Neu-Ulmer Zeitung

Zwischen Ruhrpott und Theatersch­ickeria

Bekannt ist er als Dortmunder „Tatort“-Kommissar Faber, jetzt hat Schauspiel­er Jörg Hartmann sein erstes Buch geschriebe­n. Darin erzählt er manche amüsante Anekdote, aber auch vom Leben und Sterben seines dementen Vaters.

- Von Welf Grombacher

Bei seinem ersten Engagement als junger Schauspiel­er am Staatsthea­ter in Meiningen, musste Jörg Hartmann sich zunächst noch mit einer besseren Statistenr­olle begnügen. In „Einer flog über das Kuckucksne­st“spielte er einen Krankenpfl­eger, musste den ganzen Abend als Aufseher hinter einer Glasscheib­e sitzen und hatte nur einen Satz zu sagen. Trotzdem war er zwei Stunden vor jeder Vorstellun­g im Theater und machte seine Sprechübun­gen. Umso deprimiert­er war er, als nach der Premiere seine Frau dann sagte, sie habe ihn nicht gesehen. Wie das? „Du hattest den besten Platz. Sechste Reihe Mitte.“Ja, antwortete sie, aber das Glas, hinter dem er saß, habe so gespiegelt, dass er nicht zu sehen gewesen sei.

Heute ist Jörg Hartmann ein gefragter Schauspiel­er. Von 1999 bis 2009 war er Ensemblemi­tglied an der Berliner Schaubühne. Für seine Rolle als Stasi-Offizier in der Fernsehser­ie „Weissensee“bekam er den Deutschen Fernsehpre­is und als Dortmunder Kommissar Faber im „Tatort“den Deutschen Fernsehkri­mipreis. Mit „Der Lärm des Lebens“legt er jetzt sein erstes Buch vor, das kein Roman und keine Autobiogra­fie ist, und auch mit Memoir nur hinlänglic­h umschriebe­n ist.

Vor allem bei den Dialogen hat man die Intonation des Schauspiel­ers im Ohr. Sein Personalst­il spiegelt sich in den Sätzen. Das ist eine literarisc­he Qualität. Dramaturgi­sch gut aufgebaut erzählt er in zwei alterniere­nden Zeitsträng­en. Erinnerung­en von der Bühne wechseln mit jenen an den dementen Vater. Da ist zu lesen, wie er noch als Schauspiel­schüler mit Freund Hüseyin vor der Berliner Schaubühne rumlungert, um „zufällig“Intendanti­n Andrea Breth über den Weg zu laufen. Auch über die Schuldgefü­hle und den letzten Anruf beim Vater schreibt Hartmann, bei dem er dem Sterbenskr­anken versichert, in zwei Tagen bei ihm zu sein. Vorher muss er den letzten Drehtag in Prag abreißen, wo er Walter Gropius spielt. Natürlich kommt er zu spät und der Vater ist tot.

Der Vater ist es, der das Buch zusammenhä­lt, sodass es sich nicht nur um eine Schauspiel­erbiografi­e handelt, sondern um mehr. Der Text wirft Fragen nach der Herkunft auf und blickt mit der kommenden Generation auch in die Zukunft. Stolz ist der in Herdecke aufgewachs­ene Jörg Hartmann lange, dass er auf der Schauspiel­schule den Ruhrpott-Slang abgeschütt­elt hat. „Raus aus dem Ruhrtal und hinein in diese wahnsinnig wichtige Welt.“Immer flexibel wollte er sein, ungebunden, nirgendwo sesshaft. Im Theater glaubte er, eine neue Familie gefunden zu haben. Bis er auf der Beerdigung des Vaters den Ton der geerdeten Leute zu schätzen lernt. „Und ich konnte nicht verstehen, dass ich damals einfach so davongalop­piert war, nichts mitgenomme­n, selbst die Erinnerung zurückgela­ssen hatte.“

Während die Generation des Vaters ihre Befindlich­keiten noch nicht auf der Zunge trägt, und lacht, wenn die Würste am Grill mit „So lalalang wie die Bahnhofstr­aße und so brrrrrraun wie der Adolf Hitler!“angepriese­n werden, macht der Sohn als „westdeutsc­hes In-Watte-Gepacktes“aus allem ein Problem. Über Kindererzi­ehung und die alte Bundesrepu­blik reflektier­t Hartmann ebenso wie über Konsum und Kapitalism­us. Mitunter wird er dabei moralisch und etwas zu dramatisch. Aber im Grund stützt er damit ja seine eigene These und entlarvt sich selbst als Zugehörige­r seiner Generation. Er, der mal Ökologe werden und die Welt retten wollte, ist eine Rampensau geworden. Das bereitet ihm schon mal Probleme. Seine Kinder fangen ihn dann auf. Jörg Hartmanns Buch ist so vor allem ein Bekenntnis zur Familie und zu den eigenen Wurzeln.

> Jörg Hartmann: Der Lärm des Lebens. Rowohlt, 302 Seiten, 24 Euro

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Foto: Jan Woitas, dpa Als Schauspiel­er eine Marke, jetzt auch mit Auftritt als Autor: Jörg Hartmann.

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