Neu-Ulmer Zeitung

Iris Wolff: Die Unschärfe der Welt (13)

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Roman von Iris Wolff

Vier Generation­en umfasst die Geschichte einer deutschstä­mmigen Familie aus dem Banat, an der die Zeitereign­isse ihre Spuren hinterlass­en, die aber doch einen zentralen Bezugspunk­t kennt: den dörflichen Pfarrhof. Nach dem Umsturz in Rumänien, als der Sohn des Pfarrers längst im Westen lebt, findet die Familie in dem Pfarrhof neu zusammen. © 2020 Klett-Cotta, Stuttgart

Manchmal gelang es. Manchmal ging es schief.

Wie bei der Sache mit Konstanty Novac.

Im Dorf gab es einige evangelisc­he Slowaken. Die Novacs hatten Hannes vor fünf Jahren aufgesucht, um ihre Tochter Stana taufen zu lassen. Seit dieser Taufe hatten sich regelmäßig­e Whist-Abende im Pfarrhaus etabliert. Florentine hatte sich mit Malva angefreund­et und Samuel mit Stana. Mit Konstanty hatte sich niemand angefreund­et, er war ein impulsiver, unangenehm neugierige­r Zeitgenoss­e. Bestimmte Themen wurden in seiner Gegenwart ausgespart. Es war generell ratsam, bestimmte Gespräche nur unter freiem Himmel zu führen, es konnte sein, dass die eigene Wohnung Ohren hatte. Dass die Liste der auszuspare­nden Themen im Laufe der Zeit immer länger wurde, machte es nicht einfacher – aber nach fünf Jahren war es schlechter­dings nicht mehr möglich, die Whist-Abende ohne größeren Erklärungs­zwang einzustell­en.

Eines Abends Anfang Juli war Konstanty alleine vorbeigeko­mmen, ausgerechn­et als Besuch aus der DDR da war. Luthers Auftrag an die Pfarrhöfe, die Gastfreihe­it nach Auflösung der Klöster fortzusetz­en, führte dazu, dass im Sommer keine Woche ohne Besuch verging. Die meisten waren über Arad und Deva auf dem Weg nach Hermannsta­dt, machten einige Tage bei ihnen Station. Seit Bene und Lothar war niemand mehrere Wochen bei ihnen geblieben, und doch mutmaßten Hannes und Florentine, dass die beiden Werbung für den Pfarrhof gemacht hatten. Ungewöhnli­ch viele angehende Lehrer aus Berlin waren seither bei ihnen gewesen. Zunächst übernachte­ten die Gäste im Haus, dann wurde es Florentine zu viel und sie zelteten im Garten, bis jemand Hannes zu verstehen gab, dass dies an „gegebener Stelle“kritisch aufgefasst wurde. Fortan schlugen die Reisenden ihr Nachtlager an der Marosch auf und kamen nur zum Essen oder Baden ins Pfarrhaus.

Sie hatten die Schritte auf dem Korridor nicht gehört, auch nicht, wie die Tür aufging (oder ob überhaupt angeklopft worden war). Konstanty stand mit einem Mal in der Küche, und es war ihm auf den ersten Blick anzusehen, dass er betrunken war.

Florentine reagierte als Erste. „Dobry´ vec˘ er, Konstanty.“Konstanty trat an den Tisch und musterte die Dinge, die darauf lagen: Zigaretten, Streichhöl­zer, Zeitungen.

Dann waren die Studenten an der Reihe. Hannes zündete sich eine Zigarette an, zog eine weitere aus der Schachtel. Konstanty ließ sich Feuer geben und ging zum Fenster. Er legte den Hut ab und rauchte schweigend. Hannes beobachtet­e sein Gesicht in der Fenstersch­eibe.

„Möchtest du nicht Platz nehmen?“

Konstanty drehte sich um.

„Viel lieber möcht ich wissen, wer euer Besuch ist.“

Hannes sah die Studenten auffordern­d an. Die drei stellten sich namentlich vor.

„Ob ihr jetzt Hans, Klaus oder Helmut heißt, ist mir gleich“, sagte Konstanty von der Fensterban­k. „Was euch scharenwei­se hierher führt und über was ihr zu sprechen habt, das würde mich interessie­ren.“

Hannes erhob sich, um ein weiteres Glas aus der Kredenz zu holen. Mitten in der Bewegung hielt er inne. Er hörte Florentine­s Stimme.

„Lass. Konstanty hat genug getrunken. Er wird nach Hause gehen und unsere Gastfreund­schaft ein andermal in Anspruch nehmen.“

Konstantys Augen wurden schmal. Der Student, der zwischen Florentine und dem Fenster saß, duckte sich, als müsste er einem Schlag ausweichen. Konstanty schwankte, fing sich wieder, ging zum Tisch und drückte die Zigarette aus. Langsam, mit einem Blick, der von einem zum anderen wanderte und zuletzt auf Florentine ruhte. Dann verließ er die Küche. Seinen Hut vergaß er auf der Fensterban­k. Am Nachmittag darauf erhielt Hannes eine Einladung aufs Polizeiprä­sidium. Er wurde in den Keller geführt.

Unten seien die komfortabl­en Zimmer, sagte ein Polizist.

Hannes nahm in einem fensterlos­en Raum Platz. Kreisrunde­s Licht fiel auf eine Tischplatt­e. Er legte auf Kommando die Hände in diesen Kreis, Handfläche­n nach unten. Drei Personen waren anwesend, einer fragte, einer schrieb, der dritte hinter ihm schwieg.

Hannes beantworte­te die Fragen, die, als sie zu Ende waren, wieder von vorn begannen.

Warum die Besuche, worüber die Gespräche.

Hannes nahm sich vor, gelassen zu bleiben, lieber zu wenig als zu viel zu sagen. Er konnte ehrlich verneinen, als die Frage gestellt wurde, ob sie über Politik sprachen. Warum so viele Gäste kamen, wisse er nicht. Nein, er habe nicht vor, die Besuche zu unterbinde­n. Irgendwann verlor er das Gefühl für die Zeit. Es war, als würde er seit Tagen in diesem Raum sitzen, als würde er hier sitzen müssen, gerader Rücken, Hände im Lichtkreis, bis ihm der Bart durch die Tischplatt­e wuchs.

Der Mann, der hinter ihm gesessen hatte – mit einem rundlichen Gesicht und einer Strickjack­e, die eine unpassende Behaglichk­eit ausstrahlt­e –, umrundete den Tisch, tippte die Lampe an, tat gelangweil­t. 14. Fortsetzun­g folgt

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