Gekommen, um zu bleiben
300 Sonnentage im Jahr und selbst im Winter noch angenehme Temperaturen: Spaniens Costa Blanca ist zum beliebtesten Rentnerparadies Südeuropas geworden. Über den Traum vom immerwährenden Urlaub und den Moment, der alles infrage stellt.
Madrid Schon die kleine Villensiedlung im Costa-Blanca-Ort Pedreguer wirkt so, wie man sich einen Ort für die ewigen Ferien vorstellt: Schmucke, weiß getünchte Häuschen, umgeben von hübschen Gärten, Palmen zieren den Straßenrand, der Duft von Orangenblüten liegt in der Luft. Gleich um die Ecke liegt ein blau glitzernder Swimmingpool, den sich die Siedlungsbewohner teilen. Das Mittelmeer ist ebenfalls nicht weit entfernt. Gleich hinter den Häusern erhebt sich das bergige und grüne Hinterland.
Für Gisela Glaser und Joachim Grünert fühlt sich so das viel beschworene Paradies an. Vor zwei Jahren wagte das Rentnerpaar den Schritt von der Kleinstadt Korntal-Münchingen bei Stuttgart an die Costa Blanca. „Wir haben schon immer gesagt, wir wollen als Rentner nach Südeuropa gehen“, erzählt Joachim Grünert, 68. „Weil wir beide die Sonne lieben.“Er war in seinem Berufsleben Programmierer und EDV-Lehrer. Sie arbeitete als Kinderfrau in gehobenen Familien.
Allerdings verlief der Start im neuen Land holpriger als gedacht. Vor allem der Kampf mit der Bürokratie dauerte monatelang. „Das war nervig“, erinnert sich Gisela Glaser. Etwa die Beantragung der spanischen Steuer- und Identifizierungsnummer (NIE), ohne die in Spanien nichts läuft. Oder die Anmeldung im nationalen
An der Costa Blanca kann man zur Not auch ohne Spanisch überleben.
Gesundheitssystem. Und die Auto-Ummeldung. Oft war es schon schwierig, überhaupt einen Termin bei den Behörden zu bekommen. „Die machen einem das Leben am Anfang schon ein bisschen schwer“, sagt die 69-Jährige. Doch inzwischen sind diese Hürden überwunden. Das Rentnerpaar ist heimisch geworden. Und es hat gelernt, dass man in Spanien viele Dinge mit Gelassenheit hinnehmen muss.
„Egal wo man hinkommt, da ist nirgends Hektik“, berichtet Glaser. „Deshalb muss man vielleicht auch mal länger warten. Da musst du halt Geduld haben.“Das gelte auch für den Supermarkt, wo an der Kasse viel geplaudert werde. „Die Leute sind hier entspannter als in Deutschland.“Aber auch das sei ja ein Stück Lebensqualität.
Immer mehr Seniorinnen und Senioren zieht es für den Ruhestand ins Ausland.
Die Zahl der Renten, die ins Ausland überwiesen werden, ist in den vergangenen 20 Jahren um etwa 37 Prozent gestiegen, wie aus einer Statistik der Deutschen Rentenversicherung hervorgeht. Rund 13 Prozent dieser Auslandsrenten werden an Deutsche ausgezahlt, die im Ausland wohnen. Spanien ist dabei eines der beliebtesten Rentnerparadiese – kein Wunder angesichts von 300 Sonnentagen im Jahr. In ganz Spanien sind etwa 150.000 Deutsche gemeldet, etwa ein Drittel davon Rentner. Allein im Großraum Dénia, der größten Deutschen-Kolonie an der Costa Blanca, leben Schätzungen zufolge knapp 5000 Deutsche. An der gesamten Costa Blanca sind etwa 13.000 Deutsche offiziell registriert.
Und was macht man so als Rentner in Spanien? „Wir genießen das schöne Wetter und gehen viel mit unserem Hund spazieren“, erzählen die beiden. Sie spielen Skat mit ihren neuen Freunden. Zweimal die Woche besuchen sie eine Sprachschule, um Spanisch zu lernen. „Wir wollen nicht nur in der deutschen Blase leben, sondern uns auch mit Spaniern verständigen können.“
Dabei kann man an der Costa Blanca zur Not auch ohne Spanisch überleben. Es gibt deutschsprachige Ärzte, Handwerker, Bäcker, Feinkostläden, Restaurants und Rechtsanwälte. Auch deutsche Discounter wie Aldi und Lidl sind vor Ort.
Eine weitere Anlaufstelle ist der Euroclub Dénia, der sich zum gesellschaftlichen Treffpunkt für deutschsprachige Senioren entwickelt hat. „Wir haben eine Wandergruppe, Sportaktivitäten, Tanzveranstaltungen und eine Reisegruppe“, erzählt Grünert, der Vize-Vereinspräsident ist. Zudem gibt es im Klub, der fast 500 Mitglieder hat, Infoabende – etwa zum Thema Altersvorsorge, Erbrecht oder Pflegeversicherung. „Anschluss findet man hier problemlos“, ergänzt Glaser.
Für viele gilt Mallorca als das spanische
Rentnerparadies schlechthin. Für Gisela Glaser und Joachim Grünert kam die Mittelmeerinsel aber nicht in Betracht, als es ums Auswandern ging. „Da ist man irgendwie gefangen. Hier, an der Costa Blanca, kannst du dich immer ins Auto setzen und woanders hinfahren.”
Sabine Radermacher hat ihr Glück auf dem Land gefunden. So zumindest könnte man „Suerte de Campo“übersetzen, den Namen der Finca, in dem die Heilpraktikerin ein neues Zuhause gefunden hat. Zu Radermachers ländlicher Finca-Idylle gehören ein Hund, vier Katzen und zwei Pferde. Im Garten steht eine Kutsche, mit der sie Fahrten für Jung und Alt durch die herrlichen Orangenhaine in der Umgebung anbietet. Vor fünf Jahren zog es sie aus Markdorf am Bodensee hierher in das spanische Dorf Beniarbeig. Das Klima, die Freundlichkeit und die Gelassenheit der Menschen: Es sei ihr nicht schwergefallen, sich schnell wohlzufühlen, sagt die deutsche Auswanderin.
Radermacher hat ihre Liebe zu Spanien einer Freundin zu verdanken, die schon länger an der Costa Blanca lebt. „Ich habe sie immer mal besucht”, erzählt die 65-Jährige. Meist im Januar oder Februar, wenn Tausende Mandelbäume ihre Blütenpracht entfalten und die Täler des Hinterlandes in einen weiß-rosafarbenen Traum verwandeln. Eines Tages hat die Freundin sie dann gefragt: „Hast du nicht Lust, nach Spanien zu ziehen?”
Ja, warum nicht noch mal ein neues Leben starten? Warum nicht noch einmal neu anfangen, erst recht dort, wo sich das Leben wie ein immerwährender Urlaub anfühlen muss. Sicher gibt es auch in Spanien Menschen, die sich naturheilkundlich behandeln lassen wollen, sagte sich Radermacher. Damals war die Mutter von zwei erwachsenen Kindern 60. Und ohne Partner – so konnte sie schnell eine Entscheidung treffen. Heute sagt sie über ihren Entschluss auszuwandern: „Das war eine gute Idee.“
Schon, weil die Zukunft ja auch für ältere Menschen noch eine ganze Menge zu bieten hat. „Wir sind ja mit 65 nicht alt. Wir haben dann locker noch, wenn alles gutgeht, 20 Jahre vor uns.“Oder sogar noch mehr.
Allerdings rät sie, den Schritt ins Ausland nicht blauäugig zu machen. Wer auswandern wolle, müsse sich informieren. „Man sollte zunächst ein paar Mal Urlaub im Land verbringen, Leute treffen, sich orientieren und den Immobilienmarkt anschauen.“Und ganz wichtig findet Radermacher: Man benötige genügend finanzielle Reserven. Denn oft laufe nicht alles so glatt wie geplant.
Sabine Radermacher spricht aus eigener Erfahrung. Denn ihre Idee, in Spanien als Heilpraktikerin Geld zu verdienen, wurde 2020 zunächst durch die Coronapandemie gestoppt. „Meine Lehre daraus war: Man muss einen Puffer haben, damit man wenigstens ein Jahr überleben kann.“
Radermacher überstand diese Krise, konnte schließlich doch noch ihre Heilkunde-Praxis eröffnen. Inzwischen ist sie 65, und sie hat trotzdem nicht vor, kürzerzutreten. „Ich liebe meinen Beruf“, sagt die Frau mit den kinnlangen Haaren und den wachen Augen. „Wenn es geht, will ich noch bis 80 als Heilpraktikerin arbeiten.”
Nach fünf Jahren in Spanien warnt sie aber Auswanderungswillige vor dem Glauben, dass das Leben unter der südlichen Sonne leichter und billiger als im nördlichen Europa sei. „Auch in Spanien ist alles teurer geworden. Man kann nicht mehr wie früher für acht oder zehn Euro im Restaurant ein Mittagsmenü essen.” Und: Auch die Suche nach einer Wohnung ist schwierig. Es gebe heute wenig bezahlbare Mietobjekte. Die Kaufpreise für Wohneigentum seien hoch. „Für Leute, die wenig Geld haben, ist es auch in Spanien schwierig, klarzukommen.“
Alt werden an der Costa Blanca ist nicht nur mit Höhen, sondern auch mit Schicksalsschlägen verbunden. Jutta Rehm hat es selbst erlebt. Vor 24 Jahren wagte sie den Umzug vom oberbayerischen Neuburg an der Donau in die spanische Küstenstadt Javea – zusammen mit ihrem Ehemann. Dieser starb sieben Jahre später. „Ja, und dann war ich hier allein.“Einen Menschen zu verlieren, ist immer ein tiefer Einschnitt, der einem fast das Herz brechen kann. Manche Zurückgebliebenen überwinden den Verlust nicht. Jutta Rehm, heute 84, sagt: „Das habe ich selbst bei anderen Älteren erlebt. Sie verkommen von der Seele her.“
Jutta Rehm half es, sich in die Arbeit zu stürzen. Sie renovierte ihr Haus am Berghang,
von dem man einen herrlichen Blick auf das Tal hat. Ausbessern, Streichen, Polstern, Nähen – selbst ist die Frau: „Handwerkliche Arbeiten habe ich schon immer gerne gemacht.“
Auch der große Terrassengarten hielt sie auf Trab. Im norddeutschen Wingst bei Cuxhaven hatte Rehm einst einen Botanischen Garten, das „Kamelien-Paradies
Der finanzielle Puffer muss wenigstens für ein Jahr ausreichen.
Wingst“, mit aufgebaut. Dieser KamelienGarten war so berühmt, dass er jedes Jahr Zehntausende Besucher anzog – inzwischen ist er geschlossen. „Das war ein aufregendes Leben.”
Dass die rüstige Seniorin mit 84 Jahren immer noch voller Energie und Freude ist, hat mit einer weiteren Wendung im Leben zu tun. Jutta Rehm fand in Spanien eine neue Liebe. Was die beiden verband, war der Verlust. Robert Kropp stand nach dem Tod seiner Frau ebenfalls plötzlich allein da. „Irgendwann haben wir uns gesagt: Mensch, tun wir uns doch zusammen.“
Aus der Freundschaft wurde Partnerschaft. Die beiden gehen tanzen, machen Ausflüge, treffen sich mit Freunden zu Essen und Wein, genießen das gute Klima. „Hier geht immer die Sonne auf, auch für einen selbst”, sagt Jutta Rehm. „Wir sind glücklich – glücklicher geht’s nicht.“
Aber was, wenn die Rentner in Spanien hilfs- oder pflegebedürftig werden? Auch dafür gibt es Lösungen. Deutschsprachige Senioreneinrichtungen etwa, wie im Costa-Blanca-Ort Pego, wo ein Schweizer Investor eine kleine Reihenhaussiedlung in eine Anlage für Betreutes Wohnen verwandelte.
Dort lebt zum Beispiel der 88 Jahre alte Schweizer Eugen Vollmer, dessen Frau im vergangenen Jahr starb. Das Schweizer Ehepaar war vor 30 Jahren aus Biel im Kanton Bern an die Mittelmeerküste gezogen. „Ich fühle mich immer noch wohl”, sagt der gelernte Bauschlosser und frühere Wanderführer und blinzelt durch seine Brille in die Sonne.
Vollmer ist gerade beim Frühsport: Er dreht mit dem Gehstock ein paar Runden im Garten. „Es geht mir hier besser, als wenn ich allein leben würde”, sagt er. Man glaubt es ihm aufs Wort in dieser mediterranen Alten- und Pflegeeinrichtung, die mit ihren violett blühenden Bougainvilleen, kleinen Palmen und einem Swimmingpool im Innenhof eher an ein Urlaubsresort erinnert.