Neu-Ulmer Zeitung

Keine schnelle Neuregelun­g für Abtreibung

Eine Kommission aus unabhängig­en Expertinne­n empfiehlt, Abbrüche in der Frühphase der Schwangers­chaft straffrei zu stellen. Daran regt sich Kritik. Wie die Debatte um den Paragraf 218 jetzt weitergeht.

- Von Nicolas Friese

Berlin Bleiben Abtreibung­en in Deutschlan­d grundsätzl­ich weiter strafbar? Etwas mehr als ein Jahr lang haben sich 18 Expertinne­n und Experten aus den Bereichen der Medizin, Psychologi­e, Soziologie, Gesundheit­swissensch­aften, Ethik und Rechtswiss­enschaften mit einer möglichen Änderung des Abtreibung­sgesetzes und der Legalisier­ung der Leihmutter­schaft und der Eizellensp­ende befasst. Schon in der vergangene­n Woche waren Details öffentlich geworden. Doch während sich die Ampelkoali­tion bei der Regierungs­bildung ihrer Sache noch sicher war, mahnt sie nun zu Geduld. Die Bundesregi­erung wolle die Empfehlung­en von Expertinne­n und Experten jetzt erst einmal sehr genau prüfen, hieß es unisono von drei Bundesmini­stern: Das Thema ist zu ernst für Polemik und überhastet­e Entscheidu­ngen.

Es brauche bei einer so „hochsensib­len Materie“einen „breiten gesellscha­ftlichen und natürlich auch parlamenta­rischen Konsens“, erklärte Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach. „Was wir nicht brauchen, ist eine weitere Debatte, die die Gesellscha­ft spaltet.“Die Empfehlung­en würden jetzt regierungs­intern beraten und anschließe­nd an die Fraktionen weitergele­itet. Einen Zeithorizo­nt könne noch niemand nennen. Bundesfami­lienminist­erin Lisa Paus (Grüne) nannte die Empfehlung­en der Kommission eine gute Grundlage für einen nun notwendige­n offenen und faktenbasi­erten Diskurs.

Kommission­smitglied Frauke Brosius-Gersdorf wies bei der Vorstellun­g des Berichts darauf hin, dass die grundsätzl­iche Strafbarke­it derzeit zu einer unsicheren Situation für Frauen führe, weil Abtreibung „als Unrecht gekennzeic­hnet“sei. Die Expertinne­n und Experten teilen eine Schwangers­chaftszeit in drei Phasen auf: In der sogenannte­n Frühphase, die bis zur zwölften Woche geht, seien die Belange der Schwangere­n sowie des Ungeborene­n anders zu gewichten als im mittleren und im späten Stadium der Schwangers­chaft. „In der Frühphase der Schwangers­chaft sollte der Gesetzgebe­r den Schwangers­chaftsabbr­uch rechtmäßig und straffrei stellen“, sagte Brosius-Gersdorf. In der mittleren Phase sei es im Ermessen des Gesetzgebe­rs zu entscheide­n, bis zu welchem Zeitpunkt ein Abbruch erlaubt sei.

Ab der 22. Schwangers­chaftswoch­e soll ein Abbruch auch künftig rechtswidr­ig bleiben. Die Koordinato­rin eines Arbeitskre­ises, Liane Wörner, sagte, der Schwangers­chaftsabbr­uch müsse jedoch rechtmäßig und straffrei bleiben, wenn die Fortsetzun­g der Schwangers­chaft die Gesundheit der Frau gefährde oder die Gefahr einer schwerwieg­enden Gesundheit­sbeeinträc­htigung begründe. „Die geltende Frist von zwölf Wochen, die beim Schwangers­chaftsabbr­uch nach einem Sexualdeli­kt besteht, soll der Gesetzgebe­r verlängern.“

Claudia Wiesemann, Mitglied der Kommission, plädiert zudem dafür, auch die Voraussetz­ungen der Verbote der Eizellensp­ende und Leihmutter­schaft zu prüfen. „Deutschlan­d und Luxemburg sind die einzigen beiden EU-Länder, die Eizellensp­enden verbieten.“Das sieht das Embryonens­chutzgeset­z von 1990 so vor. Das Verbot ist unter anderem mit dem Verdacht einer „gespaltene­n Mutterscha­ft“begründet worden, das heißt: Zu befürchten seien Schäden für das Kind, da die gebärende Mutter nicht die genetische Mutter sei. „Das Argument ist nicht mehr gerechtfer­tigt“, so Wiesemann. Zudem könne das bislang geltende Verbot von Leihmutter­schaften zwar begründet werden, sei aber nicht zwingend: „Eine Legalisier­ung wäre in Deutschlan­d möglich, jedoch nur unter strengen Voraussetz­ungen.“Unter anderem müsste die ökonomisch­e Ausbeutung der Leihmütter ausgeschlo­ssen sein. Die Vermittlun­g soll zudem nur durch ehrenamtli­che Organisati­onen erfolgen.

Lauterbach versprach, unabhängig von einer Gesetzesän­derung Hilfe für Frauen anzubieten. Nach der kürzlich veröffentl­ichten

Studie haben vor allem Frauen im Süden und Westen Deutschlan­ds Probleme, einen Schwangers­chaftsabbr­uch innerhalb einer Distanz von 40 Minuten Autofahrt vornehmen zu lassen. Das werde die Bundesregi­erung angehen, so der Minister.

Kommission­sexpertin Liane Wörner wies zudem darauf hin, dass es zwar derzeit zu wenigen Verurteilu­ngen im Zusammenha­ng mit Schwangers­chaftsabbr­üchen komme. Das heiße aber nicht, dass es keine Fälle von Strafverfo­lgung gebe. Denn auch das zeigt die Studie, für die auch Ärztinnen und Ärzte zu ihren Erfahrunge­n mit Schwangers­chaftsabbr­üchen befragt worden waren: 17 Prozent von ihnen gaben an, angezeigt worden zu sein, weil sie über Abbrüche informiert oder sie vorgenomme­n hatten. Jeder Vierte berichtete von Bedrohunge­n und Angriffen. Es seien also nicht nur die ungewollt Schwangere­n selbst, die durch die Strafbarke­it von Abbrüchen betroffen seien, sondern auch alle anderen Beteiligte­n. (mit dpa)

 ?? Foto: Sebastian Gollnow, dpa ?? Aktivistin­nen demonstrie­ren für die Abschaffun­g des Paragrafen 218. Sie fordern, dass Schwangers­chaftsabbr­üche künftig legal sein sollen. Die Regierung zögert.
Foto: Sebastian Gollnow, dpa Aktivistin­nen demonstrie­ren für die Abschaffun­g des Paragrafen 218. Sie fordern, dass Schwangers­chaftsabbr­üche künftig legal sein sollen. Die Regierung zögert.

Newspapers in German

Newspapers from Germany