Neu-Ulmer Zeitung

„Ich bin wie neu geboren“

Immer mehr Männer entscheide­n sich für eine Haartransp­lantation. Einer von ihnen ist Murat Kizilkaya. Wenn er früher in den Spiegel geschaut habe, sagt er, habe er sich unwohl gefühlt.

- Von Jonathan Lyne

Gersthofen Murat Kizilkaya kam vor 39 Jahren zur Welt, aber 2019 war es, als wäre er ein zweites Mal geboren worden. So sagt er es selbst. Kizilkaya hatte mit Mitte 30 immer weniger Haare auf dem Kopf, fühlte sich nicht mehr wohl in der eigenen Haut – und entschied sich für eine Haartransp­lantation. Heute sagt der Mann aus Gersthofen bei Augsburg: „Ich bin wie neu geboren.“

Murat Kizilkaya merkte bereits mit 27, dass die Haare auf seinem Kopf immer weniger wurden. Was ihn ebenfalls störte: Auch sein Haaransatz rutschte immer weiter nach oben. Kizilkaya zeigt auf seinem Handy Bilder von damals. Sein Haar ist darauf licht, der Ansatz relativ weit oben, die Geheimrats­ecken klar erkennbar. Oder wie es Kizilkaya zusammenfa­sst: „Oben war komplett leer.“Sein Haarausfal­l machte ihm zu schaffen. „Ich habe mich unwohl gefühlt“, sagt er. „Wenn ich in den Spiegel geschaut habe, hat was gefehlt – und das hat mich gestört.“

Immer mehr Menschen, vor allem Männer, entscheide­n sich für eine Haartransp­lantation. Die Zahl der Eingriffe geht seit Jahren steil nach oben. Laut Medihair, der nach eigenen Angaben größten internatio­nalen Bewertungs­plattform in dem Bereich, hat sich die Zahl der weltweiten Haartransp­lantatione­n pro Jahr in den vergangene­n neun Jahren mehr als verdoppelt. Waren es 2015 noch circa 1,5 Millionen, lag die Zahl 2023 bei 3,9 Millionen.

Sussan Rosenthal führt in ihrer Praxis in München seit neun Jahren Haartransp­lantatione­n durch und ist Mitglied im Verband Deutscher Haarchirur­gen. Sie schätzt, dass etwa 70 Prozent ihrer Patienten Männer sind, 30 Prozent Frauen. Die Jüngsten sind ihr zufolge Anfang 20, die Ältesten über 70. Und nicht immer kommt eine Haartransp­lantation infrage.

Bei Männern ist Haarausfal­l fast immer genetisch bedingt, bei Frauen seien eher Schilddrüs­enprobleme

oder andere hormonelle Probleme der Grund, erklärt Rosenthal. Die Ärztin führt mit allen Interessen­ten für eine Haartransp­lantation zunächst ein Beratungsg­espräch. Dabei wird geklärt, was die Ursache für den Haarausfal­l ist. In ein bis zwei von zehn Fällen, schätzt Rosenthal, ist eine Transplant­ation nicht sinnvoll, etwa weil der Haarausfal­l hormonelle Gründe hat.

Der starke Anstieg der Zahlen von Haartransp­lantatione­n habe verschiede­ne Gründe. Im Vergleich zu früher sei die Hemmschwel­le bei einem solchen Eingriff deutlich geringer, sagt Rosenthal, vor allem bei jüngeren Menschen. „Sicher auch, weil einige Prominente wie Christian Lindner oder Jürgen Klopp dazu standen und gesagt haben: Ich habe etwas machen lassen.“

Bei einer Haartransp­lantation wird Haar vom Patienten selbst verpflanzt. Es gibt dafür zwei verschiede­ne Verfahren. Das eine ist die FUE-Methode (Follicular Unit Excision). Dabei werden Haarwurzel­gruppen mit einer Hohlnadel vom Hinterkopf entnommen und an die kahlen oder weniger behaarten Stellen verpflanzt. Das zweite Verfahren ist die FUT-Methode (Follicular Unit Transplant­ation). Dabei werden ganze Haarstreif­en versetzt.

Die FUE-Methode ist schonender, weil dabei die Kopfhaut nicht wieder zusammenge­näht werden muss, erklärt Sussan Rosenthal. Wenn auf einem kleinen Areal möglichst viele Haare entnommen werden müssen, könne allerdings die FUT-Methode sinnvoller sein. Die Voraussetz­ung für eine Transplant­ation: An der Stelle, von der die Haare entnommen werden, müssen genügend vorhanden sein. Ansonsten würden wiederum diese Areale durch einen Eingriff licht werden.

Aus den verpflanzt­en Haarwurzel­n wachsen nach dem Eingriff schließlic­h wieder Haare. Nach ein paar Wochen fallen sie allerdings aus: „Shock Loss“nennt sich dieses Phänomen. Es ist eine Reaktion auf die Verpflanzu­ng, erklärt Rosenthal. Nachdem die Haare später nachgewach­sen sind, fielen sie in der Regel nicht mehr aus.

Bei Murat Kizilkaya wurden die Haare mit der FUE-Methode transplant­iert. Er flog für den Eingriff in die Türkei, eine Freundin von ihm arbeitete dort in einer Klinik. Sieben Stunden dauerte das Ganze, 2700 Haarwurzel­gruppen, sogenannte Grafts, wurden verpflanzt. Kizilkaya wurde nur lokal betäubt. „Es hat sich ein bisschen so angefühlt, als wenn man Augenbraue­n zupft“, erzählt er.

Für die Operation wurde sein Kopf komplett rasiert. Die gerötete Haut war nach der Operation ein paar Tage lang sehr empfindlic­h und blutete immer wieder. „Mein Kopf war brutal rot, das war schon schockiere­nd“, erzählt Kizilkaya. „Ich habe gesagt: Leute, das wird schon, oder?“Im Flugzeug nach Deutschlan­d, erinnert er sich, sei ein Großteil der Passagiere Männer mit rötlichen Glatzen gewesen. Sie alle hatten sich offenbar in der Türkei ihre Haare transplant­ieren lassen. Das Land, allen voran Istanbul, hat sich im Bereich Haartransp­lantatione­n zu einem echten Zentrum entwickelt. Das liegt auch daran, dass die Kosten dort deutlich geringer sind als in anderen Ländern. In Deutschlan­d zahlen Patienten für eine Haartransp­lantation laut Angaben der Plattform Medihair im Durchschni­tt knapp 6800 Euro. In der Türkei liegen die Kosten bei 2500 Euro.

Für Murat Kizilkaya war die erste Zeit nach der OP nicht einfach. Mit seinem kahlen, geröteten Kopf fühlte er sich in den ersten Monaten nach dem Eingriff unwohl in der Öffentlich­keit, überall hätten ihn die Leute angestarrt. Außerdem juckte seine Kopfhaut „bis zum Gehtnichtm­ehr“. Gezweifelt habe er trotzdem nicht an seinem Entschluss. Nach einem halben Jahr hatten die Haare von Murat Kizilkaya wieder die Länge, wie er sie bis zur Transplant­ation getragen hatte – mit einem Unterschie­d: Sie wuchsen jetzt auch an vorher kahlen Stellen.

Mit dem Ergebnis ist er sehr zufrieden. „Du schaust in den Spiegel und siehst einen komplett anderen Mann“, erzählt er. Seit der Operation fühle er sich glückliche­r, selbstbewu­sster. „Du läufst anders“, sagt Kizilkaya, „gerade, Brust raus.“Auch Freunde und Familie waren überrascht vom Ergebnis. „Meine Frau Kübra hat gesagt: Ich liebe dich sowieso“, erzählt er. „Aber jetzt noch mehr.“

Der Anstieg der Transplant­ationen liege auch an bekannten Personen.

In Deutschlan­d kostet der Eingriff 6800 Euro, in der Türkei nur 2500.

 ?? Foto: Jonathan Lyne ?? Murat Kizilkaya hat den Eingriff hinter sich. Er sagt: „Du schaust in den Spiegel und siehst einen komplett anderen Mann.“
Foto: Jonathan Lyne Murat Kizilkaya hat den Eingriff hinter sich. Er sagt: „Du schaust in den Spiegel und siehst einen komplett anderen Mann.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany