Die ganze Magie des Erzählens
Rafik Schamis Erzählabend „Wenn du erzählst, erblüht die Wüste“ist ein lebenskluger, humanistischer Erzählreigen vom Feinsten. In Langenau füllte der Autor damit die ganze Kirche.
Langenau Eine „Lesung“war in Langenau angekündigt, aber was Rafik Schami auf Einladung der Buchhandlung Mahr tatsächlich machte, war die Menschen durch das reine Erzählen zu verzaubern. Die Kirche Mater Dolorosa war bis auf den letzten Platz besetzt – heute kein gewöhnlicher Anblick mehr in einer Kirche. „Wenn du erzählst, erblüht die Wüste“waren mehr als zwei Stunden lebensprallen Erzählens, ein Spaziergang durch heitere, traurige, (ab und zu) tragische, märchenhafte Geschichten aus seinen Büchern, spielend und mühelos dargeboten.
Dass der Autor bei aller Unterhaltsamkeit seiner Erzählungen niemals vergisst, dass das Leben auch dunkle Momente hat, dass man Freiheit, Würde und Gemeinschaft nicht zum Nulltarif geschenkt bekommt, macht seine Erzählkunst so wertvoll. Seit 42 Jahren ist der Autor in Deutschland – und er weiß, wovon er spricht, wenn er für Freiheit, für Demokratie,
für Gastfreundschaft und Humanität das Wort ergreift. 1971 musste er aus seiner Heimat Syrien fliehen, er fand in Deutschland eine Heimat. Eine Rückkehr in die erste Heimat Syrien ist nicht möglich, die Orte seiner Kindheit und Jugend sind durch den Krieg zerstört.
Dass er einmal vor ausverkauften Reihen lesen würde als wertgeschätzter und erfolgreicher Autor, davon wagte Schami, der schon als Kind Erzähler werden wollte, zu Beginn seiner Laufbahn nicht zu träumen. Die deutsche Literaturkritik habe eine „Schweigemauer“um ihn errichtet, „wohl, damit ich nicht zu früh durch den Erfolg verdorben werde“, wie er schelmisch anmerkte. Seinen Erfolg habe er allein dem Buchhandel zu verdanken, Buchhändlerinnen und Buchhändler, die ihn schätzten und immer wieder einluden – schon damals, als der Buchmarkt von ihm nichts wissen wollte. Letzteres verwundert dann schon, denn Schamis ausgefeiltes Geschichtenverweben bewegt sich an den Lebenswurzeln der Literatur – dem genauen Zuhören, dem mündlichen Erzählen, der gut gesetzten Pointe.
In der Langenauer Kirche tänzelt der Autor auf der Empore förmlich zwischen seinen Geschichten, breitet die Geschichte(n) um seine Hauptfigur Kamran aus, der durch seine Erzählkunst ein traumatisiertes Mädchen rettet – und die Menschen durch gemeinschaftliches Erzählen verbindet. Eine zutiefst humanistische Botschaft ist allen Untergeschichten von Kamrans Erzählungen zugrunde gelegt. Das hat aber nichts Erdenschweres, Belehrendes, überhaupt fehlt Schamis Erzählen jeder belehrende oder besserwissende Duktus.
Der Humor ist eines dieser Erzählwerkzeuge, die häufig eingesetzt werden. Man hört von einem Mann, der so viele Kinder hat, dass „er eine eigene Schule aufmachen könnte“. Man erfährt viel über die arabische Lust am Feilschen: „Die Zahl steht in Schwarz-weiß auf dem Preiszettel, aber das Leben ist bunt!“Man erfährt, dass Geiz verabscheut wird und Großzügigkeit bis zur Selbstüberforderung geübt wird. Besucher kommen im arabischen Raum stets unangemeldet: „Besucher melden sich nicht an, sie wollen die Schönheit der Überraschung nicht schmälern.“Seine Geschichten seien „wie ein Bogen gebaut“, verrät Schami, ein „großer Bogen, an dem die einzelnen Geschichten aufgehängt sind wie Lampions“.
Ein schönes Bild, ein typisches Sprachbild Schamis – in allen Szenen, die er vor dem Publikum ausbreitet, leuchtet es, duftet es, prallt das Leben. Es ist da kein Raum für Pessimismus, Aberglaube, Hass. Und immer wieder diese schönen, unvergesslichen Sätze, in denen die Weisheit funkelt: „Geduld ist der Schlüssel zur Erleichterung.“Ein furioser Abend, der die ganze Kraft und Magie guter Literatur und, vor allem, guter Erzählung vorstellte.
Als Thomas Mahr, mit dem Schami eine enge persönliche Freundschaft verbindet, am Schluss fragt „hast du noch eine Geschichte für uns?“, da antwortet Schami ohne zögern: „Noch hunderte!“Bei jedem anderen würde man das für Angabe halten. Bei Erzählmagier Schami klingt es schon fast wie eine bescheidene Untertreibung.