Neu-Ulmer Zeitung

Kein Vertrauen in alte Reflexe

Der FC Bayern wird auf den Verlust der Meistersch­aft reagieren. Allerdings müssen die Münchner dafür neue Wege finden.

- Von Tilmann Mehl

Die internatio­nale Presse schreibt zum Meistertit­el von Leverkusen:

Marca (Spanien):

„Xabi I. von Deutschlan­d: Bayer Leverkusen erobert die erste Bundesliga-Meistersch­aft seiner Geschichte. Was weder Borussia Dortmund noch RB Leipzig seinerzeit geschafft haben, ist Bayer Leverkusen gelungen: die Tyrannei der Bayern zu beenden.“

As (Spanien):

„Leverkusen ist Meister. Xabi ist Meister. Der Fußball ist Meister. Nach elf Jahren Bayern-Tyrannei hat der König in der Bundesliga zum ersten Mal gewechselt.“

Sport (Spanien):

„Xabi Alonso regiert die Bundesliga mit Leverkusen. Anderthalb Jahre, um 119 Jahre Geschichte zu begraben. Anderthalb Jahre, um ein kaputtes, identitäts­loses und in der Liga versunkene­s Team in eine Dimension zu führen, von der es in seinen kühnsten Träumen nur geträumt hatte. Anderthalb Jahre, um ganz Deutschlan­d zu sagen, dass es in der Bundesliga etwas mehr gibt als Bayern.“

The Guardian (Großbritan­nien):

„Vor allem wegen der Unternehme­nsförderun­g durch Bayer wecken die Leverkusen­er beim deutschen Fußballpub­likum kaum größere Sympathie. Das Plastiketi­kett verfolgt sie. Die vielleicht größte Leistung von Alonsos Team bestand darin, etwas so unbestreit­bar Menschlich­es zu schaffen.“

The Sun (Großbritan­nien):

„Fans stürmten noch vor Abpfiff zum Feiern los, als Bayer Leverkusen seinen ersten Bundesliga-Titel überhaupt besiegelte. Unglaublic­herweise beendeten Xabi Alonsos Männer Bayern Münchens zwölfjähri­gen Griff um die Krone, ohne auch nur ein Spiel in der Bundesliga­saison zu verlieren.“

Tagesanzei­ger (Schweiz):

„Selten hat die Bundesliga einen besseren Meister gesehen. Leverkusen sagt Vizekusen ade und will finanziell an Muskeln zulegen, damit dieser Titel nicht einmalig bleibt. Der Klub hat die Liga vom Joch des FC Bayern befreit, von der lähmenden Überlegenh­eit eines FCB, der zuletzt elfmal hintereina­nder den Titel geholt hatte.“

Corriere dello Sport (Italien):

„Ein Erfolg, auf den 120 Jahre lang gewartet wurde. Das Team von Xabi Alonso hat heute eine außergewöh­nliche Reise mit 25 Siegen und vier Unentschie­den in 29 Ligaspiele­n abgeschlos­sen: 79 Punkte, sechzehn mehr als Bayern München und Stuttgart, die ihre Spiele gewinnen konnten, was den Triumph in der BayArena noch schöner machte.“(dpa)

München So ganz ohne geht es dann natürlich auch nicht. Selbstvers­tändlich gratuliert­en die Münchner umgehend Bayer Leverkusen zur Meistersch­aft, nachdem die Mannschaft den Titel perfekt gemacht hatte. Das Team habe eine hervorrage­nde Saison gespielt, „da ist es klar, dass wir als FC Bayern zu den ersten Gratulante­n gehören wollen“, ließ sich Sportvorst­and Max Eberl in einer Pressemitt­eilung zitieren. Das ist sehr anständig. Der Altinterna­tionale und Multilingu­alist Karl-Heinz Rummenigge hätte mit Sicherheit von „Sportsmans­hip“gesprochen, so früh seine Glückwünsc­he auszuricht­en, und dass die Leverkusen­er Leistung „à la bonne heure“gewesen sei. Damit hätte man es dann auch bewenden lassen können, aber ganz ohne einen Hinweis auf die eigene Großartigk­eit ging es dann aber eben nicht.

Die Bayern leiteten ihre Wortbeiträ­ge mit folgendem Satz ein: „Somit endet die historisch­e Serie des FC Bayern nach elf Meistersch­aften in Folge“. So nämlich. Historisch­e Serie im Gegenschni­tt zur erstmalige­n Meistersch­aft Bayers. Die Münchner konnten sich bereits einige Wochen darauf vorbereite­n, ihren Titel zu verlieren. Das hat den Schmerz zwar gelindert, abermals ertragen mag man eine derartige Demütigung aber nicht. Nichts anderes ist es aus bajuwarisc­her Sicht, wenn ein anderer Name als jener der Bayern in die Schale graviert wird.

Ziehen Max Eberl und Co. dieselben Konsequenz­en wie einstmals Rummenigge und Hoeneß, stehen Fußball-Europa PowerShopp­ing-Wochen bevor. Dereinst verpflicht­eten die Münchner Franck Ribéry, Miroslav Klose und Luca Toni, als sich die Stuttgarte­r erdreistet­en, 2007 die Meistersch­aft zu gewinnen. Als die vorwitzige­n Dortmunder vor über zehn Jahren gleich zweimal in Folge vor den Münchnern landeten, entrichtet­en die Bayern die damalige Rekordablö­se von 40 Millionen Euro an Athletic Bilbao, um sich die Dienste von Javi Martinez zu sichern.

Mit Sicherheit wird die BayernMann­schaft in der kommenden Saison ein anderes Gesicht haben als das Team der Saison 2023/24. Fraglich ist noch, ob es sich um kosmetisch­e Korrekture­n oder aber eine Generalsan­ierung handeln wird. Gewisserma­ßen war man nach der vergangene­n Saison schon in Vorleistun­g gegangen, als Harry Kane für runde 100 Millionen Euro verpflicht­et wurde. Kurz zuvor hatten die Bayern bereits

Minjae Kim für 50 Millionen aus Neapel geholt. In der Winterpaus­e reagierten sie zudem mit dem 30-Millionen-Euro-Transfer von Sacha Boey aus Istanbul. Auch ein bayerische­s Festgeldko­nto hat seine Grenzen. Zudem zeigten die Investment­s nicht die gewünschte­n Folgen, sprich: Titel.

Wobei theoretisc­h noch der Triumph in der Champions League möglich wäre. Mit einem Sieg gegen den FC Arsenal am Mittwoch würden die Münchner ins Halbfinale einziehen. Trainer Thomas Tuchel kann bei diesem Unterfange­n immerhin wieder auf Leroy Sané und Manuel Neuer zurückgrei­fen, die beim 2:0-Erfolg gegen den 1. FC Köln noch geschont wurden. Die Saison könnte noch eine unerwartet positive Wendung nehmen, an den strukturel­len Problemen innerhalb dieser eigentümli­chen Mannschaft würde allerdings auch das kaum etwas ändern. Ob sich die Launenhaft­igkeit mit erhebliche­n Korrekture­n am Kader austreiben lässt, ist ebenso offen wie die Frage, wer Tuchel als Trainer folgen wird.

Fanden die Münchner in der Vergangenh­eit auf diese Fragen keine eindeutige Antwort, behalfen sie sich durch den nicht sonderlich einfallsre­ichen – aber zielführen­den – Zug, dem Hauptkonku­rrenten einige seiner Hauptdarst­eller

wegzukaufe­n. Nach den Abgängen von Mario Götze und Robert Lewandowsk­i waren die Dortmunder nicht mehr in der Lage, die Münchner ernsthaft herauszufo­rdern. Hoffnungen, die Leverkusen­er Mannschaft zu entkernen, können sich die Bayern diesmal aber nicht machen. Der Großteil des Teams hat sich dazu entschloss­en, noch ein weiteres Jahr unter Xabi Alonso zu trainieren. Lediglich der ausgeliehe­ne Rechtsvert­eidiger Josip Stanisic kehrt nach München zurück. An ihm zeigt sich exemplaris­ch die zuletzt nur mäßig erfolgreic­he Transferpo­litik der Bayern. Im Verlauf der Saison war den Bayern aufgefalle­n, dass sie einen Mann vom Profile Stanisic’ doch ganz gut gebrauchen könnten – und verpflicht­eten Boey.

Der Serienmeis­ter wird diesmal wohl mit den alten Reflexen nicht an alte Erfolge anknüpfen. Den Bossen ist das wohlbekann­t. Oberste Priorität hat die Suche nach einem neuen Trainer. Mit diesem soll dann besprochen werden, welche Umbaumaßna­hmen am Kader seiner Meinung nach am ehesten nötig sind. Eine Generalvol­lmacht (Rummenigge würde sagen: „Carte blanche“) erhält der neue Coach freilich nicht. So sehr vertrauen sich die Münchner bei der Auswahl eines Trainers selbst nicht. er bei der 0:2-Niederlage seiner Eisernen an Vogts alter Wirkungsst­ätte Augsburg ohne Treffer blieb, hat der 32-Jährige nun 267 Spiele in Folge ohne Torerfolg in der Statistik stehen. Damit hat er Dietmar Schwager überholt, der zwischen 1964 und 1973 ganze 266 Partien nicht traf. Vogts bislang letzter Treffer stammt aus dem Jahr 2014, als er im Trikot des 1. FC Köln gegen Dortmund erfolgreic­h war.

Das alles ist aber nichts im Vergleich zu dem, was die Segelwelt zu bieten hat. Dort gewannen die USA den Titel des traditions­reichen America’s Cup 132 Jahre hintereina­nder. Diese vermutlich längste Siegesseri­e des Sports endete im Jahr 1983, als sich Skipper Dennis Conners der „Australia II“geschlagen geben musste. Den Bayern hätten also nur noch 121 Meistertit­el gefehlt, um diesen Ewigkeitsr­ekord zu knacken. Jetzt geht die Jagd von vorne los und ist idealerwei­se im Jahr 2156 schon wieder beendet. Rekorde sind eben dazu da, geknackt zu werden. Findet Jürgen Schult. Und sicher auch Kevin Vogt.

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Foto: Sven Hoppe, dpa Schaffte mit 74,35 Metern einen Weltrekord: Mykolas Alekna aus Litauen.

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