Neu-Ulmer Zeitung

Jetzt auch in Mode: Gutes Gewissen

Unter dem Namen „Capsule Wardrobe“wird reduzierte­r, bewusster Stil zum Trend. So wirklich nachhaltig ist die Bewegung nicht unbedingt – und neu erst recht nicht.

- Von Nadine Ballweg

Minimalism­us ist in! Halleluja, sagen die einen, man macht sich doch ohnehin zu viele Gedanken darüber, was man anziehen soll. Und gut für die Umwelt ist es allemal, wenn man dem Konsumraus­ch einmal etwas ausbremst. Wer jetzt denkt, dass ein geschrumpf­ter Kleidersch­rank auch automatisc­h weniger Auswahl bedeuten muss, kennt die „Capsule Wardrobe“, auf Deutsch „Kapsel Garderobe“, noch nicht. Oder nicht unter diesem fancy neuen Namen. Denn das Prinzip dahinter ist einfach: wenige Klamotten, präzise ausgewählt, im besten Fall untereinan­der kombinierb­ar. Etliche individual­isierbare Einkaufs-Checkliste­n gibt es online, als Leitfaden für den perfekten, kleineren Kleidersch­rank. „Elevated Basics“nennen es Kenner, meinen damit aber nur klassische, simpel geschnitte­ne Kleidungss­tücke, die „angehoben“, also aufgewerte­t werden.

Dabei galt „Jeans-und-T-Shirt-Mädchen“lange als fast schon despektier­licher Ausdruck stilistisc­her Einfallslo­sigkeit. Aber ein bisschen mehr als das darf es schon sein, in der Kapselgard­erobe. Je nachdem, wen man fragt, sogar einiges mehr: Im Internet kursieren Zahlen zwischen 30 Kleidungss­tücken pro Saison (gar nicht mal so wenig) bis 100 Stücken insgesamt (wirklich nicht wenig). Accessoire­s sind inklusive. Absolute Must-haves: Hemd, Hose, Shirt, Blazer und ein Trenchcoat. Das alles mehrmals, in verschiede­nen Farben und Schnitten. Für den Frühling etwa empfehlen einige Internetra­tgeber zwei Jacken, 15 Oberteile wie Pullover, Tops, Shirts oder Bluse, zehn Unterteile wie Hosen, Jeans oder Röcke, zwei Kleider und zehn Paar Schuhe in unterschie­dlichen Ausführung­en.

Dann steht man da, vor der pseudo-minimalist­ischen Kleiderkap­sel und hat unendliche Möglichkei­ten, das alles zu kombiniere­n. Hemd zur Hose, Hemd zum Rock, mit Heels, mit Sneakern … Es war nie einfacher, so flexibel zu sein und es dann im eigenen Gewissen (und für einige noch wichtiger: auf Social Media) als „nachhaltig“zu verbuchen.

Die Bezeichnun­g „Capsule Wardrobe“tauchte 1970 erstmals in London auf. Die Boutique-Besitzerin Susie Faux definierte das Prinzip als eine minimalist­ische Garderobe, limitiert auf etwa zwölf zeitlose Kleidungss­tücke. In ihrem Geschäft bot sie selbst ausschließ­lich hochwertig­e

Mode an, die perfekt miteinande­r kombinierb­ar war. Zwei- bis dreimal im Jahr durfte man sie austausche­n. Aber: Die Stücke sollten hochwertig sein und nicht ständig aussortier­t und neu gekauft werden.

Ein Anti-Trend-Trend also? Sicherlich hätte eine „Capsule Wardrobe“dieses eine barbiepink­e Kleidungss­tück, wie es im Sommer 2023 in zu vielen Kleidersch­ränken landete, in der Minimalism­us-Kapsel keinen Platz gefunden. Oder? Na ja. Faux bestimmte damals: „Highlights“sind erlaubt, Trendartik­el dürfen die Garderobe auffüllen. Also doch Barbie und kein Minimalism­us?

Doch Minimalism­us! – sagte Donna Karan 15 Jahre später. Die „Seven Easy Pieces“-Kollektion der Designerin im Jahr 1985 bestand aus nur sieben Kleidungss­tücken und machte das Prinzip der „Capsule Wardrobe“erst so richtig populär. In den sozialen Medien springen die Influencer mittlerwei­le reihenweis­e in ihre Kapsel-Outfits, zeigen die geschrumpf­ten Kleidersch­ränke und die möglichen Outfits der Saison.

So richtig neu und so richtig spannend ist daran jetzt aber wirklich nichts. Außer man lebt bisweilen in Kleiderber­gen der

Mega-Fast-Fashion-Giganten. Wer dem Konsum von Billigklei­dung aber so weit verfallen ist, den wird das Konzept vermutlich nicht ansprechen, selbst mit 100 erlaubten Teilen. Das lustige Katzen-CropTop würde wohl nicht einmal bei Highlight-Abnickerin Faux durchgehen. Aber nicht jede Person, die billige Mode kauft, tut das, weil sie möglichst viel und oft einkaufen gehen will, getrieben vom Konsumraus­ch und der neusten (für 21 Stunden) Shein-Kollektion. Manchmal sind nachhaltig­e Klamotten, auch wenn weniger, einfach teuer und nicht für jeden und jede möglich.

Im Kern ist es, allen Zweifeln an der Neuartigke­it zum Trotz, eine erstrebens­werte Idee, weniger Kleidung zu besitzen und auf hochwertig­e und langlebige Stücke zu setzen. Und so eine kleine Entrümpelu­ng tut sicher vielen mal ganz gut. Für die anderen ist es doch mehr oder weniger ganz entspannen­d zu erfahren, dass man mit einem gebändigte­n Kaufverhal­ten, klug und vorausscha­uend gekauften Kleiderkom­bis und einem Mindestans­pruch an Qualität und Langlebigk­eit der Klamotte voll im Trend liegt. Und mit einem coolen Namen lässt der sich eben sogar im Internet verkaufen.

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