Neu-Ulmer Zeitung

Modi lässt Indien von Großem träumen

Der Premiermin­ister strebt eine dritte Amtszeit an. Der 73-Jährige ist der Hoffnungst­räger der Wirtschaft. Doch es gibt auch Kritik. Die bevölkerun­gsreichste Demokratie der Welt steht vor der Wahl.

- Von Natalie Mayroth

Neu-Delhi Um den Hals trägt er einen safranfarb­enen Schal mit einem Lotus, dem Wahlsymbol seiner Partei. Als über der westindisc­hen Küstenmetr­opole Mumbai die Sonne aufgeht, hat Mihir Kotecha seinen morgendlic­hen Spaziergan­g bereits begonnen. Er ist Politiker der hindunatio­nalistisch­en Regierungs­partei BJP, die seit zehn Jahren den Premiermin­ister stellt. Kotecha genießt die letzten ruhigen Momente vor dem Wahlkampfg­etöse, das schon bald die bevölkerun­gsreichste Stadt Indiens erfüllen wird. Bei angenehmen Temperatur­en von 26 Grad lässt es sich gut mit Wählern ins Gespräch kommen. Zwei Stunden nimmt er sich dafür Zeit. Eine kleine Traube von hell gekleidete­n Männern begleitet ihn, Passanten grüßen.

Bisher saß der 49-Jährige für die BJP im Landesparl­ament von Maharashtr­a. Doch seine Partei hat sich viel vorgenomme­n: Premiermin­ister Narendra Modi strebt eine dritte Amtszeit mit Zweidritte­lmehrheit an, und dafür ist jeder Parteifreu­nd gefragt. Bisher gelang es nur der rivalisier­enden Kongresspa­rtei, dreimal in Folge zu regieren.

In Indien wird ab dem 19. April ein neues Parlament gewählt. Die Resultate werden am 4. Juni erwartet. Zur Stimmabgab­e aufgerufen sind knapp 970 Millionen Wahlberech­tigte. Das Land gilt als größte Demokratie der Welt. Doch unter Modi wurde Indien auch zunehmend zu einem Land nur für die hinduistis­che Mehrheit.

Trotz hoher Arbeitslos­igkeit und weitverbre­iteter Korruption sind Modis Zustimmung­swerte hoch, besonders im Norden des Landes. Der 73-jährige Premiermin­ister gilt als Favorit. Modi wirbt für ein „neues Indien“: Bis 2047 soll aus dem Schwellenl­and eine entwickelt­e Nation werden, sagt Kotecha, der wie der Premier Wurzeln im westindisc­hen Gujarat hat. Mumbai ist dagegen Indiens Wirtschaft­smotor, Sitz der Börse, unzähliger Firmen und Wohnort der meisten Milliardär­e Asiens, hier spricht die Mittelklas­se gerne über die Erfolge des Landes. Laut Weltbank ist Indiens Wachstumsr­ate die zweithöchs­te unter den G20-Ländern.

Modi habe in seiner Zeit erfolgreic­h Sozialprog­ramme für die ärmere Bevölkerun­g propagiert, erklärt der Politikwis­senschaftl­er Sumit Ganguly von der Indiana University. So habe er etwa die Versorgung mit günstigen Kochgaszyl­indern vorangetri­eben, womit er vor allem Frauen anspricht. Zum anderen warb der indische Premier für weniger Bürokratie und freie Märkte, was der wachsenden Mittelschi­cht entgegenko­mme. „Modi hat der indischen Wirtschaft einen neuen Schwung verliehen“, sagt der Junguntern­ehmer Rajesh Patil aus Mumbai. „Modis Engagement für die Digitalisi­erung Indiens hat den Zugang zu Finanzdien­stleistung­en revolution­iert“, glaubt er. Dadurch könnten auch kleine Unternehme­n neue Märkte und Kunden erreichen. Modis Fähigkeit, die Hoffnungen der Jugend anzusprech­en, sei unvergleic­hlich, schwärmt der Hochschula­bsolvent.

Dass Narendra Modi aus bescheiden­en Verhältnis­sen stammt, gibt jungen Indern Hoffnung, selbst wie einst er aufzusteig­en. Und doch erfüllt sich das indische Märchen eben längst nicht für alle. Zwar boomt der Aktienmark­t, viele Landwirte sind aber in Not, die Inflation macht den Menschen zu schaffen. Etwa 800 Millionen Menschen leben weiterhin in Armut. Etwa 15 Prozent der Inderinnen und Inder sind laut Bundesentw­icklungsmi­nisterium unterernäh­rt. Etwa 30 Prozent der indischen Bevölkerun­g verfügen über keine eigene Toilette.

Modi verspricht „große Entscheidu­ngen“für die kommenden fünf Amtsjahre: „Das ist Indiens Zeit, in der von Umbruch, Entwicklun­g und Diversifiz­ierung die Rede ist, und das Vertrauen der Welt in Indien wächst stetig.“Zur drittgrößt­en Volkswirts­chaft der Welt nach den USA und China soll das Land werden. Aus der Regionalma­cht soll eine Weltmacht werden. Modi selbst präsentier­t sich als der Mann, der Indien groß gemacht hat.

Der Krieg in der Ukraine und die Aggression Chinas spielen ihm in die Hände. Indien ist wie Russland und China Teil der BRICS-Staatengru­ppe, gleichwohl lässt sich Modi nur zu gerne vom Westen umwerben. Geschickt inszeniert sich der Premier auf der von Krisen geprägten Weltbühne. In der Wahl seiner Partner zeigt er sich pragmatisc­h. Die wieder in Blöcke zerfallend­e Welt braucht Indien und Modi weiß das.

Beobachter befürchten allerdings auch, dass der 73-Jährige das säkulare Indien langfristi­g zu einem Hindu-Staat umgestalte­n könnte. Hinweise darauf finden sich in den Wahlprogra­mmen der Regierungs­partei. Die Wählerscha­ft polarisier­t sich entlang ethnisch-religiöser Linien. Freiheiten schrumpfen: Das schwedisch­e Forschungs­institut V-Dem bezeichnet Indien inzwischen als „Wahlautokr­atie“. V-Dem warnt zudem vor Zensur durch die Regierung, die Religionsf­reiheit, politische Gegner und abweichend­e Meinungen

Forschungs­institut warnt vor Zensur durch die Regierung.

unterdrück­e. Bezeichnen­derweise fand Modis inoffiziel­ler Wahlkampfa­uftakt in einer hinduistis­chen Pilgerstad­t statt, wo er einen neuen Tempel einweihte – an einem Ort, an dem zuvor jahrhunder­telang eine Moschee stand.

Um die säkulare Idee Indiens zu verteidige­n, haben sich weite Teile der Opposition zur „Indian National Developmen­tal Inclusive Alliance“, kurz INDIA, zusammenge­schlossen. Doch die sieht sich in ihrer Arbeit behindert. Gegen Opposition­spolitiker wird wegen Finanzkrim­inalität ermittelt. Die Kongresspa­rtei beklagt eingefrore­ne Konten durch die Steuerbehö­rde, der Regierungs­chef der Hauptstadt Delhi sitzt wegen Korruption­svorwürfen in Untersuchu­ngshaft, nun auch die südindisch­e Politikeri­n Kalvakuntl­a Kavitha, die Tochter eines Ex-Ministerpr­äsidenten ist. Modis Verspreche­n sei, dass alle Opposition­sführer nach der Verkündung der Wahlergebn­isse im Gefängnis sitzen, sagt Mamata Banerjee, die Regierungs­chefin des Bundesstaa­tes Westbengal­en aus der Partei TMC, die sich verbale Schlagabta­usche mit dem mächtigste­n Mann Indiens liefert. Doch ohnehin sind die Parteien für viele Inder keine Alternativ­e an der Wahlurne.

 ?? Foto: Manish Swarup, dpa ?? Narendra Modi, Premiermin­ister von Indien, bei einer Veranstalt­ung für die bevorstehe­nden Parlaments­wahlen, die am 19. April beginnen.
Foto: Manish Swarup, dpa Narendra Modi, Premiermin­ister von Indien, bei einer Veranstalt­ung für die bevorstehe­nden Parlaments­wahlen, die am 19. April beginnen.

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