Keine Mähne zum Gamsbart
In Oberbayern ist eine Familie aus einem Trachtenverein ausgetreten, weil die langen Haare der Söhne kritisiert wurden. Das sagen Vereinsvertreter andernorts dazu.
Kempten Ein Fall im benachbarten Oberbayern sorgt auch im Allgäu für Diskussionen unter Trachtlern: Weil die Frisuren ihrer Söhne in einem Trachtenverein in Trostberg immer wieder kritisiert wurden, ist ein Ehepaar mit seinen Kindern ausgetreten. Doch wie gehen Allgäuer Trachten- und Musikvereine mit langen Haaren bei Männern oder Tätowierungen und Piercings ihrer Mitglieder um?
„Leben und leben lassen. Dieses Motto gilt auch für die bayerischen Trachtenvereine“, sagt Günter Frey aus Sulzschneid (Ostallgäu). Er ist Vorsitzender des Bayerischen Trachtenverbandes. Wer in einen Trachtenverein gehe, müsse allerdings auch bestimmte Regeln akzeptieren.
Das Thema der langen (oder kurzen) Haare betreffe vor allem die Gebirgstrachtenvereine, wo geplattelt wird und die Mitglieder an Preisplattler-Wettbewerben teilnehmen, sagt Frey. Die Haare müssen bei diesen Auftritten oberhalb des Kragens enden. „Sonst gibt es Punktabzug.“Diese Regelung beziehe sich auf die Gründerzeit der Trachtenvereine, Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts. „Damals war die Haartracht kurz. Das ist so und daran lässt sich auch nicht rütteln“, sagt Frey. Vorgaben mache der Verband den Vereinen nicht. „Die Regeln legen die Trachtler in den Vereinen selbst vor Ort fest.“Laut dem Vorsitzenden des Allgäuer Gauverbandes,
Hubert Kolb, würden lange Haare bei Männern bei Umzügen nicht gerne gesehen. „Wir werden natürlich niemanden vom Mitmachen ausschließen“, sagt er. Solange man die bei vielen jungen Leuten beliebten Tattoos oder Piercings unter der Tracht verstecken kann, stellten sie kein Problem dar. Die Mehrheit der Mitglieder käme mit diesen „Verhaltensregeln“sehr gut zurecht, sagt Kolb.
Josef Häusler, Vorsitzender des Trachtenvereins D’ Wertachtaler Kaufbeuren, zählt ebenfalls zu den Befürwortern der Regeln. Es gebe auch welche für Frauen: Sie müssten ihre Haare im Trachtenverein flechten. Haben sie zu kurzes Haar, werde das mit einem Haarteil kaschiert. Piercings und Tattoos werden laut Josef Häusler nicht gerne gesehen – gerade im Gesicht. Lediglich Ohrringe toleriere man bei Frauen wie auch bei Männern.
Es gebe aber auch Wege, um die Regeln zu umschiffen. Sind die Arme tätowiert, kremple man eben die Hemdsärmel nicht hoch. Häusler sagt aber auch: „Wer in den Trachtenverein möchte, will sich auch damit beschäftigen und passt sich auch an.“Auch im Oberallgäu spielt die Frisur eine Rolle beim Wertungsplatteln. Hat ein Bub aus Sicht der Plattler eine unpassende Frisur, wird das laut dem Vorsitzenden der IG Tracht, Michael Haberstock, angemerkt. „Zu lange Haare sind nicht passend“, findet der Chef des Dachverbands von 28
Trachtenvereinen im
Oberallgäu.
Die Mädchen müssten eine Flechtfrisur tragen. Gefärbte Haare würden als unpassend angesehen. Das gelte auch für Piercings und Tattoos. Wenn jemand diese Regeln nicht befolgt, werde das beim Wertungsplatteln angemerkt. „Da steht dann einmal Haare in der Tabelle“, sagt Haberstock. In die Wertung fließe das aber nur
südlichen marginal ein. Er betont, dass bei den Vereinen der IG Tracht ohnehin kein Preisplatteln wie in Oberbayern stattfinde. Das habe man abgeschafft, um ein Konkurrenzdenken unter den Vereinen zu vermeiden. Im Gegensatz zum Preisplatteln gibt es beim IG-Wertungsplatteln keine Platzierungen.
Ob lange Haare bei Männern oder Tattoos bei Trachtlern allgemein nun passend sind oder nicht, sei eine sehr schwierige Frage, sagt Richard Hartmann, Vorsitzender des Trachtenvereins „D’Neuschwanstoaner Stamm Füssen“, der zum Oberen Lechgau Verband gehört. Hartmann findet, dass auch die Brauchtumsvereine heute lockerer mit ihren Vorschriften umgehen sollten. Sie müssten sich klar darüber sein, aus welcher Zeit die von ihnen gemachten Regeln stammen. Ähnlich sei das mit der Kleidung: „Tracht ist immer Mode.“
Egal ob rote oder blaue Haare, ob diese kurz oder lang sind, ob tätowierte Haut bis zu den Handgelenken oder nicht: All das spiele keine Rolle, solange die Kleiderordnung passt, also etwa Haferlschuhe, Trachtensocken, Allgäuer Lederhosen und Dirndl sitzen, heißt es beim Musikverein Buchenberg (Oberallgäu). Centa Theobald, die dort Klarinette spielt und stellvertretende Präsidentin des Allgäu-Schwäbischen Musikbundes ist, sagt: „Jeder darf in dieser Gemeinschaft musizieren, da darf Aussehen genauso wenig eine Rolle spielen, wie Herkunft, Hautfarbe oder Religion.“
Beim Memminger Trachtenverein sieht man keine Männer mit üppiger Haarpracht. Jedoch nicht wegen eines Verbotes. Gerd Reylaender, der Vorsitzende, sagt lachend: „Bei uns erledigt sich das Thema von selbst, weil wir alle zu alt sind.“(dam, mak, bil, ju, ast, fes, lw, ts)