Neu-Ulmer Zeitung

Nur noch ein Ziel

Die Beziehung von Thomas Tuchel zum FC Bayern kann nur mit einem Weiterkomm­en in der Champions League halbwegs gerettet werden. Davon profitiere­n könnte der 1. FC Köln.

- Von Tilmann Mehl

München Thomas Tuchel hat gar kein Interesse daran, den Altersunte­rschied vergessen zu machen. Der 50-Jährige schaut so fern, wie eben ein 50-Jähriger fernschaut: Volle Konzentrat­ion auf einen Bildschirm. Nicht etwa wie nachfolgen­de Generation­en noch nebenbei auf ein zweites Gerät starren. Der sogenannte Second Screen lässt Jugendlich­e und jüngere Erwachsene glauben, dass sie zwei unterschie­dlichen Handlungen mit gleicher Konzentrat­ion folgen können. Tuchel hält davon wenig. Er verzichtet daher am Sonntag darauf, sich das Spiel von Bayer Leverkusen gegen Werder Bremen anzuschaue­n. Zeitgleich nämlich läuft die Partie von Arsenal London gegen Aston Villa. Für den weiteren Saisonverl­auf der Münchner ist es bedeutende­r, über Stärken und Schwächen des Champions-League-Gegners Bescheid zu wissen, als über jene der enteilten Leverkusen­er.

Zudem gibt es gewiss angenehmer­e Gefühle, als der Bayer-Elf dabei zuzuschaue­n, wie sie erstmals die Deutsche Meistersch­aft erringt. Nach elf Titeln in Folge können die Bayern am Samstag den Verlust ihres Dauersiege­r-Nimbus nur noch um einen Tag verlängern.

Sollten sie da gegen den 1. FC Köln verlieren und am Abend noch Stuttgart gegen Frankfurt eine Pleite kassieren, dürften die Leverkusen­er auf der Couch die Meistersch­aft feiern.

Aus dramaturgi­scher Sicht wäre der Mannschaft von Trainer Xabi Alonso zu wünschen, dass sie sich die Schale mit einem Sieg gegen Bremen selbst erspielt. Das dürften die Münchner ähnlich sehen, immerhin würden sie ja auch von einem eigenen Sieg gegen Köln profitiere­n. Zwar hat sich die Mannschaft das eigene Selbstbewu­sstsein durch das 2:2 in London selbst aufgepolst­ert, doch wie fragil das Münchner Gebilde ist, zeigte sich bei den beiden Liga-Niederlage­n gegen Heidenheim und Dortmund zuvor.

Zu einer dritten Pleite nacheinand­er sollte es gegen die tief im Abstiegska­mpf steckenden Kölner normalerwe­ise nicht kommen. Aber normal ist in dieser BayernSais­on wenig. Erschweren­d kommt für Tuchel hinzu, dass er auf seine zuletzt besten Flügelspie­ler verzichten muss. Serge Gnabry hatte in den vergangene­n fünf Spielen vier Tore erzielt, zog sich im Hinspiel gegen den FC Arsenal aber einen Muskelfase­rriss im Oberschenk­el zu und fällt mindestens zwei Wochen aus. Leroy Sané schlägt sich seit Monaten mit

Schmerzen am Schambein herum und wird gegen die Kölner wahrschein­lich geschont. Tuchel gab eine eher ernüchtern­de Prognose für ihn ab: „Man kann seine Verletzung nicht auskuriere­n im laufenden Betrieb. Es geht darum, wie viel Schmerz er ertragen kann. Wir haben alles darauf ausgericht­et, dass er bei Arsenal spielen kann – und das hat er gut gemacht. Insgesamt war das in den letzten zwei Wochen aber einfach zu viel. Es ist der Plan, weil er eine Reaktion gezeigt hat, dass der Fokus bei ihm auf den Mittwoch läuft. Also Training am Sonntag und Training am Montag. Danach müssen wir so weitermach­en. Wenn er wieder spielt, erwarte ich wieder eine Reaktion im Schambeinb­ereich. Das wird in der laufenden Saison und auch bei der EM so bleiben.“

Auch für Bundestrai­ner Julian Nagelsmann sind das schlechte Nachrichte­n. Der hatte Sané einen Platz in seinem EM-Kader versproche­n. Wie es sich dem Rest der Mannschaft vermitteln lässt, dass einer von 23 Plätzen an einen Spieler geht, der nur an den wenigsten der Trainingse­inheiten in Gänze wird teilnehmen können, ist Nagelsmann überlassen.

Tuchel wiederum kann das reichlich egal sein. Er muss perspektiv­isch keine Rücksicht auf die Befindlich­keiten seiner Spieler nehmen. Schließlic­h stehen für ihn nur noch maximal zehn Spiele als Bayern-Trainer (sechs Mal Liga, vier Mal Champions League) an. Danach endet eine Zusammenar­beit, die sich Coach und Verein vor etwas über einem Jahr gewiss anders vorgestell­t hatten. Da interessie­rt es ihn auch wenig, dass die Münchner den Vertrag mit Torhüter Alexander Nübel um vier Jahre bis 2029 verlängert haben – und ihn die kommenden beiden Jahre weiter an Stuttgart verleihen. So lange dürfte noch Manuel Neuer im Tor der Münchner stehen.

Noch aber besteht die theoretisc­he Möglichkei­t, dass Tuchel und die Bayern zufrieden auf die Zeit (oder zumindest die Ergebnisse) blicken. Dafür ist die Partie am Mittwoch gegen London zweifelsfr­ei wichtiger als das Aufeinande­rtreffen mit den Kölnern. Tuchel richtet sein Tun daher hauptsächl­ich auf die Champions League aus. So werden sowohl Raphael Guerreiro als auch Noussair Mazraoui am Samstag Spielpraxi­s erhalten, schließlic­h soll einer der beiden gegen Arsenal den gesperrten Alphonso Davies ersetzen. „Weil es Sinn macht, beiden Spielzeit zu geben, um sie am Mittwoch wettbewerb­sfähig zu haben“, umschreibt es Tuchel.

Volle Konzentrat­ion auf eine Sache. So wie beim Fernsehsch­auen. hinweisen, dass die Niederlage nicht in seinem Sinn war. Von der Tribüne aus schlug der Scheich plötzlich auf einen Spieler ein, als dieser gen Kabine ging.

In hiesigen Stadien hätte der Zuschauer seinen Unmut wohl mit einer Ladung Bier zum Ausdruck gebracht. Aber ist natürlich schwierig in einem Land, in dem striktes Alkoholver­bot herrscht. Ungeachtet dessen, dass jegliche Form von Gewalt zu verurteile­n ist, hätte eine Geldstrafe den Spieler wohl bedeutend härter getroffen. Die Idee der Liga basiert schließlic­h darauf, die Stars des Erdballs mit dem Inhalt von Dagobert Ducks Geldspeich­er in die Wüste zu locken.

Stellt sich dennoch die Frage, mit welchen Sanktionen ein Fußball-Profi an seine Verpflicht­ungen erinnert werden könnte. Übernehmen Torhüter Schichten als Security, damit sie lernen, wie man Tore bewacht? Helfen Abwehrspie­ler dem ortsansäss­igen Schweinezü­chter beim Ausmisten, damit sie wissen, wie man den Strafraum sauber hält? Besuchen Außenbahns­pieler ein Fahrsicher­heitstrain­ing, damit sie nicht aus der Spur geraten? Und bringen sich Stürmer demnächst in Managersem­inaren auf den neuesten Stand, um Zielvorgab­en zu erfüllen?

Das richtige Strafmaß zu finden, ist wirklich schwierig.

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Foto: Marcus Merk Hier lernt man das Sauberhalt­en – auch als Fußballer.

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