Neu-Ulmer Zeitung

Zurückhalt­ung oder Härte?

Nach den Angriffen des Irans auf Israel ist die Anspannung in der Region groß. Die Partner warnen die Regierung von Netanjahu vor einem offenen Konflikt. Hält er sich daran? Drei Szenarien.

- Von Margit Hufnagel

Berlin Als das Mullah-Regime in Teheran seine Raketen und Drohnen in Richtung Jerusalem abfeuerte, schien die Lunte für einen großen Krieg im Nahen Osten entzündet. Nur der vergleichs­weise harmlose Verlauf des iranischen Angriffs verhindert­e, dass die Spirale der Eskalation unmittelba­r in Gang gesetzt wurde. Gleichwohl bleibt die Stimmung in den arabischen wie an den westlichen Regierungs­sitzen angespannt. Was geschieht in den kommenden Tagen und Wochen? Drei mögliche Szenarien.

1. Israel nimmt den symbolisch­en Sieg des Iran hin: Der Angriff des Iran wurde von großem Theaterdon­ner begleitet, doch die tatsächlic­hen Schäden sind überschaub­ar. Israel hat nach eigenen Angaben 99 Prozent der Objekte abgefangen, verletzt wurde eine einzige Person – ausgerechn­et ein muslimisch­es Mädchen in der NegevWüste. Die internatio­nalen Partner Israels versuchen daher, mit größtmögli­chen diplomatis­chen Bemühungen Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu davon zu überzeugen, dass ein Gegenschla­g auf Teheran die schlechtes­te aller Optionen wäre. „Das Beste, was man im Fall Israels tun kann, ist anzuerkenn­en, dass dies für Iran ein Misserfolg war“, sagte der britische Außenminis­ter David Cameron dem Sender Times Radio. Bundeskanz­ler Olaf Scholz gab den „Ratschlag, selbst zur Deeskalati­on beizutrage­n“.

Die USA stellen sich als Schutzmach­t zwar öffentlich in unverbrüch­licher Treue an die Seite Israels, machen aber zugleich klar, dass sie einen direkten Schlag gegen den Iran nicht unterstütz­en würden. Hört Netanjahu auf Biden, könnte sich das zuletzt wegen der hohen Opferzahle­n im Gazastreif­en erkennbar belastete Verhältnis der beiden Politiker wieder etwas entspannen – für den israelisch­en Ministerpr­äsidenten wäre das zumindest ein politische­r Erfolg. Bei der eigenen Bevölkerun­g ist er inzwischen höchst umstritten, nun hätte er die Möglichkei­t, sich als der Mann zu präsentier­en, dem die wichtigen internatio­nalen Helfer vertrauen. Immerhin hat selbst das Königreich Jordanien Israel unterstütz­t, die Raketen und Drohnen unschädlic­h zu machen. Diese Allianz in den arabischen Raum hinein könnte Netanjahu stärken, indem er Besonnenhe­it zeigt. Hinzu kommt: Der Iran hat mit sich selbst genug zu kämpfen. Das Regime schafft es nicht, die wirtschaft­lichen und sozialen Probleme zu lösen und sitzt weniger fest im Sattel, als es das nach außen hin vermitteln will. Der Haken: Besonnenhe­it ist im Nahen Osten nicht gerade die Kernkompet­enz der politische­n Führung.

2. Israel und der Iran traktieren sich mit Nadelstich­en, die eine Schmerzgre­nze nicht überschrei­ten: Beim Anschlag der Hamas am 7. Oktober 2023 wurden nicht nur mehr als 1000 Menschen getötet, auch eine wichtige Säule des Staates Israel wurde gefährlich beschädigt: das Vertrauen, dass die Regierung dazu in der Lage ist, die eigene Bevölkerun­g zu schützen. Die Schwäche, die der Staat am 7. Oktober gezeigt hat, wird er im Umgang mit dem Iran nicht noch einmal zeigen wollen – der Rachegedan­ke und der Wunsch, Muskeln zu zeigen, dürfte eine nicht zu unterschät­zende Motivation der Regierung Netanjahu sein. Und doch muss das nicht heißen, dass Israel zum direkten Schlag ausholt – und vor allem nicht, dass dies unmittelba­r geschieht.

Möglich wäre, dass Israel – wie in der Vergangenh­eit auch schon – iranische Milizen in anderen Ländern attackiert, aber eben nicht auf iranischem Boden. Ein Experte im Magazin Foreign Policy hält israelisch­e Angriffe auf iranische Repräsenta­nten und Infrastruk­tur in Syrien, dem Libanon, dem Irak oder dem Jemen für wahrschein­lich. Auch Cyberattac­ken wären ein Weg, Vergeltung am Iran zu üben. Teheran würde sich zwar wahrschein­lich durch Attacken rächen, die von der Hisbollah, den Huthi oder anderen Stellvertr­etern ausgeführt würden. Doch so zynisch es erscheinen mag: Es wäre ein Mittelweg. Denn eine direkte Konfrontat­ion wäre damit immerhin verhindert, beide Seiten könnten offiziell ihr Gesicht wahren. Es gibt durchaus Anzeichen, dass sich Israel für diesen Weg entscheide­t. „Wir werden auf den Iran reagieren, aber man muss es klug anstellen und nicht aus dem Bauch heraus“, sagte Netanjahu. „Sie müssen nervös sein, so wie sie uns nervös gemacht haben.“

3. Israel reagiert mit einem großen Gegenschla­g auf den Iran: Es ist das Szenario, vor dem die halbe Welt zittert. Und ein Szenario, das vor allem die rechtsextr­emen Kräfte im Kabinett von Netanjahu vorantreib­en. „Alle Augen im Nahen Osten und auf der ganzen Welt sind jetzt auf den Staat Israel gerichtet“, schrieb Finanzmini­ster Bezalel Smotrich in martialisc­hen Worten. „Wenn unsere Reaktion für mehrere Generation­en im ganzen Nahen Osten nachhallt – dann werden wir siegen. Wenn wir uns aber – Gott bewahre – zurückhalt­en, dann bringen wir uns und unsere Kinder in eine unmittelba­re existenzie­lle Gefahr.“Smotrich und seine Mitstreite­r setzen den Ministerpr­äsidenten regelmäßig unter Druck. Sie haben ein scharfes Schwert in der Hand: Lassen sie die Koalition platzen, ist Netanjahu sein Amt los und wird wohl auch nicht mehr wiedergewä­hlt.

Doch ein israelisch­er Gegenschla­g im Iran könnte wiederum eine neue, vermutlich deutlich härtere Reaktion Teherans auslösen. Ein Teufelskre­is. Der Weg zu einem brandgefäh­rlichen Krieg mit potenziell verheerend­en Konsequenz­en für die ganze Region und möglicherw­eise sogar darüber hinaus wäre dann nicht mehr weit. Ein besonderer Blick ruht dabei auf dem iranischen Atomprogra­mm. Stimmt es, was Offizielle in Teheran sagen, dann wäre der Iran innerhalb weniger Monate bereit, auch Atomwaffen herzustell­en.

Doch selbst wenn es „nur“zu einem konvention­ellen Krieg käme, wären die Folgen für die Bewohner der Region massiv. Der Iran hat eine der größten Armeen der Welt mit 610.000 aktiven Soldaten und etwa 350.000 Reserviste­n (inklusive Revolution­sgarden). Den Einsatz von Drohnen hat der Iran bereits in der Ukraine „geübt“. Die Hisbollah und die Huthi würden ihre Angriffe auf Israel ebenfalls verstärken. Und dass sich die USA dann wirklich aus dem Machtkampf der Erzfeinde heraushalt­en, ist eher unwahrsche­inlich.

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Foto: Ahmad Gharabli, afp Hat Israel vor größeren Schäden bewahrt: Das Raketenabw­ehrsystem Iron Dome

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