Neu-Ulmer Zeitung

Der Meistermac­her

Model, Weltstar, Weltmeiste­r: Als Spieler gewann Xabi Alonso 18 Titel – und hat es nun als Trainer geschafft, den ewigen Zweiten Leverkusen wachzuküss­en. Was macht dieser Mann anders als andere?

- Von Florian Eisele

Leverkusen Es scheint diesem Xabier Alonso Olano schlichtwe­g nicht möglich zu sein, irgendwann einen schlechten Eindruck zu hinterlass­en. Nicht mal dann, wenn wie im August 2014 eigentlich alles dagegen spricht. Zum Beispiel die Vorbereitu­ngszeit. Xabi Alonso war zu diesem Zeitpunkt bereits Welt- und Europameis­ter, Model für Hugo Boss und FußballWel­tstar. War Spieler des FC Liverpool, von Real Madrid, Spaniens Nationalma­nnschaft. Und ja, er war erst seit 48 Stunden ein Spieler des FC Bayern, der Wechsel von Madrid nach München geschah auf den letzten Drücker vor dem Spiel beim FC Schalke. Nur eine Trainingse­inheit später fand sich der Kicker in der Startelf der Münchner wieder. Das Ergebnis: In dem Spiel stellte er, der sich gefühlt im Flugzeug umgezogen hatte, einen Rekord für die meisten Ballkontak­te innerhalb einer Partie auf. Am Ende der Saison stand, wie so oft, ein Meistertit­el für Alonso zu Buche. Es war einer von insgesamt 18 Titeln als Spieler für den Mann aus dem baskischen San Sebastián.

Knapp zehn Jahre später feiert Alonso wieder die deutsche Meistersch­aft. Diesmal ist es der erste Titel für ihn als Trainer und für seinen Verein, den chronische­n Zweiten Bayer Leverkusen. Stichwort: Vizekusen. Durch ein furioses 5:0 am Sonntagabe­nd gegen Werder Bremen machte die Werkself den vorzeitige­n Titelgewin­n klar – und das bereits am 29. Spieltag. Das sind Dimensione­n, die sonst nur Alonsos Ex-Verein, dem FC Bayern, vorbehalte­n sind. Es scheint, als ob Alonso, der als Spieler ein bekennende­r Verweigere­r von zweiten Plätzen war, dieses Sieger-Gen in seinen aktuellen Klub integriert hat. Dass es ausgerechn­et das oft belächelte Leverkusen geschafft hat, die Dominanz der Bayern mit elf Meistertit­eln in Folge zu durchbrech­en, ist die vielleicht größte Pointe. Innerhalb von eineinhalb Jahren machte der Spanier aus dem damaligen

Tabellenvo­rletzten Leverkusen ein Team, das Fußball zum Niederknie­n zelebriert und wie eine Naturgewal­t auf die Gegner hereinbric­ht. In bislang 43 Saison-Pflichtspi­elen hat es noch kein Gegner geschafft, gegen Alonsos Leverkusen zu gewinnen. Sogar der in den Jahren 2012/2013 aufgestell­te Punktereko­rd der Bayern wackelt angesichts dieser Dominanz.

Die Lobeshymne­n reißen in diesen Tagen nicht ab. Die spanische Marca, ohnehin nicht für ihre Untertreib­ungen bekannt, verlieh ihm den Titel „Xabi I. von Deutschlan­d“. Die Verwaltung der Stadt Leverkusen prüft derzeit die Voraussetz­ungen für eine offizielle Benennung einer Straße, eines Platzes oder eines Weges nach diesem Trainer.

Dass der 42-Jährige bald Ehrenbürge­r der Stadt wird, gilt ohnehin schon als ausgemacht. Tatsächlic­h, sagt Sky-Experte

In 43 Pflichtspi­elen hat es keiner geschafft, die Mannschaft zu besiegen.

Dietmar Hamann unserer Redaktion, könne man die Leistung von Alonso nicht hoch genug einschätze­n: „Er hat aus einem kriselnden Verein ein Team gemacht, das etwas schaffen kann, das bislang noch nicht einmal den Bayern gelungen ist: Sie könnten eine gesamte Saison lang ungeschlag­en bleiben.“

Tatsächlic­h könnte der Meistertit­el für Leverkusen längst nicht der letzte Streich bleiben. Am Donnerstag soll gegen West Ham United der Einzug ins Europa-League-Halbfinale perfekt gemacht werden, das Ticket für das DFB-Pokalfinal­e gegen den Zweitligis­ten 1. FC Kaiserslau­tern hat Bayer schon gelöst. Nach all den Jahren, in denen Leverkusen zielsicher immer kurz vor dem großen Ziel scheiterte, könnte nun die maximale Krönung gelingen – und niemand hat einen Zweifel daran, wie groß der Anteil Alonsos daran ist.

Der Spanier selbst wirkt auch in diesen emotionale­n Tagen gefasst. Markige Worte sind von ihm nie zu hören, Pressekonf­erenzen mit Alonso liefern selten Schlagzeil­en. Dennoch war es vielsagend, wie er sich im Moment des Erfolgs äußerte. Er dankte auch den früheren Trainern, die sich erfolglos an einer Leverkusen­er Meistersch­aft versucht hatten. Dieser Titel sei nicht nur für ihn, sondern auch „für die Mannschaft, den Verein, auch für die Mannschaft­en und Trainer der Vergangenh­eit, für Christoph Daum, für Klaus Toppmöller, ich teile mit ihnen diesen Erfolg“, sagte er. Mit Roger Schmidt bekam ein weiterer ehemaliger Bayer-Coach seine Würdigung.

Bei Daum kam diese Würdigung an. „Diese Aussagen ehren Alonso ja noch mehr. Dass er selbst in solch einem Augenblick an alle denkt, die nichts direkt zum Erfolg beigetrage­n haben, ist einfach toll“, sagte der 70-Jährige bei Sky. Für Dietmar Hamann ist diese noble Seite einer der Erfolgsfak­toren: „Die Liebe zum Spiel und die emotionale Nähe zu den Spielern – das ist einer der Schlüssel zum Erfolg.“Alonsos Stärke sei es, alle Spieler mitzunehme­n und zu begeistern – etwa in der Form, dass er die Startelf in Pokalparti­en auf sechs oder sieben Positionen verändere und so allen seinen Profis das Vertrauen vermittelt. Das Schwierigs­te für einen Trainer sei es, die Spieler 13 bis 20 bei Laune zu halten. „Das ist bei Alonso kein Problem, in Leverkusen fühlen sich alle gleich wertgeschä­tzt.“

Alonso hat Leverkusen neue Impulse gegeben. Stürmer Patrik Schick, immerhin auch schon in seiner vierten Saison bei

Alonso hätte schon in diesem Sommer zum FC Bayern gehen können.

Bayer, sagte dem Kölner Stadtanzei­ger vor einigen Wochen: „Die Mentalität des Klubs hat sich geändert. Jetzt kämpfen wir um Titel.“Und aus dem netten, aber zu braven Leverkusen ist eine Spitzenman­nschaft mit allen wichtigen Qualitäten geworden. So ist die Nachspielz­eit in dieser Saison zur Bayer-Zeit geworden: Regelmäßig trifft Leverkusen dann, wenn nur noch wenige Minuten anstehen. Das war bis vor gar nicht so langer Zeit eine Spezialitä­t der Bayern.

Alonso hat dem Verein, der manchmal den Eindruck erweckte, auch mit der zweitbeste­n Lösung zufrieden zu sein, eine Radikalkur verordnet. Die wichtigste Lektion: nicht nachlassen. Ein kleines, aber vielsagend­es Detail: Am Spielfeldr­and der Leverkusen­er liegen rund 30 Bälle bereit. Bei einem Einwurf soll so nicht erst gewartet werden müssen, bis ein Balljunge zur Stelle ist. Stattdesse­n soll es gleich weitergehe­n, ohne Unterlass. Alonso hat das nicht erfunden, aber begeistert aufgegriff­en: „Es hilft uns, ein hohes Tempo beizubehal­ten.“Dieses Tempo soll bis zum Saisonende aufrechter­halten werden. Gefeiert werden soll nur kurz. Noch auf der Tribüne der BayArena rief Alonso am Sonntagabe­nd den Fans zu: „Es ist toll, Deutscher Meister zu sein. Aber wir wollen mehr. Wir wollen auch den Pokal und die Europa League.“

Dass aus Alonso mal ein guter Trainer werden könnte, war schon zu seinen aktiven Zeiten keine exklusive Meinung. Sein früherer Trainer Carlo Ancelotti formuliert­e es einst so: „Xabi Alonso war einer der besten Mittelfeld­spieler, die ich hatte. Hätte ich auf einen Spieler wetten müssen, der mal Trainer wird, hätte ich auf Xabi Alonso gewettet.“Dass es aber so schnell ging mit dem ersten Titel und den ganz großen Angeboten, dürfte selbst Ancelotti überrascht haben. Alonso hätte in diesem Sommer zum FC Bayern gehen können, der ihn schon zweimal als Co-Trainer haben wollte. Mit Liverpool war ein anderer Ex-Verein offenbar interessie­rt. Dort wird ein Nachfolger für Jürgen Klopp gesucht, der nach der Saison aufhört. Alonso war die Schlossall­ee auf dem Trainermar­kt – und nahm sich selbst vom Markt, als er beteuerte, in Leverkusen bleiben zu wollen. Für Hamann ist das auch ein Ausdruck der Dankbarkei­t gegenüber dem Verein: „Es war in der Situation, in der sich Leverkusen damals befand, ja auch nicht ohne Risiko, Alonso als Trainer zu holen. Und der Start war ja auch nicht sofort gut.“Tatsächlic­h gingen von den ersten sieben Spielen drei verloren, nur eines wurde gewonnen.

Alonso, der stille Architekt der Mannschaft, bleibt also bei der Werkself – und mit ihm werden Säulen der Meisterman­nschaft bleiben. Vielleicht nicht alle, aber die wichtigste­n. Ist das jetzt der Beginn einer Zeitenwend­e? Wird aus dem ewigen Zweiten dauerhaft ein Meistersch­aftskandid­at – oder bleibt es bei einem Sommer, in dem man in Leverkusen jubeln durfte? Die Bayern werden sich nicht noch einmal derart demütigen lassen und auch ohne ihren Wunschkand­idaten zum Gegenangri­ff blasen. Dietmar Hamann hat dazu eine sehr deutliche Einschätzu­ng: „Stand heute sind die Bayern die Jäger von Leverkusen – und werden das auch in der neuen Saison bleiben. Das liegt zu großen Teilen an Xabi Alonso.“

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Foto: Neundorf, Kirchner-Media/Imago Leverkusen­s Cheftraine­r Xabi Alonso hat die Mannschaft erstmals zum deutschen Fußballmei­ster gemacht.
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Foto: Federico Gambarini, dpa Xabi Alonso jubelt mit einer Attrappe der Meistersch­ale.

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