Klanghaus-Festival: Start mit Uraufführung
Es war ein vielfältiges und vielschichtiges Konzert, mit dem das „Klanghaus“nun in das Festivalwochenende startete. Sängerin Jess Aszodi wusste das Publikum im Stadthaus zu begeistern.
Ulm Jeder kennt sie. Diese Frauenfiguren aus Religion und Mythologie, die gleichzeitig verehrt und verschmäht werden. Die junge irische Komponistin Áine Mallon greift in ihrem Werk „Songs from revered scorned women“unter anderem die Geschichten von Eva und Pandora auf, die jeweils auf ihre Art für den Niedergang der Menschheit verantwortlich gemacht wurden. Die Uraufführung des Stücks war zweifelsohne der Höhepunkt des ersten KlanghausAbends. Am Donnerstag startete das Festival für zeitgenössische Musik im Ulmer Stadthaus mit einem gut besuchten Konzert, das viele Schlaglichter auf bedeutende Komponisten der vergangenen Jahrzehnte setzte. Vor allem vor der Pause gestaltete sich der Abend abwechslungsreich und voller spannender Brüche. Mit „Lauda Dolce I“(2007) von Gavin Bryars gelang Friedemann Dähn am Cello ein wundervoller Einstieg in das Konzert. Tief klingend, manchmal fast sphärisch, lässt das Stück Rückgriffe auf alte Musik erkennen. Wie auch der Titel deutlich macht, bezieht sich Bryars auf die mittelalterliche Tradition der Lauden, geistliche Musik, die im Konzertsaal des Stadthauses ganz passend mit dem Blick auf das gotische Eingangsportal des Münsters ergänzt wird.
Es folgt, ganz minimalistisch, Terry Rileys „Keyboard Etude No. 2“(1965), das die Zuhörerinnen und Zuhörer auch durch sein deutlich angezogenes Tempo sofort in eine andere Hörwelt versetzte. Zurück zu mittelalterlichen Anleihen und gleichzeitig weg von klassischen Instrumenten ging es im dritten Stück des Abends. 1996 schrieb die finnische Komponistin Kaija Saariaho das Werk „Lonh“, für das sie sich nach Auskunft des künstlerischen Leiters des Festivals, Jürgen Grözinger, von altfranzösischer Troubadour-Musik inspirieren ließ. Auch der Titel „Lonh“sei aus einer alten Version der französischen Sprache entlehnt und bedeute in etwa Ferne.
Grözinger erklärte dem Publikum auch, warum er diese Klanghaus-Saison nicht mit einem bestimmten Motto überschrieben hatte. Er habe keinen Namen, kein Narrativ vorgeben wollen – die Musik selbst könne Geschichten entstehen lassen. Die Zuhörerinnen und Zuhörer selbst waren also gefordert und wer sich darauf einließ, stellte fest: Das funktioniert ganz wunderbar. Gerade in Saariahos „Lonh“, gesungen von Jess Aszodi mit elektronischer Begleitung, in die teils auch ihre Stimme mitaufgenommen wurde, waren einige Themen zu erkennen: Sehnsucht, Einsamkeit, gelegentlich auch Furcht. Mal dominiert Jess
Aszodis präzise eingesetzte Stimme, mal geht sie als Hauchen fast im elektronischen Hall unter.
Die australische Mezzosopranistin, die zahlreiche Preise (etwa „Performance of the year“bei den Australian Music Awards 2019) eingeheimst hat und auf den Bühnen der Welt zuhause ist, war das erste Mal in Ulm zu Gast. Zu hören war sie auch in David Langs „Let me come in“, einer zeitgenössischen Interpretation von Salomos Hohelied der Liebe, und Áine Mallons Uraufführung.
In „Songs from revered scorned women“(Lieder von verehrten und verachteten Frauen) wechselt Jess Aszodi zwischen verschiedenen Frauenfiguren. Áine Mallon nimmt in vier Strophen die Perspektiven von mythologischen und der christlichen Religion entlehnten Frauen ein und lässt sie ihre Geschichte, ihr Leid erzählen. Neben Pandora und Eva sind das auch Medusa und Maria. Deutlich wird dabei auch Áine Mallons eher erzählerischer Zugang zur Musik, die eben nicht so abstrakt wie die übrigen Werke des Abends war. Ihre musikalischen Wurzeln, so erzählt es die junge Komponistin, die zur Uraufführung in Ulm persönlich anwesend war, liegen in der irischen Folkmusik. „Songs from revered scorned women“sei ihr bislang politischstes Stück. Geschrieben habe sie es, als sie viele der Dinge, die Feministinnen bis heute als Problem für Frauen ausmachen, in der Literatur und Geschichte
wieder entdeckt hat. Die letzte Strophe widmete sie sich selbst. Ebenfalls auf dem Programm standen am Donnerstag John Adams postminimalistisches Stück „American Berserk“(2001) und Steve Reichs „Different Trains“(1988). Letzteres bildete den Abschluss des Konzerts und nahm das Publikum auf ganz verschiedene Zugreisen mit – beeindruckend und bedrückend.
> Info: Noch zwei Konzerte gibt es heuer im Klanghaus. Am Samstag, 13. April, 20 Uhr ist Gérard Griseys „Le noir de l’etoile“zu hören und am Sonntag, 14. April, 18 Uhr stehen Stücke von Salvatore Sciarrino, Unsuk Chin und Olivier Messiaen auf dem Programm.