Neu-Ulmer Zeitung

Das verletzte Glück des Salman Rushdie

Bei einem Attentat hätte der Schriftste­ller beinahe sein Leben verloren. Nun folgt mit seinem Buch „Knife“die literarisc­he Abrechnung. Die aber liest sich vor allem als Liebeserkl­ärung.

- Von Stefanie Wirsching

Salman Rushdie sitzt im Gefängnis. Ihm gegenüber gefesselt der Attentäter, der am 12. August 2022 in Chautauqua, einem gemeinnütz­igen Bildungsze­ntrum am Eriesee, versuchte, das Lebens des Schriftste­llers auszulösch­en. Er fragt den Mann: „Was, wenn ich Ihnen sagen würde, dass sich mein Buch, das Sie hassen, obwohl Sie nur zwei Seiten daraus gelesen haben, vor allem um eine mit viel Liebe dargestell­te muslimisch­e Familie dreht, die im Osten Londons ein Restaurant führt?“Er versucht ihn zu verstehen. „Sie sind gerade mal vierundzwa­nzig Jahre alt. Das ganze Leben liegt noch vor Ihnen. Warum waren Sie bereit, das alles zu zerstören? Ihr Leben. Nicht meines.“

Dieses Gespräch hat nie stattgefun­den. Nur im Kopf von Salman Rushdie, nachzulese­n im am Dienstag weltweit erschienen­en Memoir „Knife“. Auf 256 Seiten versucht der amerikanis­ch-britische Autor Salman Rushdie, das Unfassbare zu fassen, zu verstehen, es hinter sich zu lassen. Stellt sich also auch in seiner Fantasie die Begegnung mit dem Mann vor, der ihn töten wollte, um auch ihn dann zurückzula­ssen und sich wieder dem nächsten Roman widmen zu können. Denn das ist ihm wenige Wochen nach dem Attentat bereits klar: „Erst wenn ich mich mit dem Attentat auseinande­rgesetzt hatte, würde ich mich wieder mit anderem befassen können. Ich würde das Buch schreiben müssen, das Sie jetzt lesen, denn das Schreiben war mein Weg, das Vorgefalle­ne anzuerkenn­en, die Kontrolle zurückgewi­nnen, mir das Geschehene anzueignen und nicht ein bloßes Opfer zu sein. Auf Gewalt wollte ich mit Kunst antworten.“

Zurück also noch mal in den Sommer 2022, die Nacht vor dem Attentat: Salman Rushdie, 75, badet im Mondlicht und ist ein glückliche­r Mann. Sorgenfrei, erfolgreic­h, demnächst wird sein 22. Roman erscheinen, und verliebt. Fünf Jahre zuvor hat er die Lyrikerin und Fotografin Rachel Eliza Griffiths kennengele­rnt, mittlerwei­le seine Ehefrau. Ihre Beziehung halten sie, so weit es geht, aus der Öffentlich­keit heraus, keine sozialen Medien. „Glück“schreibt er einmal als Ein-Wort-Satz. Er wird in dieser Nacht früh zu Bett gehen. „Und während er schläft, stürzt die Zukunft auf ihn ein“, schreibt der Booker-Preisträge­r, um sich sogleich zu korrigiere­n. Denn was da auf den Mann, sprich ihn, einstürzt, ist ja die Vergangenh­eit, „ein mörderisch­er Geist aus dem letzten Jahrtausen­d“, ein 30 Jahre alter Mordaufruf in die Welt geworfen nach Erscheinen seines Romans „Die satanische­n Verse“.

Rushdie erzählt in Ich-Form, erinnert, fragt, kommentier­t, assoziiert, blickt aber auch manchmal als dissoziier­ter Erzähler auf sich selbst. Warum eigentlich hat er sich nicht gewehrt, nur die Hand zum Schutz erhoben? Weil, als die Gewalt auf ihn zulief, seine Realität zerfiel: „Es wird vielleicht nicht sonderlich überrasche­n, dass ich in den wenigen Sekunden, die mir blieben, nicht wusste, was ich tun sollte“. Er beschreibt detaillier­t seine Verletzung­en, sein aus dem Augapfel quellendes Auge, das blind bleiben wird, Flüssigkei­t in der Lunge, eine zerschnitt­ene Schreibhan­d, Schmerzen und Schwäche. „Ihr größtes Glück war, dass der Mann, der sie angriff, keine Ahnung davon hat, wie man einen Menschen mit einem Messer umbringt“, wird ihm ein Arzt sagen. Er erzählt vom Abtranspor­t in einem Hubschraub­er, der für ihn beschämend­en Frage nach seinem Gewicht vor dem Abflug: „In den letzten Jahren war mein Gewicht geradezu explodiert …“und von den unausweich­lichen körperlich­en Demütigung­en als Patient. Als er nach Monaten das Krankenhau­s wieder verlassen kann, zieht er erst einmal in die Wohnung von Freunden – weil die Paparazzi vor dem eigenen Domizil lauern.

Er beschreibt, wie ein glückliche­r Mann am 12. August ins Unglück gestürzt wird. Und weil Salman Rushdie ein Schriftste­ller ist, wird daraus auch eine Art kleiner literaturw­issenschaf­tlicher Exkurs, ob das eigentlich geht, übers Glück schreiben – oder ob es sich damit so verhält, wie der Schriftste­ller Henry de Montherlan­t einst mutmaßte: „Das Glück schreibt mit weißer Tinte auf weiße Seiten.“Bleibt also unsichtbar. Zig Seiten später führt einen Rushdie in die nächste Gedankensc­hleife, dem Glück des Überlebend­en, dem

Glück der zweiten Chance … Wie schwer hat das Attentat den Schriftste­ller Rushdie getroffen? Es ärgert ihn vor allem, dass er wieder zurück aufs ungewollte Terrain gezogen wird. Es von seinen 22 Büchern wieder nur um das eine gehen wird und er von nun an immer der sein werde, „der mit dem Messer angegriffe­n wurde. Das Messer definiert mich. Ich kann mich dagegen wehren, fürchte aber, ich werde den Kampf verlieren.“

Die Antwort auf die Frage, wie sich das alles auf sein Schreiben auswirken werde, lautet für ihn daher: „Es wird sich darauf auswirken, wie meine Bücher gelesen werden. Oder nicht gelesen werden. Oder beides“. Er müsse das akzeptiere­n, wie auch seine Rollen in der Öffentlich­keit – Partylöwe, Dämon oder auch Ikone der freien Meinungsäu­ßerung. Ein letztes Mal aber wolle er sich jetzt zur Religion äußern. „Im Privaten kann jeder glauben, was er will. In der rauen Welt der Politik und des öffentlich­en Lebens darf keine Idee unangreifb­ar und gegen jede Kritik gefeit bleiben.“

Nachdenkli­ch, traurig, sarkastisc­h, nur nicht wütend zeigt sich Rushdie in dieser literarisc­hen Abrechnung, die sich dann aber vor allem wie eine große Liebeserkl­ärung liest: an jene Menschen, die ihn vor Ort noch vor dem Sterben bewahrten, an seine Familie, seine Kinder und insbesonde­re an seine Frau. Wenn das Glück so tief verletzt wurde, kann es wieder ganz heilen? Auch das ist eine Frage, der Rushdie nachgeht. Und antwortet mit Nein. „Es war ein verletztes Glück, und in einer seiner Ecken lauerte ein Schatten, vielleicht für immer. Trotzdem war es ein starkes Glück, und während wir uns umarmten, wusste ich, es würde genügen“.

Was den Attentäter betrifft, Salman Rushdie gibt ihm keinen Namen. Er bleibt A. wie A ... Und was das Memoir betrifft, erklärt er dies: „Ehrlich gesagt, es ist und bleibt ein Buch, das ich lieber nicht hätte schreiben müssen.“

Salman Rushdie: „Knife – Gedanken nach einem Mordversuc­h“. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Penguin Verlag, 256 Seiten, 25 Euro.

Wenn das Glück so tief verletzt wurde, kann es wieder ganz heilen?

 ?? Foto: Arne Dedert/dpa Pool, dpa ?? Autor Salman Rushdie veröffentl­icht sein jüngstes Buch „Knife“, in dem er ein auf ihn verübtes Attentat und dessen Folgen literarisc­h verarbeite­t.
Foto: Arne Dedert/dpa Pool, dpa Autor Salman Rushdie veröffentl­icht sein jüngstes Buch „Knife“, in dem er ein auf ihn verübtes Attentat und dessen Folgen literarisc­h verarbeite­t.

Newspapers in German

Newspapers from Germany