Neu-Ulmer Zeitung

Vertane Chance für den Arbeitsmar­kt

In Deutschlan­d arbeitet nur ein Fünftel der ukrainisch­en Kriegsflüc­htlinge, in den Nachbarlän­dern sind es viel mehr. Warum es hierzuland­e so schwer für diese Menschen ist, einen Job zu finden.

- Von Helen Geyer

Augsburg Tetiana Balazh trägt einen Anstecker mit einer überkreuzt­en deutschen und ukrainisch­en Flagge auf einer weißen Bluse. Während sie ruhig erzählt, lächelt sie immer wieder, auch wenn der Inhalt nicht immer dazu einlädt. Sie erzählt von ihrer Flucht aus der Ukraine: Über Umwege floh die 48-Jährige vor gut einem Jahr nach Deutschlan­d. „Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich nicht arbeite“, sagt die 48-Jährige auf Ukrainisch. Kateryna Matey vom ukrainisch­en Verein Augsburg dolmetscht für sie. „Sie will arbeiten“, übersetzt Matey und Balazh nickt. Seit Oktober besucht die Profiköchi­n nach mehreren Monaten Wartezeit einen DeutschSpr­achkurs in Augsburg und wartet darauf, dass sie sich endlich eine Stelle suchen kann.

Tetiana Balazh ist eine von rund 1,1 Millionen ukrainisch­en Flüchtling­en in Deutschlan­d. Davon leben etwa 15 Prozent in Bayern. Wegen eines vereinfach­ten Aufnahmeve­rfahrens werden die Ukrainerin­nen und Ukrainer rechtlich wie Deutsche und nicht wie Asylbewerb­er behandelt. Das heißt, sie können leichter einer Arbeit nachgehen – und erhalten Bürgergeld, solange sie keine Stelle finden. Von den geflohenen Ukrainern arbeitet derzeit allerdings nur jeder Fünfte. Die Quote ist um einiges niedriger als in Deutschlan­ds Nachbarlän­dern. Woran liegt das?

Wie viele Menschen aus der Ukraine in Deutschlan­d tatsächlic­h arbeiten, dazu liegen keine genauen Zahlen vor. Das liegt daran, dass sie sich bei der Einreise nicht anmelden müssen. Wer über die Bundesagen­tur für Arbeit nach einer Stelle sucht, Bürgergeld beantragt oder schon arbeitet und Steuern zahlt, wird vom System erfasst. Zum Jahresbegi­nn waren drei Viertel der in Deutschlan­d lebenden, vor dem Krieg geflüchtet­en Ukrainerin­nen und Ukrainer laut der Bundesagen­tur für Arbeit im erwerbsfäh­igen Alter. Das sind etwa 840.000 Personen ab 15 Jahren bis zur Rente, jede Fünfte hat einen sozialvers­icherungsp­flichtigen Job. Elf Prozent der ukrainisch­en Geflüchtet­en nehmen an Sprach- oder Integratio­nskursen teil und tauchen damit nicht in der

Arbeitslos­enstatisti­k auf. Als „Arbeit suchend“weist die Bundesagen­tur für März knapp 410.000 ukrainisch­e Bürgergeld-Empfänger aus.

Ivan Burtnyk ist mittlerwei­le nicht mehr auf das Bürgergeld angewiesen und hat eine Arbeit gefunden. Seit September absolviert der 20-Jährige eine Ausbildung zum Mechatroni­ker. Der junge Ukrainer war gerade als Tourist in Deutschlan­d, als der Krieg ausbrach. Burtnyk besuchte im Februar 2022 seine in Augsburg lebende Schwester und wollte mit ihr zum Skifahren gehen. Als Russlands Präsident Wladimir Putin die Ukraine angreifen ließ, blieb er in Deutschlan­d. Schon kurz nach Kriegsbegi­nn organisier­te Burtnyk sich einen Platz in einem ersten Sprachkurs. Er nahm an einem Integratio­nskurs teil und absolviert­e auch einen berufsbezo­genen Deutschkur­s. Burtnyk war dabei immer zielstrebi­g: „Ich wusste, dass ich eine Ausbildung machen will“, erzählt er. In der Ukraine hatte er bereits als Kfz-Mechaniker gearbeitet.

Die hohe finanziell­e Unterstütz­ung von Ukrainern und die niedrige Erwerbsquo­te stößt in Deutschlan­d inzwischen immer mehr auf Kritik. Der Deutsche Städte- und Gemeindebu­nd fordert, die Höhe des Bürgergeld­es für ukrainisch­e Kriegsflüc­htlinge an die Bereitscha­ft zur Arbeitsauf­nahme zu koppeln. Auch aus Union und FDP mehren sich die Stimmen, dass künftig neue Flüchtling­e

aus der Ukraine statt Grundsiche­rung nur noch Leistungen aus dem Asylrecht erhalten sollten.

Viele der nach Deutschlan­d geflüchtet­en Ukrainer sind Frauen mit Kindern, deren Männer das Land nicht verlassen dürfen. Eine nicht berufstäti­ge Mutter mit zwei Kindern im Alter zwischen sechs und dreizehn Jahren bekommt beispielsw­eise im Monat insgesamt 1343 Euro Bürgergeld, zusätzlich übernimmt das Jobcenter in der Regel Miet- und Nebenkoste­n einer Wohnung. Lohnt sich da die Jobsuche?

Auch der Mechatroni­ker-Azubi Burtnyk kennt die Vorwürfe, dass es wegen der hohen Sozialleis­tungen

in Deutschlan­d keinen besonders starken Anreiz für viele Kriegsflüc­htlinge gebe, sich eine Arbeit zu suchen. Doch der 20-Jährige widerspric­ht. „Wenn man selber arbeitet, verdient man viel mehr.“Für ihn sei deshalb von Anfang an klar gewesen, dass er sich sofort nach dem Sprachkurs eine Arbeit suchen möchte.

Dennoch fällt die Arbeitsquo­te der ukrainisch­en Flüchtling­e im Vergleich zu den Nachbarlän­dern niedrig aus. In den Niederland­en geht mehr als die Hälfte einer Arbeit nach, in Polen und Tschechien sind es etwa zwei Drittel. Sprecher Christian Ludwig von der Bundesagen­tur für Arbeit in Nürnberg betont jedoch, dass sich die deutschen Zahlen nicht einfach mit den ausländisc­hen vergleiche­n ließen, da die Beschäftig­ungsquoten auf unterschie­dliche Weise ermittelt würden. Selbst mit einem Minijob neben Sozialleis­tungen gelte man in manchen Ländern bereits als „beschäftig­t“, während man in Deutschlan­d weiter als Bürgergeld­empfänger gezählt werde. Doch der Sprecher räumt ein, dass die Arbeitsbed­ingungen oft wegen der Sprache einfacher seien. Polnisch sei etwa verwandt mit dem Ukrainisch­en. In den Niederland­en wiederum spräche die Bevölkerun­g teils besser Englisch als in Deutschlan­d, was die Integratio­n im Job erleichter­e.

Der Sprecher der Bundesagen­tur für Arbeit betont jedoch, dass die ukrainisch­en Flüchtling­e angesichts des Fachkräfte­mangels eine Chance für den deutschen Arbeitsmar­kt seien. Damit die Integratio­n in den Arbeitsmar­kt trotz deutscher Sprachkurs-Gründlichk­eit künftig schneller laufen soll, hat das Bundesarbe­itsministe­rium den sogenannte­n Job-Turbo auf dem Weg gebracht. Der Grundgedan­ke: Anerkannte Flüchtling­e sollen schnell arbeiten gehen und währenddes­sen einen Sprachkurs besuchen. Während der Arbeit und im Alltag soll es leichter sein,

Deutsch zu lernen und anzukommen. Bislang waren gute Deutschken­ntnisse eine Voraussetz­ung für die Jobvermitt­lung.

Für die arbeitswil­lige Köchin Tetiana Balazh kommt der JobTurbo zu spät. Obwohl sie Deutsch in der Schule gelernt hat, muss sie den neunmonati­gen täglichen Sprachkurs besuchen, bevor sie eine richtige Stelle als Köchin antreten kann. Vorher kann sie nur in einem Minijob nebenbei arbeiten. Die Ukrainerin ist zudem skeptisch, ob der Job-Turbo viel an der Situation ändern kann. „Viele Frauen sind immer noch psychologi­sch belastet“, sagt sie. „Und sie müssen auch auf kleine Kinder aufpassen.“In Deutschlan­d sei die Versorgung mit Kinderbetr­euungsplät­zen eher schlecht. Selbst das Bundesarbe­itsministe­rium sieht darin einen wichtigen Grund für die niedrige Erwerbsquo­te im Vergleich zu anderen Ländern.

Bundesagen­turspreche­r Ludwig klagt zudem über die lange Dauer der gesetzlich­en Anerkennun­gsverfahre­n für ausländisc­he Berufsabsc­hlüsse. Selbst wenn alle Unterlagen vollständi­g vorlägen, was oftmals nicht der Fall ist, betrage die Wartezeit für einen Bescheid laut der Bundesarbe­itsagentur immer noch bis zu vier Monate.

Kritisch ist dies bei sogenannte­n reglementi­erten Berufen, etwa bei Pflegekräf­ten, Sozialpäda­gogen oder Ingenieuri­nnen. Also dort, wo händeringe­nd nach Personal gesucht wird. Dazu kommt, dass die Betroffene­n die Kosten dafür zahlen müssen, falls sie noch keinen Arbeitgebe­r haben, der dafür einspringt: Bis zu 600 Euro sind für die Anerkennun­g der Qualifikat­ionen fällig.

Der Sprecher der Bundesarbe­itsagentur setzt dennoch große Hoffnungen in den neuen Job-Turbo. In den ersten beiden Monaten dieses Jahres seien bereits „deutlich mehr“Menschen in Arbeit gekommen als im Vergleich zum Vorjahr, berichtet Ludwig. In den kommenden Monaten würden zudem 70 Prozent aller ukrainisch­en Flüchtling­e einen Integratio­nskurs abgeschlos­sen haben. Dies könnte in diesem Jahr die Beschäftig­ungsquote verbessern. Im Sommer könnte dann endlich auch Tetiana Balazh in einer Restaurant­küche wieder ihr eigenes Geld verdienen.

„Wenn man selber arbeitet, verdient man viel mehr.“

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Foto: Boris Roessler, dpa Deutschkur­s für ukrainisch­e Flüchtling­e. Etwa 410.000 arbeitsuch­ende Ukrainerin­nen und Ukrainer erhalten Bürgergeld. Dass so wenige arbeiten, liegt auch an der Bürokratie.
 ?? ?? Seit September 2023 absolviert Ivan Burtnyk eine Ausbildung zum Mechatroni­ker.
Seit September 2023 absolviert Ivan Burtnyk eine Ausbildung zum Mechatroni­ker.
 ?? Fotos: Helen Geyer ?? Tetiana Balazh ist gelernte Erzieherin und Köchin. Derzeit absolviert sie einen Sprachkurs.
Fotos: Helen Geyer Tetiana Balazh ist gelernte Erzieherin und Köchin. Derzeit absolviert sie einen Sprachkurs.

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