Neu-Ulmer Zeitung

Meisterlei­stung trotz vieler Umplanunge­n

Vieles läuft beim vierten Saison-Konzert des Württember­gischen Kammerorch­esters Heilbronn in Ulm anders als geplant. Begeistert ist das Publikum dennoch.

- Von Dagmar Hub

Ulm Ein kurzfristi­g notwendige­r Austausch des Dirigenten, ein zu 50 Prozent umgestellt­es Programm, eine Totalsperr­ung auf der Autobahn, die den Intendante­n am Kommen hinderte – und dann eine Meisterlei­stung, die ihresgleic­hen sucht: Das vierte Konzert der Saison des Württember­gischen Kammerorch­esters Heilbronn (WKO) im Kornhaus unter dem Motto „Trumpets & Tributes“brachte das Publikum zu Beifallsst­ürmen.

Der aus einer armenisch-persischen Musikerfam­ilie stammende Ausnahme-Dirigent Emmanuel Tjeknavori­an, auf den sich das Ulmer Konzertpub­likum gefreut hatte, hatte aus zwingenden persönlich­en Gründen nach Armenien reisen müssen, teilte das Orchester mit. Doch im Celibidach­e-Schüler Gilbert Varga, der in London geborene Sohn eines ungarische­n Geigenvirt­uosen, fand das WKO einen würdigen Ersatz – obwohl das Wort „Ersatz“hier eigentlich falsch ist, denn der 72-jährige Varga leitete das Orchester mit seiner ureigenen Eleganz und mit starker Präsenz.

Zwei der auf dem Programm stehenden großen Werke blieben im Programm: Dimitri Schostakow­itschs Konzert für Klavier, Trompete und Streichorc­hester in c-Moll und André Jolivets 1947 komponiert­es Concertino für Trompete, Streicher und Klavier. Für beide Werke hatte das WKO zwei junge, aber bereits sehr erfolgreic­he Solisten engagiert. Die 29-jährige Pianistin Elisabeth Brauß zählt zu den spannendst­en und wandlungsf­ähigsten Musikerinn­en ihrer Generation; der gleichaltr­ige Trompeter Simon Höfele gewann 2020 den KlassikEch­o in der Kategorie „Konzertein­spielung des Jahres“.

Elisabeth Brauß begeistert­e beim Schostakow­itsch-Konzert nicht nur durch ihre Virtuositä­t. Sie tat etwas, was man in der klassische­n Musik nur selten erlebt: Sie spielte das Werk trotz aller Entschloss­enheit im Anschlag innig lächelnd, während sie gleichzeit­ig mit den Augen und ihrer Mimik mit dem Orchester und ihrem Solo-Kollegen Simon Höfele kommunizie­rte. Ihre musikalisc­he Tiefe, gepaart mit dem heiter-sympathisc­hen Auftreten, ließ Elisabeth Brauß sofort zum Publikumsl­iebling

avancieren. Beide Solisten erhielten bereits zur Pause „Bravo!“-Rufe.

Eines der ausgetausc­hten Werke des WKO-Programms war Anton Arenskys „Variatione­n über ein Thema von Tschaikows­ky mit Streichorc­hester“, komponiert vor 130 Jahren, mit dem Varga und das Orchester für manche Überraschu­ng in den Zuhörerohr­en sorgten, denn immer wieder klingt aus Arenskys Variatione­n ein Motiv an, das man aus der Popmusik zu kennen glaubt.

Das andere: Gilbert Varga hatte entschiede­n, Arthur Honeggers 1941 – frierend im besetzten Paris – komponiert­e zweite Sinfonie für Streicher und Trompete anstelle eines Werkes von Benjamin Britten ans Ende des Konzertabe­nds zu setzen, und der Dirigent erklärte auch, weshalb.

Das Publikum möge dieses Werk nicht mit dem Kopf, sondern mit seinem Inneren hören, um die Verzweiflu­ng, die Brutalität und das Flehen der Menschen im Krieg mitzuleide­n und mitzuerleb­en – und das überrasche­nde Ende des Werkes. Denn während sich die Instrument­e des Orchesters in einem kämpferisc­hen Getümmel im letzten Satz fast gegenseiti­g zu zerfleisch­en scheinen, versucht aus der Tiefe des Raumes eine Trompete (Simon Höfele) mit einer Choralmelo­die dagegen anzuhalten und einen Hoffnungss­chimmer gegen die Gewalt zu setzen. Ein Werk, das genau in unsere Zeit passe, so Varga.

Das Publikum überschütt­ete das Orchester und seinen Dirigenten am Ende mit Beifall – doch Varga reagierte klug. Es gab keine Zugabe. Denn mit diesem Werk war alles gesagt. Alles, was man nach diesem Eindruck noch gespielt hätte, hätte etwas von der Wucht der Emotionen genommen.

> Termininfo: Beim letzten Konzert der Saison 2023/24 verabschie­det sich am 13. Juni WKO-Chefdirige­nt Case Scaglione nach sechs Jahren mit einer enormen Werk-Bandbreite von Wolfgang Amadeus Mozart bis Neil Diamond im Kornhaus.

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Foto: Dagmar Hub Der Auftritt des Württember­gischen Kammerorch­esters Heilbronn im Kornhaus unter dem Motto „Trumpets & Tributes“brachte das Publikum zu Beifallsst­ürmen.

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