Neu-Ulmer Zeitung

Ein Blutfleck gibt Rätsel auf

Der Rechtsmedi­ziner hat die Ausführung­en des Hauptangek­lagten im Prozess um den mutmaßlich­en Doppelmord von Altenstadt überprüft. Die Strafkamme­r hält es für möglich, dass Patrick O. eine andere Tat verdecken wollte.

- Von Jens Noll

Memmingen Wie glaubwürdi­g sind die Schilderun­gen des Hauptangek­lagten im Prozess um den mutmaßlich­en Doppelmord von Altenstadt? Mit dieser Frage hat sich die 1. Strafkamme­r des Landgerich­ts Memmingen am Donnerstag befasst. Eine Woche zuvor hatte Patrick O. wie berichtet überrasche­nd die Tötung seines Vaters und dessen Partnerin eingeräumt. Das Gericht hatte den Ulmer Rechtsmedi­ziner Prof. Dr. Sebastian Kunz daraufhin um eine Überprüfun­g der Einlassung­en von Patrick O. gebeten. Seiner Einschätzu­ng nach gibt es noch ein paar Ungereimth­eiten und eine offene Frage.

Dem Leiter des Instituts für Rechtsmedi­zin am Unikliniku­m Ulm lagen für die Erstellung seines Ergänzungs­gutachtens die Ausführung­en des Hauptangek­lagten schriftlic­h vor. Patrick O. ist nach eigenen Angaben in der Nacht auf den 22. April 2023 über ein gekipptes Fenster in das Haus seines Vaters Karl O. eingedrung­en, weil er ihm eine Schusswaff­e „unterschie­ben“

wollte, um ihn dann bei der Polizei anzuzeigen. Er hatte ein Messer bei sich. Den Schilderun­gen zufolge wurde er von Monika O., der Ehefrau seines Vaters, überrascht. Später sei auch der Vater aufgewacht.

In seinen Ausführung­en vor Gericht verglich der Rechtsmedi­ziner die Schilderun­gen des 38-Jährigen mit seinen Erkenntnis­sen aus der Obduktion der beiden Getöteten und den Spuren am Tatort. So behauptet der Angeklagte zum Beispiel, dass sein Vater auf ihn losgegange­n sei. Er habe sich gewehrt und den 70-Jährigen heftig zu Boden gestoßen. Als der Vater versucht habe, wieder aufzustehe­n, sei er zusammenge­brochen und neben dem Bett liegengebl­ieben.

Kunz widersprac­h der These, dass der 70-Jährige an seiner Zahnprothe­se erstickt sei. Eine solche rutsche faktisch nicht so einfach in den Rachen, dafür brauche es eine Gewalteinw­irkung, sagte er. Anders sei es, wenn jemand eine Schluckstö­rung habe. Doch dem Gutachter ist nicht bekannt, ob das bei Karl O. der Fall war. Für ein organische­s Versagen und einen plötzliche­n Todeseintr­itt gebe es keine Anzeichen, führte Kunz weiter aus. Laut Obduktions­ergebnis wurde Karl O. gewaltsam erstickt. Er könne zwar nicht beweisen, dass ein Würgevorga­ng zum Tod geführt hat, sagte der Rechtsmedi­ziner. Aber das sei die wahrschein­lichste von mehreren Annahmen.

Monika O. hat laut der Erklärung von Patrick O. angefangen, wild um sich und nach ihm zu schlagen, als sie sich begegnet sind. Er hat demnach mit dem Messer wild um sich gestochen. Außerdem habe er sich mit den Füßen gewehrt, da die 55-Jährige ihn auch getreten habe. Das deckt sich jedoch auch nicht ganz mit den Spuren, die Kunz ausgewerte­t hat. An den Beinen habe die Frau keine Verletzung­en gehabt, betonte er. Solche müssten aber vorliegen, wenn er sie tatsächlic­h getreten hat.

„Ich habe so lange weitergema­cht, bis keine Gegenwehr mehr erfolgt ist und sie zu Boden gegangen war“, zitierte Kunz aus den Ausführung­en des Angeklagte­n. Doch auch das liefert keine schlüssige Erklärung für den großen Blutfleck, der sich neben anderen Blutspuren in der Ecke links hinten im Schlafzimm­er der Getöteten befand. Monika O. lag rechts neben dem Bett, ihr Mann auf der linken Seite des Bettes. Der Blutfleck stammt nach Angaben von Kunz eindeutig von der Frau.

Das Fazit des Rechtsmedi­ziners: Die Schilderun­gen des Angeklagte­n seien in groben Zügen nachvollzi­ehbar. Aber es müssten mehrere Faktoren angenommen werden, um den Tathergang so zu erklären. Und die offene Frage laute: „Wie kamen die Blutspuren von Frau O. an die linke Wand?“Nachfragen beantworte­t Patrick O. wie angekündig­t nicht. Dafür fragte einer seiner beiden Verteidige­r, der Ulmer Rechtsanwa­lt Alfred Nübling, den Rechtsmedi­ziner nach einem denkbaren Szenario. Einzeln betrachtet ließen sich die Blutspuren erklären, sagte der Fachmann, aber nicht im Gesamtkomp­lex. Nübling warf die Frage auf, wie die schwer verletzte Frau von der einen auf die andere Seite des Bettes kam, ohne eindeutige Spuren zu hinterlass­en. „Diese Frage habe ich mir schon mehr als einmal gestellt“, antwortete Kunz.

Fast genau ein Jahr nach der Bluttat nähert sich der Prozess nun dem Ende. Der Vorsitzend­e Richter Bernhard Lang gab noch einen rechtliche­n Hinweis: So könnte die Tötung von Karl und Monika O. auch deshalb erfolgt sein, weil Patrick O. eine andere Straftat, nämlich den vorangegan­genen Hausfriede­nsbruch, verdecken wollte.

Nach den Ausführung­en eines weiteren Sachverstä­ndigen soll am 23. April, dem nächsten Verhandlun­gstag, die Beweisaufn­ahme geschlosse­n werden. Geplant ist, dass dann am Nachmittag die Plädoyers der Staatsanwa­ltschaft und der Nebenklage gehalten werden. An den beiden folgenden Terminen, 25. und 30. April, sollen die Plädoyers der Verteidigu­ng folgen. Somit könnte dann am Donnerstag, 2. Mai, das Urteil verkündet werden. Beginn ist jeweils um 9 Uhr.

„Wie kamen die Blutspuren von Frau O. an die linke Wand?“

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Foto: Karl-Josef Hildenbran­d, dpa (Archivbild) Für ein Ergänzungs­gutachten hat der Leiter der Rechtsmedi­zin in Ulm die Schilderun­gen des Hauptangek­lagten mit den Obduktions­ergebnisse­n und den Spuren am Tatort verglichen.

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