„Ich bin wirklich kein Held“
Tobias Schneller nahm dem Mann, der in einem Supermarkt in Wangen auf eine Vierjährige eingestochen hat, das Messer ab und verfolgte ihn. Er sagt: Das kann jeder andere auch.
Wangen im Allgäu Eigentlich wollte Tobias Schneller an jenem Mittwoch Anfang April nur ein paar Kleinigkeiten im Norma in Wangen einkaufen. Dann wurde er binnen Sekunden zu jenem Mann, der einem 34-Jährigen das Messer abnahm, nachdem dieser auf eine Vierjährige eingestochen hatte. Schneller verfolgte den Mann nach dem Angriff und sorgte dafür, dass die Polizei ihn festnehmen konnte. Als Held fühlt sich Tobias Schneller dennoch nicht: „Ich bin 1,66 Meter groß, 60 Kilo schwer. Wie ich reagiert habe, das kann auch jede und jeder andere.“
Zivilcourage – für Tobias Schneller ist sie eine gelebte Selbstverständlichkeit. „Ich habe schon häufiger bei der Polizei angerufen, wenn ich irgendwo etwas beobachtet habe. Die Nummer des Wangener Polizeireviers ist bei mir im Handy abgespeichert“, sagt der 52-Jährige. Was er aber an jenem Mittwoch in dem Supermarkt erlebte, hat dann doch eine neue Dimension. „Ich habe nur den Schrei eines Kindes gehört, in diese Richtung geschaut und einen Mann gesehen“, sagt der Vater von vier Kindern: „Dann ist mein System angesprungen.“Tobias Schneller ging auf den Mann zu, schrie ihn lautstark an, sah das Messer und nahm es ihm einfach ab. Von einem schwer verletzten Kind, das mit seiner Mutter beim Einkaufen war, wusste er zu diesem Zeitpunkt noch nichts. Der Tatverdächtige flüchtete daraufhin aus dem Laden. Schneller folgte ihm mit etwas Abstand und wählte zeitgleich die Nummer der Polizei, über die er eine Beschreibung des Mannes durchgeben konnte und die Richtung, in die er gelaufen war.
Noch immer ist Schneller beeindruckt, wie schnell die Polizei vor
Ort gewesen ist: „Darüber bin ich wirklich froh. Drei Minuten nach Beginn des Telefonats war die Polizei bei mir.“Kurz darauf war der Mann verhaftet.
Zufrieden ist Schneller, der als Lehrer an einem sonderpädagogischen Bildungszentrum in Wangen auch Schulsanitäter ausbildet, mit seinem Vorgehen dennoch nicht ganz. Hätte er gewusst, dass im Supermarkt ein verletztes Mädchen liegt, hätte er sich natürlich an die Vorgaben gehalten, sagt er. „Ich hätte mich um das Opfer kümmern müssen.“Das Kind war nach der Attacke schwer verletzt in eine Klinik gebracht und operiert worden. Die Verletzungen waren laut Polizei nicht lebensgefährlich.
Tobias Schneller handelte intuitiv, weil ihn der Schrei und der Anblick eines bewaffneten Menschen störten: „Die Situation im Laden dauerte nur wenige Sekunden.“Vieles erfuhr er erst im Nachhinein. Heute sagt er: „Dem Mädchen und seiner Familie wünsche ich natürlich alles erdenklich Gute.“
Die Tat verfolgt Schneller bis jetzt. Er macht sich viele Gedanken und empfindet tiefes Mitgefühl für das junge Opfer. Dennoch nimmt er auch anderes für sich mit: „Zum Beispiel, was für ein gut funktionierendes System wir in Deutschland haben und wie schnell die Polizei im Ernstfall da ist.“
Seine sonderpädagogische Ausbildung habe ihm im entscheidenden Moment sicherlich geholfen, sagt Tobias Schneller: „Ich bin es gewohnt, sofort zu reagieren. Zum Beispiel, wenn etwas oder jemand im Unterricht stört, ist es immer das Beste, sofort etwas zu tun.“
Ähnlich wie Schneller in dem Supermarkt habe vor fünfeinhalb Jahren auch der Ravensburger Oberbürgermeister Daniel Rapp gehandelt, als er in der dortigen Innenstadt einen Mann dazu bewegte, das Messer hinzulegen: „Einzig und allein mit der Gewalt seiner Stimme. Die meiner Meinung nach einzige legitime Gewalt, die eine
Privatperson ausüben kann und darf.“
Selbst beschreibt sich Tobias Schneller als „ziemlich angstfrei“und als einen „Menschen, der immer viel Glück im Leben hatte“. Seine Heimatstadt Wangen ist für ihn nicht nur eine der schönsten Städte überhaupt: „Sie ist auch eine der sichersten – nicht nur in der Region oder in Deutschland, sondern in der ganzen Welt.“Das dürfe nicht vergessen werden. Und Schneller sagt: „Ich glaube immer erst einmal an das Gute im Menschen. Und das soll und wird auch so bleiben.“
Nach seinem mutigen Eingreifen hat er viel Wertschätzung im Freundes-, Kollegen- und Bekanntenkreis erfahren: „Ich freue mich, wenn mich viele in den Arm nehmen. Aber ich bin wirklich kein Held.“Der 52-Jährige wünscht sich aber, dass Handeln für alle zur Normalität wird.
Eines möchte Schneller auf gar keinen Fall: „Dass ich oder noch schlimmer das Leiden dieses Kindes instrumentalisiert werden für andere Interessen, besonders im rechtsradikalen Spektrum.“Der mutmaßliche Täter ist ein gebürtiger Syrer mit niederländischem Pass. Gegen ihn wird wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung ermittelt, er wurde in ein psychiatrisches Krankenhaus gebracht.
Das Mädchen kam schwer verletzt ins Krankenhaus.