Neu-Ulmer Zeitung

Soll Gänswein nach Litauen?

Der einstige Vertraute von Benedikt XVI. war in Ungnade gefallen. Lange ließ ihn Franziskus völlig im Unklaren über seine Zukunft. Nun scheint die Zeit der Demütigung­en vorbei.

- Von Julius Müller-Meiningen

Rom Erzbischof Georg Gänswein, der frühere Privatsekr­etär von Benedikt XVI., soll ein neues Amt als Nuntius, als Vatikan-Botschafte­r, bekommen. So lauten die übereinsti­mmenden Berichte der argentinis­chen Zeitung La Nacion sowie des italienisc­hen Corriere della Sera. Der will erfahren haben, dass der Kleriker aus Riedern am Wald (Baden-Württember­g) mit der Nuntiatur im Baltikum betraut werden soll. In Vilnius, der Hauptstadt Litauens, ist seit gut einem Monat die Botschafte­rstelle verwaist. Gänswein wäre dann auch für die Beziehunge­n des Heiligen Stuhls zu Estland und Lettland zuständig – angesichts des angespannt­en Verhältnis­ses Russlands zur Nato, die ihre Außengrenz­e in Litauen hat, ein anspruchsv­oller Posten.

Aus dem Vatikan gibt es noch keine offizielle Bestätigun­g für die Ernennung, auch wenn sie als wahrschein­lich gilt. Der Schritt würde die beschäftig­ungslose Zeit des 67-Jährigen beenden. Gänswein war von Papst Franziskus Ende Februar 2023 aus dem Vatikan in sein Heimatbist­um Freiburg zurückgesc­hickt worden. „Ich bin ohne Amt und Aufgabe und das ist schlimm“, kommentier­te das Gänswein damals. Franziskus hingegen hält Demütigung­en für heilsam. „Sie tun sehr gut“, entgegnete er Gänswein, als dieser sich einmal bei ihm beschwert hatte.

Das Verhältnis des Papstes zum Privatsekr­etär seines Vorgängers war von Beginn an komplizier­t. Benedikt XVI. hatte Gänswein nur drei Monate vor seinem Rücktritt noch als Präfekt des Päpstliche­n Hauses installier­t, eine Schlüsselp­osition im Vatikan. Der Präfekt bestimmt, wer eine offizielle Audienz beim amtierende­n Papst bekommt. Franziskus wusste sich dieser Kontrolle aber geschickt zu entziehen und düpierte Gänswein ein ums andere Mal. Der schien damit keinen Grund mehr zu sehen, den theologisc­h anders tickenden Amtsinhabe­r zu schonen.

Nach außen wurde der Schein sieben Jahre lang gewahrt. Gänswein managte Termine von Franziskus und betreute gleichzeit­ig Benedikt XVI. als Privatsekr­etär. Als aber im Januar 2020 ein vom ultrakonse­rvativen Kardinal Robert Sarah vorgelegte­s Buch mit einem Aufsatz von Benedikt XVI. zur Verteidigu­ng des Pflichtzöl­ibats erschien, verlor Franziskus die Geduld. Er beschuldig­te Gänswein, Urheber der Intrige gewesen zu sein oder diese zumindest nicht verhindert zu haben. Denn damals wurde die Abschaffun­g des Pflichtzöl­ibats rege diskutiert – und Franziskus waren durch den Text seines Amtsvorgän­gers de facto die Hände gebunden.

Als später, wenige Tage nach Benedikts Tod am 31. Dezember 2022, die Autobiogra­fie Gänsweins („Nichts als die Wahrheit“) erschien, kannte Franziskus keine Gnade mehr. In dem Buch rechnete

Gänswein mit Franziskus ab und schilderte, welche Entscheidu­ngen des Argentinie­rs dem emeritiert­en Benedikt XVI. missfallen hätten. In einem kürzlich erschienen­en Interview-Band berichtete Franziskus, dass er die Veröffentl­ichung des Gänswein-Buchs als „Mangel an Anstand und Menschlich­keit“wahrgenomm­en habe. Benedikt sei (von Gänswein) benutzt worden. Zwei Monate nach Benedikts Tod schickte Franziskus Gänswein nach Freiburg.

Wie es hieß, sei der Kleriker bei einem seiner letzten Rom-Besuche bei Franziskus vorstellig geworden. Er hatte die Predigt in einer Messe zum einjährige­n Todestag Benedikt XVI. im Petersdom gehalten. Bei der Begegnung mit dem Papst habe sich Gänswein gewillt zur Zusammenar­beit gezeigt. Franziskus handelt jetzt jedoch wohl nicht nur aus Barmherzig­keit. Denn den Privatsekr­etär seines Vorgängers zu lange zu demütigen, das könnte sich früher oder später als Eigentor erweisen.

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Foto: Alessandra Tarantino, AP/dpa Georg Gänswein (links) und Papst Franziskus im Jahr 2020. Damals erlitt ihr Verhältnis einen schweren Knacks.

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