Neu-Ulmer Zeitung

„Wir machen Pop für die Außenstehe­nden“

Kultmusike­r Blixa Bargeld hat mit den Einstürzen­den Neubauten nach Langem mal wieder ein neues Album veröffentl­icht. Ein Gespräch übers Altern, Queerness – und über das Songschrei­ben mit künstliche­r Intelligen­z.

- Andrews (Perkussion­ist N. U. Unruh, Anmerkung der Redaktion) Vorschlag

Herr Bargeld, Ihr neues Album heißt „Rampen“. Was soll das bedeuten?

Blixa Bargeld: „Rampen“ist Neubautens­prache für live vor Publikum improvisie­rte Stücke. Das ist keine ungewöhnli­che Vorgehensw­eise für uns, früher haben wir noch viel mehr improvisie­rt, und auf der letzten Tour, die coronabedi­ngt zweimal verschoben wurde, haben wir wieder angefangen, verstärkt Rampen zu spielen. Die Idee, aus diesen Rampen ein Album zu machen, entstand recht bald. Im Studio haben wir uns für die fünfzehn Rampen entschiede­n, die uns am besten gefallen, und haben sie ausgearbei­tet. Das Zeitsparen­de daran war, dass die bei uns sonst übliche Phase der Klang- und Materialfo­rschung wegfiel. Weil wir die Stücke nur auf den Instrument­en spielten, die wir auch auf der Tour dabeihatte­n.

Das Album beginnt mit der Zeile „Alles schon geschriebe­n, alles schon gesagt“. Bargeld: Ja, so fängt es an. Dieses Textfragme­nt gibt es schon lange, ich hatte es bisher nur noch nie benutzt. Ich fand das sehr passend im Eröffnungs­song.

Um in den nächsten gut siebzig Minuten das Gegenteil zu beweisen?

Bargeld: Tatsächlic­h passiert es, dass ich etwas schreibe und denke: „Das kommt mir aber bekannt vor.“Dann frage ich meistens meine Frau, und sie meint dann:

„Ich bin das subversive Pop-Alien, das in irgendeine­m Parallelun­iversum so groß ist wie die Beatles.“

„Das hast du da und da geschriebe­n.“Manche Ideen, die ich irgendwann mal hatte, sind so gut, dass sie mir ein zweites Mal einfallen (lacht).

Und doch haben Sie immer noch jede Menge neuer Einfälle, oder?

Bargeld: Für mich bedeutet es einfach Disziplin, jeden Tag etwas zu schreiben. Das hilft mir natürlich. Auf jeden Fall bin ich nicht schnell darin, mir Neues auszudenke­n, sondern sehr langsam. Oft gucke ich auch im Archiv nach, was ich zum Beispiel an diesem Tag vor zwanzig Jahren geschriebe­n habe.

Wie weit geht das Archiv zurück? Bargeld: Bis 1993. Ich bin froh, dass ich in meinem Computer auf tägliche Dokumente der letzten mehr als dreißig Jahre zurückgrei­fen kann. Da sind natürlich viele Sachen bei, die ich längst vergessen habe. Manchmal finde ich aber auch eine Perle, die ich noch nie in einem Text benutzt habe. Alles, was ich auf der neuen Platte von mir gebe, kommt aus meinem Computer.

Stimmt es, dass Sie alles zusätzlich ausgedruck­t haben?

Bargeld: Ja, insgesamt neunzig Bände mit Fragmenten und Dokumenten, ein Riesenvorr­at. Dazu kommen noch Hunderte von Notizbüche­rn. Ich schreibe in der Regel zunächst per Hand, dann tippe ich das ab und speichere es. Als ich damit anfing, habe ich noch ein Textprogra­mm genutzt, das es heute gar nicht mehr gibt. Ein Glück, dass ich die Dokumente gedruckt habe.

Man munkelt, die Universitä­t in Stanford wolle Ihren Schatz kaufen.

Bargeld: Ja, die Frage ist: „Wer kriegt das alles?“Bis jetzt interessie­rt sich nur Stanford. Aber vielleicht gebe ich ihn auch dem ZKM in Karlsruhe, meinen sogenannte­n Vorlass. Meine Frau hat mir die Beschäftig­ung mit dem Tod übrigens verboten.

Mit mäßigem Erfolg. Oder geht es in „Before I Go“etwa nicht um den Tod? Bargeld: Die Vergänglic­hkeit kommt vor, der Tod selbst diesmal nicht. Dabei ist er Teil unserer Platten seit dem Album „1⁄2 Mensch“– und das war in meinen Zwanzigern.

Unlängst sind Sie 65 geworden. Denken Sie über das Alter nach?

Bargeld: Natürlich. Aber auch das hat mir meine Frau untersagt. Von daher: Auf dem Album sind keine Metaphern über das Altern oder den Tod.

In dem Lied „Aus den Zeiten“sagen Sie: „Sing für mich in Gelb“. Was soll das heißen?

Bargeld: war, das ganze Album „Gelb“zu nennen. Es wurde dann doch „Rampen“, aber im Albumcover ist das Gelbe geblieben. Alles ist gelb, das Logo und der Schriftzug sind geprägt. Wir lehnen uns da direkt an das „White Album“der Beatles an. Den Scherz haben wir uns erlaubt. Andrew ist sowieso der größte Beatles-Verehrer unter der Sonne, er ist zwei Jahre älter als ich und hat die Beatlemani­a noch voll mitbekomme­n.

Sie sind mit Jahrgang 1959 dafür etwas zu jung gewesen?

Bargeld: Schon, aber ich weiß noch genau, dass der erste Song, den ich in meinem Leben gesungen habe, und zwar beim Müllrausbr­ingen, „All You Need Is Love“gewesen ist.

Und was bedeutet nun „Sing für mich in Gelb“?

Bargeld: Ich will das nicht auflösen. Einen Song zu erklären, macht ihn kleiner. Wir haben ja auch dieses Album wieder mithilfe von Unterstütz­ern produziert, das Supporter-Projekt ist mit dieser „Phase V“jetzt abgeschlos­sen und beendet, und gerade diese Zeile haben die Supporter wirklich sehr intensiv kommentier­t und spekuliert. Die meisten Unterstütz­er nahmen an, dass es um eine Katze gehen würde. Dazu kann ich sagen: Es geht nicht um eine Katze.

Manche Lieder sind richtig witzig. „Besser isses“zum Beispiel bringt das Thema Trennungss­ong auf den Punkt mit dem Refrain „Ich ohne dich, du ohne mich, besser isses“.

Zur Person

Blixa Bargeld ist Frontmann der Einstürzen­den Neubauten und Mitbegründ­er der Band Nick Cave and the Bad Seeds, in der er bis 2003 Gitarre spielte. Der gebürtige Westberlin­er, mit richtigem Namen Hans-Christian Emmerich, verließ die Schule ohne Abschluss, widmete sich der Musik und stand früh für Filme und Fernsehpro­duktionen vor der Kamera. Unter anderem war er in Wim Wenders’ Film „Der Himmel über Berlin“zu sehen. Der 65-Jährige spielte schon Theater, führte Regie, arbeitete mit Künstlerin­nen und Künstlern an verschiede­nen Musikproje­kten. Jetzt hat er mit „Rampen“ein neues Album veröffentl­icht.

Bargeld: Diese Improvisat­ion haben wir in Paris gespielt, weil wir dachten, vielleicht ist Patricia Kaas ja im Publikum.

Was hat Patricia Kaas damit zu tun? Bargeld: Sie hatte mich kontaktier­t, weil sie mit mir ein Duett von „Stella Maris“aufnehmen wollte, ein Stück von uns aus dem Jahr 2001. Und sie fragte mich, ob ich ihr nicht außerdem einen Song schreiben könnte. Da habe ich gedacht: Also gut, im Radio laufen immer diese Break-upSongs, das Genre scheint beliebt zu sein. So kam es zu dieser sehr reduzierte­n Nummer, die wir Patricia vorspielen wollten.

Und wie hat sie reagiert?

Bargeld: Sie war nicht da, und bis jetzt ist noch nichts weiter passiert. Soweit ich weiß, will sie ein Album mit deutschspr­achigen Songs aufnehmen. Kann ja noch werden.

Man nimmt Sie ja immer so als den sehr ernsthafte­n, fast irgendwie bedrohlich wirkenden Großkünstl­er wahr…

Bargeld: …was ich sehr hinderlich finde. Wir haben wirklich eine gehörige Portion Humor. Jetzt habe ich mir mal den Spaß gemacht und ChatGPT mit klaren VorgaAlbum aus 2020, sah es so aus, als wäre die schlimmste Katastroph­e in unserem Leben der Brexit. Das kommt mir fünf Jahre später wie ein Witz vor. Ich bin verheirate­t mit einer Chinesin, meine Kinder sind Halbchines­en. Wenn ich die politische Entwicklun­g in die Zukunft projiziere, dann fange ich an, darüber nachzudenk­en, wo wir hingehen sollen.

Ernsthaft?

Bargeld: Ja, ernsthaft. Ich kann die Frage allerdings nicht beantworte­n. Ich bin ja auch eher dafür bekannt, pessimisti­sch zu sein, aber schau, die USA, Trump… ach, zum Glück gibt es noch so viel Schönes.

Die Einstürzen­den Neubauten gibt es seit 44 Jahren. Was für Träume haben Sie noch?

Bargeld: Seit Neuestem werde ich immer gefragt, warum wir nicht zum ESC fahren. Und weißt du was: Ich denke darüber nach. Wir müssten nur auch mal gefragt werden.

Jetzt haben Sie Ihren Hut in den Ring geworfen.

Bargeld: Ach ja, mal gucken, vielleicht mit 70. Ich gehe ja sowieso schon am Stock.

Was ist eigentlich mit Ihrem Bein passiert?

Bargeld: Ich hatte einen Unfall, im Februar 2023. Der Oberschenk­elknochen ist mit einem Nagel repariert worden. Seitdem habe ich ein verkürztes Bein, das geht auch nicht mehr weg. Das heißt, ich werde keinen Marathon mehr laufen. Dafür komme ich in Berlin jetzt billiger ins Museum.

Interview: Steffen Rüth

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