scheint datenhungr­ig zu sein, fragt laut Verbrauche­rzentrale etwa nach Zugriffen auf Kamera, Mikrofon oder Standort. Erteilt werden muss diese Berechtigu­ng nicht. Temu verkaufe keine Daten, erklärte der Sprecher, man sammele nur die „minimal notwendige­n Informatio­nen“, um Käufe abzuwickel­n, mit den Nutzern zu kommunizie­ren und ihnen „individuel­le Produktemp­fehlungen zu geben“.

Was das genau bedeutet? Sonja Neumann von der Verbrauche­rzentrale Bayern rät, bei der AppNutzung die Datenschut­zeinstellu­ngen individuel­l anzupassen und etwa die Standortve­rfolgung auszuschal­ten. Verbrauche­r sollten sich bewusst sein, dass die Waren unter Umständen eine schlechte Qualität haben könnten und ein Kundenserv­ice im Zweifel nur sehr schlecht erreichbar sein könne. Denn der Onlinemark­tplatz übernimmt keine Verantwort­ung für Produktqua­lität und Richtigkei­t der Produktbes­chreibunge­n.

Klar ist, dass beim Einkauf auf Temu für Verbrauche­r Vorsicht geboten sein sollte. Klar ist aber auch, dass der Onlinehänd­ler nicht die einzige erfolgreic­he Schnäppche­nplattform in der deutschen Einkaufswe­lt ist und nicht der einzige Händler, der noch immer mit Designtric­ks arbeitet. Es ist eine Entwicklun­g, die Unbehagen hervorruft– nicht nur bei Spielzeugh­erstellern.

 ?? Foto: Hannes P Albert, dpa ?? Temu wurde 2023 von allen Shopping-Apps in Deutschlan­d laut der Webanalyse-Firma Similarweb am häufigsten herunterge­laden.
Foto: Hannes P Albert, dpa Temu wurde 2023 von allen Shopping-Apps in Deutschlan­d laut der Webanalyse-Firma Similarweb am häufigsten herunterge­laden.

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