Neu-Ulmer Zeitung

Fahrverbot­e für Klimaschut­z sind vom Tisch

Verkehrsmi­nister Wissing gewinnt Poker gegen Grüne und setzt Aufweichun­g der Ziele durch. Paket soll Sonnenstro­m anschieben.

- Von Michael Stifter

Berlin Nach wochenlang­er Blockade haben sich die Fraktionen von SPD, Grünen und FDP doch noch auf ein neues Klimaschut­zgesetz geeinigt. Für Autofahrer bedeutet das: Fahrverbot­e an Wochenende­n, wie sie Bundesverk­ehrsminist­er Volker Wissing (FDP) als Drohkuliss­e aufgebaut hatte, um die Klimavorga­ben im Straßenver­kehr doch noch irgendwie zu erfüllen, sind vom Tisch. Künftig wird es keine Ziele zur CO2-Einsparung mehr für einzelne Sektoren wie Energie, Industrie, Gebäude, Landwirtsc­haft oder Verkehr geben, sondern ein gemeinsame­s Ziel für alle. Verfehlen Bereiche die gesetzten Marken, kann dies durch andere ausgeglich­en werden.

Die Grünen hatten sich dagegen gewehrt, sie fürchten Nachteile für den Klimaschut­z. Der Verkehrsmi­nister, der in seinem Zuständigk­eitsbereic­h die Ziele drei Jahre in Folge verfehlt hatte, brachte daher für den Fall, dass das Gesetz nicht angepasst wird, Fahrverbot­e als Notfallpla­n ins Spiel.

Der jetzige Kompromiss verschafft Wissing erst einmal Zeit. Aber auch die Grünen konnten punkten: Mit dem ebenfalls beschlosse­nen Solarpaket werden bürokratis­che Hürden abgebaut, um den Ausbau der Sonnenener­gie anzuschieb­en. Unter anderem soll es einfacher werden, kleine Balkonkraf­twerke zu betreiben oder selbst erzeugten Fotovoltai­kStrom in Mehrfamili­enhäusern zu nutzen. Auch die Regeln für Sonnenstro­m auf Äckern sollen gelockert werden.

Schon im Juni hatte das Bundeskabi­nett die umstritten­e Reform des Klimaschut­zgesetzes verabschie­det – und die eigentlich­e Auseinande­rsetzung damit den Fraktionen im Bundestag überlassen. Dort wurde seitdem heftig gestritten. Bisher sieht das Gesetz vor, dass ein Sektor, der seine CO2-Vorgaben nicht erreicht, im folgenden

Jahr Sofortmaßn­ahmen einleiten muss. Während die Ziele in Energiewir­tschaft, Industrie oder Landwirtsc­haft – auch aufgrund der wirtschaft­lichen Flaute und des milden Winters – locker eingehalte­n wurden, scheiterte­n andere meilenweit. Vor allem der Verkehr verursacht­e nach Angaben des unabhängig­en Expertenra­ts für Klimafrage­n auch im vergangene­n Jahr wieder deutlich mehr Abgase, als gesetzlich erlaubt gewesen wäre. Statt der anvisierte­n 133 Millionen seien rund 146 Millionen Tonnen Treibhausg­ase entstanden, teilten die Fachleute in ihrem am Montag vorgestell­ten Bericht mit. Nach bisheriger Rechtslage hätte der verantwort­liche Minister also eine Vollbremsu­ng hinlegen müssen. Wissing pokerte mit der Verhängung von Fahrverbot­en, die der Bevölkerun­g schwer zu vermitteln gewesen wären.

Politisch hat er nun gewonnen, ob der gefundene Kompromiss dem Klimaschut­z dient, wird von Kritikern indes bezweifelt. Die FDP zeigte sich dennoch zufrieden. Die Klimapolit­ik werde damit vom Kopf auf die Füße gestellt, sagte Fraktionsv­ize Lukas Köhler. „Denn ab sofort zählt nur noch, dass die Klimaziele insgesamt erreicht werden, und nicht mehr, an welcher Stelle die Emissionen reduziert werden.“Fassungslo­s reagierte hingegen der Bund für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d. „Statt Verbindlic­hkeit und Zuständigk­eit gibt es jetzt geteilte Verantwort­ungslosigk­eit. Dem Gesetz wurden entscheide­nde Zähne gezogen“, kritisiert­e der Vorsitzend­e Olaf Bandt. Die Grünen betonen, dass die Reform die Bundesregu­ng nun immerhin dazu zwinge, langfristi­ge Ziele zu fixieren. Fraktionsv­ize Julia Verlinden betonte mit einem kleinen Seitenhieb, dass sich auch Wissing nicht dauerhaft aus der Verantwort­ung stehlen könne: „Mit Blick auf das wesentlich strengere Klimaziel 2040 muss besonders im Bereich Verkehr mehr passieren.“Kommentar

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