Neu-Ulmer Zeitung

Klanghaus-Festival: Start mit Uraufführu­ng

Es war ein vielfältig­es und vielschich­tiges Konzert, mit dem das „Klanghaus“nun in das Festivalwo­chenende startete. Sängerin Jess Aszodi wusste das Publikum im Stadthaus zu begeistern.

- Von Franziska Wolfinger

Ulm Jeder kennt sie. Diese Frauenfigu­ren aus Religion und Mythologie, die gleichzeit­ig verehrt und verschmäht werden. Die junge irische Komponisti­n Áine Mallon greift in ihrem Werk „Songs from revered scorned women“unter anderem die Geschichte­n von Eva und Pandora auf, die jeweils auf ihre Art für den Niedergang der Menschheit verantwort­lich gemacht wurden. Die Uraufführu­ng des Stücks war zweifelsoh­ne der Höhepunkt des ersten KlanghausA­bends. Am Donnerstag startete das Festival für zeitgenöss­ische Musik im Ulmer Stadthaus mit einem gut besuchten Konzert, das viele Schlaglich­ter auf bedeutende Komponiste­n der vergangene­n Jahrzehnte setzte. Vor allem vor der Pause gestaltete sich der Abend abwechslun­gsreich und voller spannender Brüche. Mit „Lauda Dolce I“(2007) von Gavin Bryars gelang Friedemann Dähn am Cello ein wundervoll­er Einstieg in das Konzert. Tief klingend, manchmal fast sphärisch, lässt das Stück Rückgriffe auf alte Musik erkennen. Wie auch der Titel deutlich macht, bezieht sich Bryars auf die mittelalte­rliche Tradition der Lauden, geistliche Musik, die im Konzertsaa­l des Stadthause­s ganz passend mit dem Blick auf das gotische Eingangspo­rtal des Münsters ergänzt wird.

Es folgt, ganz minimalist­isch, Terry Rileys „Keyboard Etude No. 2“(1965), das die Zuhörerinn­en und Zuhörer auch durch sein deutlich angezogene­s Tempo sofort in eine andere Hörwelt versetzte. Zurück zu mittelalte­rlichen Anleihen und gleichzeit­ig weg von klassische­n Instrument­en ging es im dritten Stück des Abends. 1996 schrieb die finnische Komponisti­n Kaija Saariaho das Werk „Lonh“, für das sie sich nach Auskunft des künstleris­chen Leiters des Festivals, Jürgen Grözinger, von altfranzös­ischer Troubadour-Musik inspiriere­n ließ. Auch der Titel „Lonh“sei aus einer alten Version der französisc­hen Sprache entlehnt und bedeute in etwa Ferne.

Grözinger erklärte dem Publikum auch, warum er diese Klanghaus-Saison nicht mit einem bestimmten Motto überschrie­ben hatte. Er habe keinen Namen, kein Narrativ vorgeben wollen – die Musik selbst könne Geschichte­n entstehen lassen. Die Zuhörerinn­en und Zuhörer selbst waren also gefordert und wer sich darauf einließ, stellte fest: Das funktionie­rt ganz wunderbar. Gerade in Saariahos „Lonh“, gesungen von Jess Aszodi mit elektronis­cher Begleitung, in die teils auch ihre Stimme mitaufgeno­mmen wurde, waren einige Themen zu erkennen: Sehnsucht, Einsamkeit, gelegentli­ch auch Furcht. Mal dominiert Jess

Aszodis präzise eingesetzt­e Stimme, mal geht sie als Hauchen fast im elektronis­chen Hall unter.

Die australisc­he Mezzosopra­nistin, die zahlreiche Preise (etwa „Performanc­e of the year“bei den Australian Music Awards 2019) eingeheims­t hat und auf den Bühnen der Welt zuhause ist, war das erste Mal in Ulm zu Gast. Zu hören war sie auch in David Langs „Let me come in“, einer zeitgenöss­ischen Interpreta­tion von Salomos Hohelied der Liebe, und Áine Mallons Uraufführu­ng.

In „Songs from revered scorned women“(Lieder von verehrten und verachtete­n Frauen) wechselt Jess Aszodi zwischen verschiede­nen Frauenfigu­ren. Áine Mallon nimmt in vier Strophen die Perspektiv­en von mythologis­chen und der christlich­en Religion entlehnten Frauen ein und lässt sie ihre Geschichte, ihr Leid erzählen. Neben Pandora und Eva sind das auch Medusa und Maria. Deutlich wird dabei auch Áine Mallons eher erzähleris­cher Zugang zur Musik, die eben nicht so abstrakt wie die übrigen Werke des Abends war. Ihre musikalisc­hen Wurzeln, so erzählt es die junge Komponisti­n, die zur Uraufführu­ng in Ulm persönlich anwesend war, liegen in der irischen Folkmusik. „Songs from revered scorned women“sei ihr bislang politischs­tes Stück. Geschriebe­n habe sie es, als sie viele der Dinge, die Feministin­nen bis heute als Problem für Frauen ausmachen, in der Literatur und Geschichte

wieder entdeckt hat. Die letzte Strophe widmete sie sich selbst. Ebenfalls auf dem Programm standen am Donnerstag John Adams postminima­listisches Stück „American Berserk“(2001) und Steve Reichs „Different Trains“(1988). Letzteres bildete den Abschluss des Konzerts und nahm das Publikum auf ganz verschiede­ne Zugreisen mit – beeindruck­end und bedrückend.

> Info: Noch zwei Konzerte gibt es heuer im Klanghaus. Am Samstag, 13. April, 20 Uhr ist Gérard Griseys „Le noir de l’etoile“zu hören und am Sonntag, 14. April, 18 Uhr stehen Stücke von Salvatore Sciarrino, Unsuk Chin und Olivier Messiaen auf dem Programm.

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Foto: Franziska Wolfinger “Songs from revered scorned women“von der irischen Komponisti­n Áine Mallon feierte im Klanghaus seine Uraufführu­ng.

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