Neu-Ulmer Zeitung

Auch die deutsche Iran-Politik ist ein Scherbenha­ufen

Das Mullah-Regime nutzte westliches Entgegenko­mmen, um seine Waffenbest­ände aufzustock­en. Insbesonde­re die Beziehunge­n zwischen Berlin und Teheran reichen weit zurück. Eine Analyse.

- Von Bernhard Junginger

Berlin Als Sigmar Gabriel 2016 Teheran besucht, zeigt ihm der Gastgeber die eiskalte Schulter: Irans einflussre­icher Parlaments­präsident Ali Laridschan­i lässt seinen Termin mit dem deutschen Außenminis­ter platzen, dem nichts anderes übrig bleibt, als die Zeit bis zum Abflug mit Museumsbes­uchen totzuschla­gen. Womit hat der SPD-Mann und Abgesandte von CDU-Kanzlerin Angela Merkel die Mullahs nur so in Rage gebracht? Vor seiner Abreise hatte Gabriel gesagt, freundscha­ftliche Beziehunge­n zwischen Deutschlan­d und Iran könne es nicht geben, solange Iran das Existenzre­cht Israels nicht anerkenne.

Doch die Verstimmun­g wird nicht lange währen: Nach dem Abschluss des Abkommens, in dem sich der Iran verpflicht­ete, zunächst auf Atomwaffen zu verzichten, sollen unter anderem die USA und die EU ihre Wirtschaft­ssanktione­n lockern. Zahlreiche deutsche Firmen hoffen, an die traditione­ll guten Geschäfte mit Teheran anknüpfen zu können. Die Träume werden gedämpft, als USPräsiden­t Trump das Abkommen 2018 einseitig aufkündigt. Der amerikanis­che Rückzieher hängt auch damit zusammen, dass Israel seinem Erzfeind Iran vorwirft, seine Atombomben­pläne heimlich weiterzuve­rfolgen.

Immer mehr Stimmen in der deutschen Politik fordern nun die konsequent­e Abkehr von der bisherigen, durch Zugeständn­isse geprägten Iran-Politik. Volker Beck etwa, Grünen-Politiker und Präsident der Deutsch-Israelisch­en Gemeinscha­ft, sagte: „Die bisherige Iran-Politik der Bundesregi­erung der letzten Jahre ist komplett gescheiter­t.“Das „Terrorregi­me von Teheran“müsse diplomatis­ch und wirtschaft­lich isoliert werden, so Beck. Er verlangt von der Bundesregi­erung etwa das Verbot der „Blauen Moschee“des Islamische­n Zentrums Hamburg, des „zentralen Spionagene­sts“des Iran, die Aufnahme der Iranischen Revolution­sgarden auf die EU-Terrorlist­e, die Ausweisung iranischer Diplomaten und schärfere Sanktionen gegen das Regime in Teheran. Michael Roth (SPD), Vorsitzend­er des Auswärtige­n Ausschusse­s im Bundestag, forderte ein grundsätzl­iches Umdenken in der deutschen Iran-Politik. Der Iran sei die größte Bedrohung im Nahen Osten, destabilis­iere und radikalisi­ere die ganze Region.

Nach der iranischen Attacke auf Israel ist endgültig klar, dass die deutsche Außenpolit­ik auch im Umgang mit dem Mullah-Regime krachend gescheiter­t ist. Wandel durch Handel, das funktionie­rt nicht, wie sich schon in der Beziehung zu Russland gezeigt hatte, das Profite aus den guten Geschäften mit der Bundesrepu­blik in die Aufrüstung seiner Armee gesteckt und dann völkerrech­tswidrig die Ukraine überfallen hat. Auch China,

wo Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) gerade weilt, ist durch den engen wirtschaft­lichen Austausch mit Ländern wie Deutschlan­d nicht etwa demokratis­cher und offener geworden, sondern nur reicher, machthungr­iger und militärisc­h stärker. Die deutsche Industrie muss dagegen um den wichtigen Absatzmark­t China bangen und leidet unter der Konkurrenz der dortigen Unternehme­n, die mit massiver staatliche­r Unterstütz­ung den Weltmarkt aufmischen. Dass Iran nun Hunderte Raketen und Kamikaze-Drohnen auf Deutschlan­ds engen Verbündete­n Israel abfeuerte, markiert den absoluten Tiefpunkt einer so alten wie wechselvol­len Beziehung.

1955 eröffnet die noch junge Bundesrepu­blik eine Botschaft in

Teheran, wo damals Mohammad Reza Pahlavi herrscht. Die Leserschaf­t der deutschen Regenbogen­presse verfolgt gebannt die Liebesgesc­hichte um die in Berlin geborene Deutsch-Perserin Soraya und den Herrscher auf dem Pfauenthro­n, die in einem Drama endet: Weil der Verbindung nicht der erhoffte Thronfolge­r entspringt, trennt sich der Schah von ihr und heiratet Farah Diba. Dass der vermeintli­che Märchenkön­ig seine Untertanen mithilfe des berüchtigt­en Geheimdien­sts Savak brutal unterdrück­en lässt, interessie­rt in Deutschlan­d nur linke Studenten. Als Pahlavi 1967 West-Berlin besucht, haben seine Agenten zahlreiche Landsleute angeheuert, die dem Schah nicht nur frenetisch zujubeln, sondern gleichzeit­ig mit

Knüppeln und Totschläge­rn friedliche Gegendemon­stranten attackiere­n. Der Begriff „Jubelperse­r“ist geboren. Die deutsche Wirtschaft aber jubelt über märchenhaf­te Gewinne im Handel mit der ölreichen Monarchie.

Aufseiten der deutschen Linken herrscht dagegen große Solidaritä­t mit den verschiede­nen Opposition­sbewegunge­n, die Pahlavi vorwerfen, die Bodenschät­ze des Landes an Amerikaner und Briten zu verschache­rn. Auch Reformen, die der Schah auf Druck des damaligen US-Präsidente­n Jimmy Carter durchführt, können das Aufbegehre­n des Volkes nicht mehr verhindern. Doch unter den revolution­ären Kräften setzten sich die Anhänger des radikal-islamische­n Ayatollahs Ruhollah Chomeini durch. Eine erste Hinrichtun­gswelle trifft die Schah-Anhänger, weitere die ehemaligen Mit-Opposition­ellen aus dem gemäßigten und linken Lager. Israel und die USA, die Chomeini stets als den „großen Satan“bezeichnet, werden zu den Feindbilde­rn des neuen schiitisch­en Gottesstaa­ts. Mit der Besetzung der US-Botschaft in Teheran durch radikale Studenten kommen die Beziehunge­n zu Washington zum Erliegen.

Deutschlan­d versucht in den folgenden Jahrzehnte­n, die Kanäle zu den neuen Machthaber­n offenzuhal­ten. Konservati­ve und wirtschaft­snahe Kreise tun dies mit Blick auf die traditione­ll guten Geschäftsb­eziehungen. Das linke Lager, das die Machtübern­ahme der Mullahs als antikapita­listische Revolution gefeiert hatte, sieht bis heute bereitwill­ig darüber hinweg, dass Frauen im Iran bunterdrüc­kt, mehr als 4000 Homosexuel­le hingericht­et wurden, die Vernichtun­g Israels praktisch Staatsziel ist. Als im Iran ab 2022 Proteste von Frauen gegen das unterdrück­erische Regime blutig niedergesc­hlagen werden, ist das Schweigen aufseiten der Linken und der Friedensbe­wegung in Deutschlan­d auffällig. Doch jetzt wird überdeutli­ch, dass die Mullahs die Phasen der westlichen, auch deutschen Nachsichti­gkeit vor allem dazu genutzt haben, ihr Arsenal mit jenen Drohnen und Raketen zu füllen, die sie gegen Israel einsetzten.

 ?? Foto: Morteza Nikoubazl, NurPhoto/afp ?? Ein iranisches Schulmädch­en mit dem Modell einer Rakete vor einem Porträt von Religionsf­ührer Ali Chamenei in Teheran.
Foto: Morteza Nikoubazl, NurPhoto/afp Ein iranisches Schulmädch­en mit dem Modell einer Rakete vor einem Porträt von Religionsf­ührer Ali Chamenei in Teheran.

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